© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Den Geist Mossuls wiederbeleben
Irak: Auch zweieinhalb Jahre nach der Befreiung liegt die Metropole in Schutt und Asche
Marc Zoellner

Noch immer herrscht Angst in den Straßen von Mossul: Auch zweieinhalb Jahre nach der Eroberung der nordirakischen Metropole durch irakische Sicherheitskräfte sowie die Volksmobilmachungskräfte (PMF), einen schiitisch dominierten Milizenverband, leben viele Einwohner mit der Furcht vor Übergriffen seitens der radikalislamischen Terrorgruppe Islamischer Staat (IS), die die Stadt von 2014 bis 2017 zur Hauptstadt ihres selbsternannten Kalifats ausgerufen hatte. 

Mit der Befreiung des westlichen Tigrisufers im März 2017 war der Krieg gegen den IS geschlagen; die Schlacht allerdings längst noch nicht. Weiterhin halten sich Schläferzellen in den Ruinen und unter dem Straßennetz versteckt. Beinahe täglich gelingt den schiitischen Milizen, die die Kontrolle über Mossul übernommen haben, ein neuer Zugriff.

Erst vergangenen Dienstag gelang die Verhaftung ebenjenes Terroristen, der sich für die Zerstörung Dutzender antiker Statuen aus assyrischer und römischer Zeit im Nationalmuseum verantwortlich zeigte und sich dabei für ein IS-Propagandavideo filmen ließ.

Wie viele Terroristen Mossul noch zählt, ist ungewiß. „Sie leben in Tunnelnetzen unterhalb der Stadt“, berichten Journalisten vor Ort, „sind mit dem notwendigen Essen bevorratet und arbeiten in Gruppen von fünf bis zehn Leuten.“ Sooft die Milizen Verhaftungen vornehmen, so oft komme es zu Gegenschlägen mit Guerillataktik auf Straßensperren, Eskorten und Polizeiwachen. 

Noch immer leben 300.000 Menschen in Lagern

Derart bedenklich ist die Sicherheitslage in Mossul selbst im Herbst 2019 noch, daß die PMF erst im August die „Operation Wille zum Sieg 3“ ausrufen mußte. Ihr Ziel sind die Sprengung der Tunnel sowie die Zerschlagung zumindest der aktivsten unter den noch operierenden Terrorzellen. Denn schon wegen der steten Anschläge und Angriffe aus dem Hinterhalt durch die Radikalislamisten traut sich kaum einer der einstigen drei Millionen Einwohner zurück in die Stadt.

Zurückgekehrt sind bis Ende August 2019 gerade einmal 72.000 Familien, teilte jüngst der Gouverneur der Provinz Ninive mit. Allein in den Zeltstädten der Flüchtlingslager, die rund um die Metropole im Sommer 2017 eher provisorisch errichtet wurden, leben hingegen noch immer über 300.000 Menschen. 

Viele von ihnen hatten bereits einen Neuanfang in den Trümmern von Mossul versucht; doch vergeblich. Aus unzähligen auch während der Besatzung in der Stadt gebliebenen Familien hatte der IS einen oder mehrere männliche Mitglieder zwangsrekrutiert. Deren Frauen und Mütter gelten nun als gebrandmarkt, werden von ihren einstigen Nachbarn gemieden und geächtet.

 „Viele von uns Frauen sind jetzt allein“, klagt Um Ali, die mit ihren drei kleinen Kindern vor wenigen Monaten aus Mossul in ein Flüchtlingslager zurückgekehrt war, dem Nachrichtensender Al Jazeera. „Unsere Männer sind fort. Fast alle sind in den Umerziehungslagern interniert oder unter dem Schutt begraben.“

So prekär wie die Sicherheitslage ist auch die Lebenssituation. „Die Besetzung Mossuls ließ die Stadt zerstört zurück“, schreibt die Unesco. „Kein einziges Gebäude ist unbeschädigt, keine einzige Glasscheibe unzerbrochen.“

Ende Juni lud die Kulturorganisation der Vereinten Nationen dann zu einer internationalen Konferenz ins französische Chambord. „Den Geist von Mossul wiederbeleben“, lautete das Motto der Veranstaltung, die sich insbesondere um den Neuaufbau der nordirakischen Metropole mit ihren vielfältigen Kulturgütern bemühte – vom verwüsteten Nationalmuseum, dessen Schaustücke entweder zerschlagen oder aber für Devisen an wohlhabende Ausländer verkauft wurden, bis hin zur geplünderten Jona-Moschee, dem Grabmal des biblischen Propheten Jonas, dessen heilige Reliquie, der Zahn eines Walfischs, seit der Herrschaft des IS als verschollen gilt.

Die Kosten dafür sind enorm und werden mit umgerechnet rund 1,7 Milliarden Euro veranschlagt. Diese Kalkulation enthält nur das Notdürftigste an Infrastruktur und Wohnraum sowie an Wasser- und Stromanschlüssen. Doch dafür muß die ausgebombte Stadt erst einmal von den Trümmern geräumt, die Straßenzüge von Terrorzellen und Sprengfallen befreit, eine medizinische Grundversorgung wiederhergestellt werden. Allein am 2017 heftig umkämpften Westufer sind immer noch über 53.000 Häuser bis auf die Grundmauern zerstört. Getan wurde vom irakischen Staat jedoch bislang wenig.

„Es liegen noch immer Leichen unter den zerstörten Häusern, und die Regierung unternimmt nichts, um diese zu beseitigen“, berichtet verzweifelt Mohammed Alla, einer der Rückkehrer nach Westmossul. „Wegen des Verwesungsgestanks in der ganzen Gegend können wir nicht atmen, niemand kann dort entlanglaufen.“