© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Das Geschiebe rutscht weg
Kino: In „Petting statt Pershing“ zeigt Petra Lüschow auf witzige Weise, wie sich Linksalternative in der westdeutschen Provinz etablierten
Sebastian Hennig

Unter dem Titel „Es ist aus, Helmut“ lief der erste Spielfilm von Petra Lüschow bereits auf Festivals. Als „Petting statt Pershing“ gelangt er nun in die Kinos. Die westdeutsche Provinz des Jahres 1983 ist der Schauplatz oder besser Spielplatz der Handlung, denn die Personen benehmen sich alle sehr kindisch. Lüschow hat 2010 den Kurzfilm „Der kleine Nazi“ gedreht, einen dreiminütigen Bocksgalopp über die Verdrängung und Überkompensation von Familiengeschichte. Solche tiefsinnigen Kalauer zum ernsten Thema prägen auch ihr Spielfilmdebüt.

Allerdings dehnen sie sich hier über anderthalb Stunden und zeigen, daß Lüschow eher eine Gagschreiberin als eine Drehbuchautorin ist. „Komik ist gewandelter Schmerz. Es gibt Dinge, die sich präziser ausdrücken lassen, wenn man sie komisch erzählt“, bekennt sie. Doch aus den beziehungsreichen und erkenntnisfördernden Witzen will sich letztlich keine wirkliche Handlung fügen. Zwischen den kurzweiligen Scherzen bleibt der Film langweilig. Das ist schade, denn die Ansätze sind vielversprechend in den Charakteren und ihren Beziehungen zueinander angelegt. 

Aktivisten einer ratlosen wie rastlosen Emanzipation

Als sich eine linksalternative Lebensgemeinschaft in einem Bauernhof etabliert, gerät dadurch das Geschiebe des Provinzlebens derart ins Rutschen, daß die Verursacher schließlich selbst darunter begraben werden. Die entfesselten Energien der Einheimischen zerquetschen sie, die sich daraus doch nur einen Antrieb bauen wollten. Ganz ohne weltanschauliche Anfeindung führen die Befreiungsversuche vor allem des geschlechtlichen Trieblebens zu einer nicht steuerbaren Kettenreaktionen. Die Regisseurin schöpft hier aus dem eigenen Erleben. Sie war zum Zeitpunkt der dargestellten Handlung dreizehn Jahre alt, hat „Artikel gegen Neonazis und über Umweltschutz“ verfaßt. Daß sie die Jüngste in der Gruppe war, ließ sie zur Beobachterin des Treibens werden. „Mich hat schon als Jugendliche beschäftigt, wie viele ihre Widersprüche so verwischen, daß sie die Ideale überhöhen, aber vergessen, wer sie wirklich sind, woher sie kommen, was sie vielleicht geformt hat.“ 

Häuptling der Weltverbesserer ist der Lehrer Siegfried Grimm (Florian Stetter). Mit seinem verständnisinnigen Gesäusel bringt er die Frauen auf seine Seite und entlarvt sich aber letztlich als Phrasen dreschenden Egoisten. Bald nachdem er die gescheite, aber dickliche Ursula Mayer (Anna Hornstein) nach einer öffentlichen Demütigung durch ihren Mitschüler Ralf (Oskar Bökelmann) tröstend in die Arme geschlossen hat, wirkt er ebenso begütigend auf deren Mutter Inge Mayer (Christina Große) ein, die seine Kollegin ist.

Die verfällt ihm völlig und blüht auf in mädchenhaftem Übermut. Sie agiert den Wunsch künstlerischer Betätigung in Handarbeiten aus. Als sie gerade das Haus verlassen will, begegnet sie Grimm, dessen Blick durch die Tür auf eine wandfüllende Strickarbeit mit der Abschiedsbotschaft an ihren Mann fällt. Verlegen bejaht sie die Nachfrage, ob damit Helmut Kohl gemeint sei und gleich ist das Bündnis geschlossen.

Ihr Mann Helmut (Thorsten Merten) pflegt eine Affäre mit der Sportlehrerin Karin Teichert (Barbara Philipp), bis diese ihm davonläuft, um gleichfalls in Grimms Armen ihre Zuflucht zu finden. Wobei ihn seine Mitbewohnerin Erdmut (Britta Hammelstein) ertappt. Er ist nun entsetzt darüber, daß die Damen nicht einfach durch ihn frei sein wollen, sondern wiederum Besitzansprüche geltend machen.

Großvater Mayer (Hermann Beyer) wurde aus Königsberg vertrieben. Wie er am Abendbrottisch zu berichten beginnt, überfahrt ihn der Sohn sogleich. Als Ursula ihn dann auffordert „Erzähl vom Krieg“ knurrt er „Weiß ich nicht. Das ist alles weg.“ Nachdem er mit seinen aufbewahrten Kriegswaffen die Landkommune vor einer vermeintlichen Bedrohung retten will, fällt er eines Tages tot vornüber auf den Küchentisch, die rechte Hand greift noch mit ausgestreckten Fingern nach einem Pralinenkasten. Wie der Tote aufgerichtet wird, reckt sich sein erstarrter Arm zum Hitlergruß. „Helmut, mach das weg!“ kreischt die Schwiegertochter des Verstorbenen.

Hier gestattet sich Lüschow eine Wiederaufnahme des Grundmotivs ihres Kurzfilms. Die Lacher sind ihr sicher, so wie Erdmut das ihrer geneigten Zuhörer, als sie diesen seherisch verkündet, für ökologisch erzeugte Lebensmittel werde es einmal eigene Supermärkte geben. Wie wir wissen, war das noch mit Abstand das beste, was uns die Aktivisten dieser ratlosen wie rastlosen Emanzipation beschert haben.

Kinostart am 5. September 2019