© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Heute bleibt die Küche kalt
Paul Rosen

Qualität aus deutschen Landen“ – damit werben einheimische Landwirte und Lebensmittelhersteller. Doch ausgerechnet der Deutsche Bundestag holt angeblich Produkte aus der Ferne: Enten aus Frankreich oder Rinderhüften aus Argentinien. Nur auf jedem fünften Teller im Bedienrestaurant des Parlaments sollen sich Produkte aus Deutschland befinden, hieß es in Medienberichten. Prompt schwang sich die Abgeordnete Gitta Connemann (CDU) aus dem ländlichen Niedersachsen zur Fürsprecherin heimischer Produkte auf: „Was müssen unsere Landwirte, Fischer, Obst-, Gemüse- und Gartenbauern denken? Diese produzieren Tag für Tag bei Wind und Wetter bezahlbare Lebensmittel von höchster Qualität“, schrieb sie an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) und erwähnte noch den CO2-Fußabdruck, der bei über den Atlantik eingeflogenen Rinderhüften vermutlich größer ist als der von Kaninchen aus der Lüneburger Heide. 

Doch ist es wirklich so schlimm mit der Herkunft der Speisen? Ein Blick auf die aktuelle Wochenkarte des Bedienrestaurants im Jakob-Kaiser-Haus zeigt einen gemischten Salat mit Kürbis-Spinat-Quiche, gebratenen Pfifferlingen und Pinienkernen. Es gibt auch noch Pasta alla Norma, Tabouleh-Salat mit gegrillten Garnelen sowie gebratenes Filet vom Müritz-Zander und Kalbstafelspitz. Zur Herkunft verrät die Karte: die Pfifferlinge sind aus Polen, die Garnelen aus Thailand, der Fisch aus Mecklenburg-Vorpommern und der Tafelspitz aus Deutschland. 

In der Cafeteria des Reichstagsgebäudes überwiegt deutsche Kost: Von Thüringer Knackern über Cordon bleu vom Brandenburger Huhn bis zum Havelzander reicht die recht bodenständig klingende Wochenkarte. Und die gekochten Eier in Bautzner Senfsauce, entdeckt im Selbstbedienungsrestaurant des Paul-Löbe-Hauses, lassen ebenfalls Rückschlüsse auf eine regionale Abstammung zu. Das „Orientalische Lammragout“ steht allerdings für internationale Küche. 

Ein kulinarischer Streifzug kommt ohne Abstecher in die große Kantine im Jakob-Kaiser-Haus nicht aus, wo Traditionelles Trumpf ist: Karotteneintopf, Grüne-Bohnen-Eintopf, Weißkohleintopf. Es gibt auch internationale Gerichte, eine besonders weite Anreise hat sicher die „Erdnuß-Kokos-Suppe“. Gegen allzu exotische Speisen spricht hier schon die Kostenregelung: Die Preise sind – da die Gerichte für Mitarbeiter vorgesehen sind – gedeckelt, der Kantinenbetreiber wird vom Staat subventioniert. Ein Stammessen wie Hähnchenbrustfilet in Parmesanhülle oder Spaghetti in Tomatensauce mit Salat kostet zum Beispiel 3,35 Euro. Für den Preis gibt es auch geschmorten Putenrollbraten oder Cordon bleu vom Schwein.

Das günstige Angebot lockt auch derzeitige und ehemalige Abgeordnete an, die sich gern an den subventionierten Speisen laben. Zu sehen sind hier häufig Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), Linken-Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (die oft mit ihrem Bürokollektiv kommt) und der derzeitige SPD-Fraktionsvorsitzende, Rolf Mützenich, den aber kaum jemand erkennt.