© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Letzte Rettung Rousseau
Italien: Nach dem mit Spannung erwarteten Onlinevotum der Fünf-Sterne-Bewegung ist die Karriere von Innenminister Salvini erst einmal Geschichte
Marco F. Gallina

Nicola Zingaretti, Chef des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) twitterte betroffen über die „Mare Jonio“: „Diese Sachen wollen wir nicht mehr sehen. Das ist unmenschlich.“ Das NGO-Schiff bildet den Aufhänger für die aktuelle Migrationsdebatte. Die Amtszeit von Innenminister Matteo Salvini ist angezählt – und der PD hat seit deren Beginn gegen die Migrationspolitik der Regierung gewettert. Die Sozialdemokraten fraternisierten nicht nur mit den NGOs und forderten offene Häfen. Der PD forderte sogar die Ehrenbürgerschaft für Carola Rackete. 

Für die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), die derzeit mit dem PD über die Regierungsbildung verhandelt, ist das ein schweres Pfand. Die Partei von Vizepremier Luigi Di Maio übernahm bisher die migrationsskeptische Ansicht ihres (Noch)-Koalitionspartners von der Lega. Die Popularität der Massenimmigration hält sich in Italien in engen Grenzen. Der parteilose Ministerpräsident Giuseppe Conte hatte bereits vergangene Woche angeboten, sämtliche Dekrete Salvinis zurückzuschrauben. Dabei war die Migration eines der Felder, bei der die gelb-grüne Regierung Punkte sammelte. 

Nicht nur auf diesem Feld drückt der neue Juniorpartner dem Regierungspartner seine Wünsche auf. Auch soll Di Maio sein Amt als Vizepremier räumen. Im M5S gewannen kritische Stimmen Raum, die anmahnten, daß Conte vor seiner Karriere PD-Wähler war. Die Befürchtung: die ehrlichen Dilettanten vom M5S könnten von den korrupten Politprofis des PD gerupft werden. 

Berlusconi zeigt sich als staatstragender Politiker 

Die neue Koalition eint nur die Besitzstandswahrung – und die Verhinderung von Neuwahlen, bei denen der geschaßte Salvini der neue starke Mann Italiens werden könnte. Der fordert Neuwahlen und sagt: „Mir scheint, daß Di Maio ein Opfer Contes geworden ist, ein Anwalt des Volkes, der zum Anwalt Merkels geworden ist.“ Die alte Kaste greife neuerlich nach der Macht. Parallel dazu kündigte Salvini eine Großkundgebung an. Die Demonstration solle am 19. Oktober in Rom stattfinden und zu einem „großen Tag des italienischen Stolzes“ werden, erklärte der Lega-Chef in einem Onlinevideo.

Daß es sich nicht nur um ein Narrativ handelt, zeigt der Fall Silvio Berlusconi. Nach Matteo Renzi ist auch der „Cavaliere“ wieder auf den Plan getreten. Der sagt zu Conte: „Wenn es Probleme gibt, dann sind wir bereit.“ Berlusconi inszeniert sich als verantwortlicher Staatsmann, pro-europäisch und vermittlungsbereit – und brüskiert damit das rechte Lager. Eine Revanche für den Sommer 2018, als Salvini zugunsten einer Koalition mit dem M5S aus dem Rechtsbündnis ausschwenkte.

Di Maio ahnt wohl, daß er in eine Falle getappt sein könnte. Eine letzte Reißleine bot das Onlinevotum auf der M5S-Plattform „Rousseau“. Über wichtige Entscheidungen der Partei stimmen die Mitglieder basisdemokratisch ab. Kurzfristig hatte der M5S das Votum für den 3. September angesetzt. Di Maio warb für ein Ja zur Koalition mit den Sozialdemokraten und die Basis folgte ihm. 79,3 Prozent der M5S-Mitglieder votierten mit „Si“.