© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Während einer Debatte über die Kosten der Migration in der französischen Nationalversammlung bestätigte die Regierung, daß an Asylsuchende eigene Kreditkarten ausgegeben würden und daß man darüber pro Monat eine Summe von 42 Millionen Euro abrechne.

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Es gibt auch im Hinblick auf Gesten Modeerscheinungen: so, wenn Frauen sich neuerdings mit dem Handrücken das Haar zurückstreichen.

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Bildungsbericht in loser Folge CXXII: In der Welt hatte eine Redakteurin den traurigen Mut, angesichts der Sommerdebatte über die fehlenden Deutschkenntnisse unserer Erstkläßler das französische Erziehungssystem als Vorbild zu empfehlen. Bei unserem Nachbarn vermittele die Vorschule sicher die notwendigen Grundlagen für den Spracherwerb. Dazu folgende Anmerkung: Eine internationale Vergleichsstudie zum Bildungs- und Kenntnisstand von Zehnjährigen hat ergeben, daß die französischen Schüler 511 Punkte erreichten, während der Durchschnitt der übrigen EU-Staaten bei 540 Punkten und der der OECD-Länder deutlich darüber lag; hinzu kommt, daß die französischen Leistungen sich seit fünfzehn Jahren kontinuierlich verschlechtern und sechs Prozent der französischen Schüler nicht einmal elementaren Anforderungen genügen. Bei den Pisa-Studien erreichte Frankreich zuletzt den 27. Rang im weltweiten Vergleich, den 21. unter den 35 OECD-Mitgliedern. In einem ausschließlich auf Frankreich bezogenen Test der Lesefähigkeit von Sechzehn- bis Fünfundzwanzigjährigen wurde bei 11,5 Prozent Analphabetismus festgestellt. Das Bild wäre unvollständig ohne Hinweis darauf, daß zwar drei Viertel aller französischen Jugendlichen ein Abitur machen, aber die Professoren zunehmend verzweifeln angesichts fehlender Kenntnisse, der immensen Zahl von Studienabbrechern und von Absolventen, die keine ihrer Qualifikation entsprechende Arbeit finden können.

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Die Debatte um die Bilder Emil Noldes im Bundeskanzleramt und deren Entfernung aus Gründen politisch-moralisch-historischer Korrektheit hatte doch immerhin zur Folge, daß bezüglich der Kunst der NS-Zeit ein paar Fakten zur Geltung gebracht wurden, die zwar nicht unbekannt sind, aber regelmäßig in Vergessenheit geraten. Dazu gehört nicht nur, daß im Hinblick auf die damals verfolgten Stilrichtungen ein erheblicher Pluralismus bestand, daß der Geschmack der NS-Führung alles andere als homogen war, daß es braune Größen gab, die „entartete“ Maler oder Bildhauer schätzten und deren Werke sammelten, daß Künstler zwar als „entartet“ deklariert, dann aber offiziell gezeigt und sogar ausgezeichnet wurden. Aufschlußreicher als solche Feststellungen ist aber noch die Art und Weise, wie nach 1945 mit der Kunst der NS-Zeit umgegangen wurde. Unmittelbar nach dem Zusammenbruch kam es zu einer großen Zahl regulärer Beschlagnahmen und irregulärer Diebstähle. Das galt auch für die Westzonen, vor allem die amerikanische. Dabei ging es einerseits um die Sicherung von Kriegsbeute, andererseits um die Sorge, daß die Kunst der NS-Zeit ihre Wirkung auf die Betrachter nicht eingebüßt haben könnte. Die Entfernung aus dem öffentlichen Raum hatte insofern auch mit dem Programm der Umerziehung zu tun, die dann im weiteren vermittelte, daß es eine demokratische – im Regelfall: abstrakte – und eine autoritäre – im Regelfall: gegenständliche – Kunst gebe. Die Vorstellung ist bis heute tief verankert, so daß die Verantwortlichen es auch mehr als siebzig Jahre nach dem Ende des „Dritten Reiches“ für zu gewagt halten, Werke von Künstlern dauerhaft und kommentarlos zu zeigen, die zwischen 1933 und 1945 wohlgelitten waren. Indes kann der rigide Dualismus – hie die gute Moderne, da die böse Anti-Moderne – auch zur langdauernden Wertschätzung eines Künstlers wie Nolde führen, weil der eben ein Moderner war, der trotz seiner ästhetischen Präferenz den Führer liebte, völkische Ideen pflegte, Juden für ein Unglück hielt und in die Partei eintrat.

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Integration: „FAS: Und sagen wir, du wohnst jetzt noch zwanzig Jahre in Deutschland, was bist du dann? – Hilin: Eine Ausländerin. – FAS: Immer noch? Mit was hat es denn zu tun, ob man Ausländer ist oder nicht? Mit dem Geburtsland wohl nicht, sonst würde Susann ja sagen, sie sei Deutsche. – Hilin: Ich denke, es ist verwirrend, wenn die Eltern aus einem anderen Land kommen und man eine eigene Muttersprache spricht – dann ist es komisch zu sagen, man ist deutsch. Denn die Muttersprache ist ja nicht deutsch. Ich denke, man sagt nur: ‘Ich bin Deutsche’, wenn die Muttersprache Deutsch ist. – FAS: Also wenn du dann später mal einen Deutschen heiratest, Susann, dann könnten deine Kinder sagen, sie seien Deutsche, oder? – Susann: Ich würde sagen, die sind dann halb-halb.“ (aus einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit zwei Mädchen fremder Herkunft; Ausgabe vom 1. September 2019.)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 20. September in der JF-Ausgabe 39/19.