© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Holz statt Stahlbeton
Baustoffe: Nach Autos, Flugzeugen und Kraftwerken ist nun die Zementindustrie im Visier der Klimaaktivisten
Paul Leonhard

Ein graues Pulver aus gebranntem Kalkstein und Ton ist nach Autos, Flugzeugen, Heizungen, Kohlekraftwerken, Kühen, Metallerzeugung und Schiffen als Klimakiller in die Schlagzeilen geraten: Wenn in Zementöfen Kalkstein in Zementklinker umgewandelt wird, ist dies eine chemische Reaktion, die Kohlendioxid freigesetzt. Das sind etwa 55 Prozent des CO2-Ausstoßes der Branche. Für 45 Prozent sind Prozeßwärme und Stromverbrauch verantwortlich.

Bedingt durch den Siegeszug des Stahlbetons im 20. Jahrhundert sind die Zementhersteller für etwa acht Prozent der globalen menschengemachten CO2-Emissionen verantwortlich. Das ist mehr als 1,3 Milliarden Inder (6,6 Prozent) verursachen und siebenmal soviel, wie die deutsche Volkswirtschaft ausstößt. Daher wird nun die Zementbranche zum nächsten Ziel der Klimaaktivisten und der ihnen folgenden Politiker.

Gutbezahlte Tarifarbeitsplätze in Gefahr

Betroffen ist damit – einschließlich vor- und nachgelagerten Branchen (Transportbeton, Fertigteile, Mörtel) – ein Industriezweig mit mindestens 70.000 Arbeitsplätzen allein in Deutschland. Davon knapp 8.000 direkt in den noch bestehenden 53 deutschen Zementwerken. Hier werden jährlich 34 Millionen Tonnen Zement (Indien 290 Millionen Tonnen; Türkei 84 Millionen Tonnen) hergestellt und dabei ein Umsatz von 2,7 Milliarden Euro erwirtschaftet. Und es sind – im Gegensatz zur Dienstleistungsbranche – gutbezahlte Tarifarbeitsplätze: 3.848 Euro bei 38 Wochenstunden verdient ein Facharbeiter in NRW. Ein angelernter Zementmühlenwärter kommt auf 2.884 Euro, ein Abteilungsleiter auf 5.179 Euro.

Bisher galt Zement als wichtigster Bestandteil von Beton als unverzichtbar, wenn es um den Bau von Wohn-, Büro- und Industriegebäuden sowie einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur (Straßen, Brücken, Kanäle) in einer modernen industriellen Gesellschaft ging. Aber inzwischen werden Bauen für die „Ewigkeit“ und die weitverbreitete Stahlbetonbauweise hinterfragt, und es wird über Hochhäuser aus Holz nachgedacht.

Ungemach droht der energieintensiven Zementindustrie durch das Ende der kostenfreien Zuteilung von EU-CO2-Emissionszertifikaten, die die heimischen Hersteller bisher vor der Billigkonkurenz aus China, der Türkei oder Afrika schützen. Die Gefahr einer Abwanderung dieser Industrie bestehe „real nicht, dem stehen die aus Kostengründen möglichst kurz gehaltenen Transportwege bei Zement und Beton im Weg“, behauptet etwa Michael Schäfer, Leiter Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland.

Was Schäfer verschweigt: Die Verteuerung der Zementherstellung durch eine Ersteigerung von Emissionsrechten würde dazu führen, daß es sich beispielsweise für ägyptische oder russische Hersteller (Jahresproduktion derzeit je 55 Millionen Tonnen) lohnen würde, Zement nach Deutschland zu verschiffen. Denn der Transport einer Tonne Zementklinker kostet weniger als zehn Euro. Aber der Transport verursacht noch einmal ein Fünftel soviel „Klimagas“ wie die Produktion. Und die deutsche Zement-Industrie setzt viel energieeffizientere Drehöfen ein als die Produzenten außerhalb der EU.

Die deutsche Zementindustrie hatte sich bereits 1995 freiwillig verpflichtet hatte, den spezifischen Brennstoffenergieverbrauch erheblich zu verringern. Und als Beitrag zur Klimaschutzvereinbarung zwischen Bundesregierung und Wirtschaft vom November 2000 sagte sie nicht nur zu, ihre energiebedingten CO2-Emissionen um 28 Prozent zu vermindern, sondern übertraf dieses Ziel sogar deutlich. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung bescheinigte dem Industriezweig für 2012 eine Senkung der energiebedingten spezifischen CO2-Emissionen um rund 49 Prozent im Vergleich zu 1990.

China produziert 70mal soviel wie Deutschland

In der Klimaschutz-Debatte fordert Bernd Scheifele, Chef des Baustoffkonzerns HeidelbergCement, von der Politik volkswirtschaftlich effiziente Lösungen.Auch werde sich die EU mit der Frage beschäftigen müssen, ob sie Klimazölle auf Zement aus Ländern erhebt, in denen keine CO2-Abgaben anfallen. Der Konzern selbst will auf alternative Brennstoffe wie Biomasse, neue Rohstoffe sowie das Recycling von Zement und Beton setzen. Ziel sei es, bis spätestens 2050 den Kohlendioxid-Ausstoß bei der Beton-Produktion auf null zu drücken, versichert Scheifele. Damit liegt er auf einer Linie mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze, die auf einer Veranstaltung des Verbands der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) in Düsseldorf mahnte, „wenn wir mit der nächsten Generation auf diesem Planeten weiterkommen wollen, dann müssen wir bis 2050 treibhausgasneutral sein“.

Die WWF-Studie „Klimaschutz in der Beton- und Zementindustrie. Hintergrund und Handlungsoptionen“ versucht aufzuzeigen, wie Treibhausgas­emissionen reduziert werden könnten. So durch den Ersatz des Kalksteins durch Schlacke, Tonerde oder Flugasche. Allerdings ist letztere ein Nebenprodukt der Kohlekraftwerke. Australische Wissenschaftler haben ein Verfahren entwickelt, bei dem Kalkstein durch kohlenstofffreies Magnesiumsilikat ersetzt wird. So werde bei der Zementherstellung der Atmosphäre sogar CO2 entzogen. Die Firma, die das Verfahren angeboten hat, ist mangels Investoren pleite.

Der WWF fordert Regelungen, nach denen die „Verwendung von Zementen und Betonen mit reduziertem Klinkeranteil“ möglich wird. Eine Revision der Normen sei bisherher nicht gelungen, „obwohl zahlreiche Forschungen belegen, daß die technischen und bauphysikalischen Eigenschaften der Alternativprodukte den konventionellen Produkten gleichwertig“ seien, beklagen die Studienautoren. Der Einsatz von Recycling-Beton würde bisher nur von Baden-Württemberg und Berlin unterstützt.

Baurechtliche Hemmnisse (Stichworte: Landesbauordnungen, Brandschutz) für den Holz-Einsatz seien zügig abzubauen. Bei Ausschreibungen für öffentliche Gebäude müsse heimisches Laubholz für Baukonstruktionen und tragende Bauteile bevorzugt werden, heißt es in der WWF-Studie, die auch einen Leitmarkt für CO2-armen Zement und Beton fordert. Noch besser wäre es, gesetzlich zu verlangen, energieintensive Baumaterialien wie Beton und Stahl zu vermeiden und durch Alternativen zu ersetzen. Noch fehle es aber Bauherren und Planern an Problembewußtsein.

Am Weltklimawandel würde ein deutscher Betonverzicht bei gleichzeitigem Holzboom allerdings kaum etwas ändern: Allein China erzeugt 2,4 Milliarden Tonnen Zement jährlich – etwa 70mal soviel wie Deutschland.

 wwf.de/