© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Der Schuldschein des „Hexers“
Fall Flade: Bis heute zahlt die Stadt Trier Zinsen für einen Inquisitionsprozeß
Martina Meckelein

Ein Schuldschein, ein Hexenprozeß und ein Todesurteil – das sind die Zutaten eines seit 430 Jahren bestehenden Skandals. Aus dem Hexenwahn Geld zu schlagen – und das bis heute – dieses Kunststück bringt die katholische Kirche fertig. Schuldnerin ist die Stadt Trier. Interventionen der Stadt blieben bisher erfolglos. Doch jetzt scheint endlich Bewegung in den „Fall Flade“ zu kommen. „Es gibt wirklich positive Gespräche zwischen der Stadt und der Kirche“, sagt Michael Schmitz, Sprecher der Stadt Trier gegenüber JUNGEN FREIHEIT.

Ein Blick zurück: Die Jahre ab der Mitte des 16. Jahrhunderts sind in Trier unsicher. Kriege und Glaubensspaltungen setzen der Stadt zu. Hungersnöte und Seuchen brechen aus. Und dann begeht der Rat einen folgenschweren Fehler: Er will 1568 die Anerkennung als Reichsstadt durchsetzen, immerhin tagte 1512 unter Kaiser Maximilian I der Reichstag in Trier. Zwölf Jahre dauert der Reichsunmittelbarkeitsprozeß – den die Stadt verliert. Ein politisches Desaster für Trier, aber darüber hinaus auch ein finanzielles. Das langwierige Verfahren hat enorme Kosten verursacht. So leiht sich die Stadt am 1. Juni 1581 von einem ihrer wohlhabendsten Bürger, Dietrich Flade, 4.000 Rheinische Goldgulden (rund 1 bis 1,5 Millionen Euro), zu einer Verzinsung von fünf Prozent – macht pro Jahr 200 Gulden.

Wer ist dieser Mann? Dietrich Flade, geboren 1534, ist ungemein wohlhabend und einflußreich. Doktor beider Rechte, Rektor der Universität, Präsident des Hochgerichtes und Stadtschultheiß von Trier und das heißt: Er ist der Stadthalter des Kurfürsten, sein weltlicher Berater. Sein theologisches Pendant beim Kurfürsten ist der Trierer Weihbischofs Peter Binsfeld, der einer der führenden Theoretiker hinter dem Hexenglauben ist.

Ab 1586 erschüttern Hexenprozesse erst das Trierer Umland, dann dringt der Wahn durch die Mauern der Stadt. Und hier gerät die Oberschicht ins Visier der Jesuiten. Auch Flade wird mehrfach denunziert – und zwar von Kindern. Einen guten Einblick dazu geben Wolfgang Behringer und Claudia Opitz-Belakhal in dem Buch „Hexenkinder – Kinderbanden – Strassenkinder“, die sich darin ausdrücklich auf das Fladische Verfahren beziehen. Danach dienten die „von den Jesuiten beherbergten „Hexenbuben“ als letztlich entscheidende Belastungszeugen gegen Männer der Führungsschicht…“

Kinder denunzieren ihn, Flade gesteht unter Folter

Flade wird auf Befehl des Erzbischofs und Kurfürsten Johann VII. von Schönenberg im Juli 1588 unter Hausarrest gestellt. Der Jurist, selbst zuvor an Hexenprozessen beteiligt, ahnt, was auf ihn zukommt und flieht am 3. Oktober aus der Stadt, wird jedoch neun Tage später gefangen und zurück nach

Trier gebracht. Wieder Hausarrest. Dann im April des folgenden Jahres Haft und mehrfache Folter.

„Der Anklagepunkte waren acht, die sich namentlich auf Flades angebliche Theilnahme an den Hexenversammlungen der Hetzeroder Haide, auf zauberische Beschädigung von Wein, Korn, Feldern, auf Mahlzeiten in Gesellschaft der Teufel u. s. f. bezogen; eine Zeugin aus Hentern deponirte, F. habe auf der Hetzeroder Haide ein Faß voll Schnecken aus schwarzem Schmert gemacht und diese Schnecken in des Teufels Namen hinter sich in den Kornsamen geworfen, um denselben zu verderben.“ So berichtet es die Allgemeine Deutsche Biographie 7 (1878).

Flade gesteht die Vorwürfe, und er nennt unter der Folter weitere Verdächtige. Tage vor seiner Hinrichtung macht er sein Testament. Am 18. September 1589 wird er durch ein weltliches Gericht wegen Hexerei zum Tode verurteilt. Er soll verbrannt werden. Hierzu führen ihn die Scharfrichter und Henkersknechte  in eine Strohhütte. Dort wird er, weil er geständig war, als Gnadenakt erdrosselt. Anschließend wird die Hütte in Brandgesteckt, Flades zu Asche verbrannter Leib in alle Winde verstreut.

Die Historikerin Rita Voltmer nennt in einem Ausstellungskatalog des Deutschen Historischen Museum (2002) neben Flade weitere Männer, die zwischen 1589 und 1594 in Trier wegen des Vorwurfs der Hexerei vor dem weltlichen Hochgericht des Kurfürsten angeklagt wurden, und schreibt: „Offensichtlich hatten sich die Männer durch die Vergabe von Krediten und die Erhöhung von Pachtzinsen in den Dörfern des Trierer Landes höchst unbeliebt gemacht.“ Die Möglichkeit über einen Hexenprozeß an das Eigentum des Unglücklichen zu gelangen, mag darüber hinaus ebenfalls ein Motiv gewesen sein.

Den Schuldschein über das Geld, daß Flade der Stadt 1581 geliehen hatte, erbte der Kurfürst. Flade, ein loyaler Beamter, hatte ihn in seinem Testament bedacht. Damit war nicht mehr der „Hexer“ Flade, sondern eben der Kurfürst Gläubiger der Stadt geworden.

„Der Kurfürst und Erzbischof Johann von Schöneberg verpflichtete in seiner Funktion als Landesherr die Stadt Trier am 4. Mai 1591 als Kompensation für das von Flade erhaltene und nicht zurückgezahlte Darlehen, dessen Schuldschein von Flade dem Kurfürsten vermacht wurde, die Zinsen künftig für wohltätige Zwecke zu verwenden“, erklärt Simone Bastreri von der Bischöfliche Pressestelle Trier gegenüber jungen freiheit. Die Zinsen aus 4.000 Gulden gingen jährlich an fünf Trierer Pfarreien.

2009 dringt die Stadt Trier auf die Streichung des Haushaltstitels: „Verpflichtung aus dem Fladeschen Nachlaß“. Als 2010 ein Antrag dazu eingereicht wurde, stellte die Trierer Stadtverwaltung klar, daß sich der Steuerungsausschuß mit dem Thema befaßt und den Oberbürgermeister gebeten habe, „die Verantwortlichen der Katholischen Kirche zu kontaktieren, um mit ihnen über die Zahlungsverpflichtung der Stadt zu sprechen. Dieses Gespräch fand im Februar 2010 statt. Die Pfarrei Liebfrauen vertritt die Auffassung, daß der Titel im Haushalt erhalten bleiben müsse. Er ermögliche an dieser Stelle eine ständige Erinnerung an die Opfer des Hexenwahns. Das Geld komme ausschließlich sozialen Zwecken – hier: den über das Jahr bei der Pfarrei vorstellig werdenden Bettlern – zugute.“

Das Problem der Stadt: Sie kann nicht Zahlungen aus Verpflichtungen einseitig einstellen, auch wenn diese länger zurückreichen. „Dazu“, so Schmitz, „bräuchte es entweder ein aufwendiges und teures Rechtsgutachten, das feststellt, daß unsererseits keine Verpflichtung zur Zahlung besteht oder das Einverständnis des Empfängers der Zahlung, der Trierer Pfarrei Liebfrauen als Nachfolger der oben genannten Pfarreien.“

Knapp zehn Jahre herrschte Ruhe. In diesem Jahr wurden die Gespräche über die Zahlungen wieder aufgenommen. Ende August gab es zwischen dem Bürgermeister und der Kirche wieder einmal Gespräche über die Zinszahlungen aus dem Fladeschen Hexenprozeß. Stadtsprecher Schmitz: „Dabei geht es um eine Neuausrichtung der Fladeschen Stiftung.“

Der aktuelle Betrag der jährlichen Zinszahlung der Stadt Trier an die Katholische Kirche liegt bei 362,50 Euro.