© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Es herrscht heute ein völliges Durcheinander
Der Wirtschaftswissenschaftler Fritz Söllner macht Vorschläge zu einer gesteuerten Migrationspolitik
Thomas Bargatzky

Fritz Söllner, Professor für Finanzwissenschaft an der TU Ilmenau, hat eine umfassende Analyse der deutschen und europäischen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik aus ökonomischer Sicht vorgelegt, die auch die politischen Aspekte dieses Themas nicht vernachlässigt. Das anschaulich geschriebene Buch wird auch den Anforderungen an eine wissenschaftliche Darstellung gerecht.

Söllner kritisiert die Debatte über die aktuelle Migrationskrise als unsachlich und polemisch, da sie sich vorwiegend mit gegenseitigen Anfeindungen begnügt und nicht ausreichend zwischen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik unterscheidet. Er vertritt den nationalökonomischen Standpunkt, daß wirtschaftspolitische Empfehlungen und Maßnahmen den nationalen Interessen zu dienen haben. Das schließe zwar Unterstützung und Hilfe für andere Länder keineswegs aus, Ansprüche oder Rechte darauf existierten jedoch nicht.

Die Gewinner der Migration im Zielland sind die Kapiteleigner und Arbeitgeber sowie diejenigen Arbeitnehmer, die nicht in Konkurrenz zu den Migranten stehen. Diejenigen Arbeitnehmer, die über vergleichbare Fähigkeiten verfügen und deshalb durch Migranten ersetzt werden können, zählen dagegen zu den Verlierern. Von einer Zunahme der Diversität können ferner sowohl Vorteile als auch Nachteile ausgehen, aber letztere überwiegen dann, wenn die Gesellschaft zu heterogen wird. Mit seiner Kritik am unreflektierten „Multikulti“-Enthusiasmus, den er nicht nur als naiv, sondern sogar als gefährlich einschätzt, beweist Söllner Mut.

Söllner zeigt, daß die europäische Asylpolitik ein „Deluxe-Recht“ geschaffen hat, das den einzelnen Staaten wenig Spielraum in der Flüchtlingspolitik läßt und geradezu zur Migration einlädt. Anhand vieler Statistiken wird die schlechte Qualifikation vieler Flüchtlinge belegt und gezeigt, welch geringe Chancen sie am Arbeitsmarkt haben und wie teuer sie Staat und Gesellschaft kommen. Besonders erschreckend ist, daß der Zuzug von Flüchtlingen die Sozialkassen keineswegs entlastet, wie dies teilweise immer noch behauptet wird, vielmehr „belastet jeder Flüchtling die öffentlichen Kassen im Laufe seines Lebens mit ungefähr 207.000 Euro“.

Überraschend ist der Schluß, daß die negativen Verteilungswirkungen der Flüchtlingskrise um so größer sind, desto besser die Flüchtlinge integriert werden. Wenn nämlich Hunderttausende von Flüchtlingen als Mindestlohnempfänger in den Niedriglohnsektor integriert werden, dann ist das keine Quelle des Wohlstands, sondern eine Quelle sozialer und politischer Konflikte und wirtschaftlicher Verluste. Kritische Stimmen werden jedoch ignoriert oder unterdrückt. Söllner zufolge stehen dahinter möglicherweise sowohl Interessenpolitik zugunsten der Profiteure der Flüchtlingskrise, als auch Naivität und das Unvermögen, die Probleme und Nachteile der Willkommenskultur zu sehen.

Falsche Anreize in Form zu großzügiger Sozialleistungen

Zur Erhaltung und Stabilisierung des deutschen Sozialsystems fordert der Autor die Absenkung von Sozialleistungen für Flüchtlinge und die Gewährung von Steuervergünstigungen für (qualifizierte) Einwanderer. Auch zur heiß diskutierten Frage der Seenotrettung liefert er anregende Denkanstöße. So sei es etwa langfristig humaner, Gerettete nach Nordafrika statt nach Italien zu bringen.

Die fehlende Rationalität der deutschen Migrationspolitik äußert sich darin, daß zum einen die Einwanderungspolitik ohne klar definierte Ziele und ohne eine langfristige Orientierung betrieben wird, woran auch das sogenannte „Einwanderungsgesetz“ nichts ändern wird, und daß zum anderen in der Flüchtlingspolitik falsche Anreize in Form zu großzügiger Sozialleistungen gesetzt werden. Es herrschen ein Wildwuchs an teilweise nur schwer überprüfbaren Asyl- und Duldungsgründen und eine inkonsequente Abschiebe- und Grenzschutzpolitik. Dadurch wird auch weiterhin eine große Zahl unqualifizierter Wirtschaftsflüchtlinge nach Deutschland gelockt. Diese Personen werden nicht konsequent abgeschoben, sondern man versucht, sie zu integrieren. Söllner sieht darin eine Vermischung von Flüchtlings- und Einwanderungspolitik.

Die notwendigen Reformen sind im Bereich der Einwanderungspolitik noch problemlos möglich, da diese von Deutschland selbständig betrieben werden kann. Im Fall der Flüchtlingspolitik ist dies aufgrund des gemeinsamen europäischen Asylsystems nicht möglich; hier setzt jede Reform eine Einigung auf europäischer Ebene voraus. 

Zudem bestehen weitere Hindernisse in Gestalt der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention, da diese in ihrer jetzigen Form mit einer rationalen Flüchtlingspolitik nicht vereinbar sind. Söllner fordert deshalb, beide auf den Prüfstand zu stellen und erhofft sich eine Migrationspolitik, die weniger durch Chaos und mehr durch System gekennzeichnet ist. Damit wäre schon ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine systematische und rationale Migrationspolitik getan.

Söllners Plädoyer kommt zur richtigen Zeit und sei allen bestens empfohlen, die Argumente für eine rationale Migrationspolitik suchen.

Fritz Söllner: System statt Chaos. Ein Plädoyer für eine rationale Migrationspolitik. Springer WissenschaftsVerlag, Wiesbaden 2019, gebunden mit E-Book, 262 Seiten, 22,98  Euro