© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Nicht mehr Müllhalde der Welt sein
Philippinen: Das Land leidet unter dem Abfall der westlichen Welt / Präsident Rodrigo Duterte droht Kanada sogar mit Krieg
Hinrich Rohbohm

Immer enger werden die Straßen. Schlamm spritzt auf, als unser Wagen sich den berüchtigten Müllbergen von Cebu City nähert. „Da wollen sie hinfahren? Sorry, ohne mich“, sagen gleich mehrere Taxifahrer, als wir sie darum bitten, uns in jenes Gebiet zu fahren, in dem Gestank und giftige Dämpfe die Menschen krank werden läßt. 

Der Barangay von Inayawan ist ein Gebiet, daß Filipinos meiden. Ein Bezirk, in dem Morde, Gewalt und Kriminalität an der Tagesordnung sind. Nur die Ärmsten bleiben, leben vom Weggeworfenen. Verwahrloste Kinder. Alte, bis über das Gesicht in Tüchern eingewickelte Frauen, die in den giftigen Dämpfen zwischen Tausenden Müllsäcken und Plastikflaschen nach Verwertbarem Ausschau halten. 

Auch China will die Umwelt schützen

Nachdem China im vergangenen Jahr den Import von Plastikabfällen gestoppt hat, sind es nun vor allem die südost-asiatischen Staaten, die ihn aufnehmen. Länder wie Bangladesch, Thailand, Malaysia, Indonesien und die Philippinen zählen nun zu den Hauptabnehmern. Es sind Orte wie Jenjarom, in der Nähe der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur, die indonesische Insel Batam auf der gegenüberliegenden Meerseite zu Singapur oder die Subic Bay nördlich von Manila, in denen der Müll landet. Oder eben im Bezirk Inayawan von Cebu City, Hafen-Drehkreuz und zweitgrößte Stadt der Philippinen.

Die Straße wird zunehmend unwegsamer. Der Gestank dringt durch die Lüftung ins Innere des Fahrzeugs. Unser Fahrer hat sich inzwischen eine Atemschutzmaske übergezogen. Dann geht es nicht mehr weiter. „Die Räder drehen sonst durch und wir stecken fest“, meint der Fahrer. Pkws sind hier nicht mehr anzutreffen. Nur noch mit Müll beladene Lkws bahnen sich ihren Weg durch tiefe Pfützen, den schlammigen Brei, um weitere Plastikabfälle anzuliefern. Männer stochern im Müll herum, auf der Suche nach Nützlichem. 

Wir steigen aus. Schon nach wenigen Minuten wird der Geruch unerträglich. Es folgen Kopfschmerzen und Übelkeit. „Nachts ist es am schlimmsten“, sagt eine Frau, die etwas weiter abseits der Müllberge einen der kleinen fliegenden Läden betreibt. Dann würden die Recyclinganlagen arbeiten, die den Plastikmüll einschmelzen und jene giftigen Dämpfe erzeugen, die die Lungen der Menschen zum Brennen bringen. 

Müll, der zumeist aus Europa und den USA stammt. In Deutschland hatte Anfang der neunziger Jahre der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) das Dosenpfand eingeführt. Zahlreiche Experten meldeten Bedenken an. Die rot-grüne Koalition unter dem späteren Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) setzte es dennoch um.

 Mit der Folge, daß die Dosen teils teurer wurden als ihr Inhalt. Ein zweifelhafter Erfolg. Die Zahl der Dosen verringerte sich zwar. Doch die Industrie kompensierte sie nun mit billig produzierbaren Plastikflaschen, deren Anzahl nun rapide anstieg.

Ihr Recycling-Prozeß ist aufwendig und teuer. Die hohen Kosten und die mangelnden Kapazitäten sind der Grund, weshalb der Plastikmüll seinen Weg zumeist nach Fernost findet. Auch ins weite Meer des Pazifiks, in dem inzwischen ganze Plastikteppiche wie große Inseln über die Gewässer ziehen. Lange Zeit aber auch nach China, das bisher 56 Prozent des weltweiten Plastikmülls zur Weiterverwertung importierte. 

Doch diese Zeit ist seit eineinhalb Jahren vorbei. Denn wie Europa möchte nun auch das Reich der Mitte mit Umweltschutz für die Lebensqualität seines Landes werben. Ein Schock für die Recyclingindustrie, die nun auf neue Standorte der südostasiatischen Staaten wie Vietnam, Thailand, Malaysia, Indonesien, Bangladesch oder die Philippinen ausweichen muß. Aber auch diese Länder haben mittlerweile damit begonnen, sich zu wehren. 

So mußte Kanada etwa mehr als 1.300 Tonnen Müll zurücknehmen, der von dort auf die Philippinen exportiert worden war. Plastikflaschen und Plastiktüten, aber auch gebrauchte Windeln und Altpapier. Der philippinische Staatspräsident Rodrigo Duterte hatte sich daraufhin höchstpersönlich eingeschaltet, nachdem die kanadische Regierung die Rücknahme des Mülls mit dem Argument verweigert hatte, daß es sich um ein privates Geschäft handele. Ein Konflikt, der so weit eskalierte, daß die Philippinen ihren Botschafter aus Kanada abzogen und Duterte dem nordamerikanischen Land sogar mit einem  „Krieg“ drohte. Schließlich mußte der Frachter mitsamt seiner hochproblematischen Ladung die Rückreise von Subic Bay zurück nach Vancouver antreten. 

„Dies ist ein Moment des Stolzes für alle Filipinos“, hatte die Chefin der Hafenbehörde von Subic Bay bei der Abfahrt des Frachters verkünden lassen. Und auch Malaysia hatte im Mai dieses Jahres bereits angekündigt, 4.000 Tonnen Abfall in die Herkunftsländer zurückzubringen. 

Nicht ohne Grund. Denn wie in China ist der wachsende Müllberg auch in den südostasiatischen Staaten längst zum Politikum geworden. In Cebu City etwa sind die Probleme mit der Abfallentsorgung zunehmend Gegenstand der Berichterstattung in den Medien. „Die Aufnahmekapazitäten haben auch bei uns einen kritischen Punkt erreicht“, erklärt ein einheimischer Journalist gegenüber der JF. Daher soll der Abfall aus Cebu City herausgebracht und auf die Provinzen verteilt werden. 

Was auf Widerstand der betreffenden Gegenden trifft, die sich immer stärker zu einer Anti-Müll-Bewegung zusammenschließen. „Wir wollen nicht länger die Müllhalde der Welt sein“, sagt Lorraine, eine Anwohnerin in unmittelbarer Nähe zu den Müllbergen von Inayawan.

 Die 25jährige wehrt sich gemeinsam mit weiteren Bewohnern gegen die Ausweitung der Plastikmüll-Einfuhr. Eine längst landesweite Widerstandsbewegung, die auch der Politik nicht verborgen geblieben ist. „Die giftigen Dämpfe sind eine Gefahr für alle Menschen hier. Wir leiden hier, damit man in Europa ein gutes Umweltschutz-Gewissen haben kann“, kritisiert sie. Vielmehr müßten die Herstellerländer ihren Abfall bei sich selbst recyceln. „In Europa würde das besser erfolgen als hier, wo auf die Gesundheit der Menschen bisher zuwenig Rücksicht genommen wird.“

Der Abend bricht an. Rasch versinkt die Sonne am Horizont. Erste Lichter gehen an. „Du solltest jetzt besser von hier verschwinden“, meint Lorraine mit einem besorgten Blick. „Nachts ist ist es hier lebensgefährlich.“ Auch, aber nicht nur aufgrund der giftigen Dämpfe.