© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Eine Branche im Zerrspiegel der Laienpresse
Aquakultur, Überfischung, Gentechnik – flottierende Halbwahrheiten rund um den Fisch
Dieter Menke

Wie Greta Thunberg (Kampfmotto: „Unite behind the science!“) kennt auch die von Gymnastiasten und Bachelor-Studenten dominierte deutsche „Fridays for Future“-Bewegung keine Selbstzweifel, denn „über 27.000 Wissenschaftler*innen allein im deutschsprachigen Raum stehen hinter uns und unterstützen unsere Forderungen“. Man agiere „im Namen der Wissenschaft“, und die wisse: „Die Bewältigung der Klimakrise ist die Hauptaufgabe des 21. Jahrhunderts.“

Andere „reale Bedrohungen für die menschliche Zivilisation“ scheint es kaum noch zu geben. Und wenn doch vermeintliche Nebenkriegsschauplätze thematisiert werden, dann führt ihre massenmediale Vermittlung in der Regel zu gröbsten Vereinfachungen. Eine Schwarz-Weiß-Malerei beherrscht denn auch die Berichterstattung über Fischzucht. Wobei die nicht selten apokalyptisch getönten Segmente „Aquakultur“, „Überfischung“ und „Gentechnik in der Fischzucht“ sich zu beliebten Spielwiesen der – wie Bernd Ueberschär sie nennt – „Laienpresse“ gemausert haben.

„Nie eine Fischzucht von innen gesehen“

Der Biologe, tätig in einem Büsumer Aquakultur-Unternehmen, weiß, wovon er spricht, wenn er schildert, wie negativ seine Branche „im Zerrspiegel der Medien“ erscheint (Ernährung im Fokus, 2/19). Aquakultur werde in den meisten Medien mit Massentierhaltung gleichgesetzt. Fischfutter sei praktisch so gefährlich wie ein beliebiges Pestizid, Zuchtlachs folglich der giftigste Fisch der Welt. Verbrauchern suggeriere man, Aquakultur sei des Teufels und die Fische daraus faktisch Sondermüll.

Es dränge sich bei diesen „einfach falschen“ Darstellungen der Verdacht auf, daß in Redaktionen „häufig nur noch gegoogelt und von bereits vorhandenen, zur Intention des eigenen Berichts passenden Berichten kopiert“ werde, „ohne selbst einen Faktencheck durchzuführen“. Fehlende Sachkunde verrate, daß die Autoren „nie eine Fischzucht von innen gesehen haben“. Lernunfähig kolportierten sie deshalb unverdrossen die alte Legende von den mit Antibiotika verseuchten norwegischen Lachsen.

Tatsächlich seien in den 1980er Jahren fünf Kilo Antibiotika pro Tonne Lachs verabreicht worden. Seit Anfang der 1990er würden die Tiere jedoch geimpft, der Antibiotika-Einsatz ging stetig zurück und liegt heute „bei null“. Ebenso unzutreffend sei die Behauptung „Massentierhaltung“. Illustriert werde diese Mär gern mit Fotos von sich dicht an dicht in Netzgehegen tummelnden Lachsen. Dabei entstünden solche Aufnahmen zur Fütterungszeit, wenn alle Fische an der Wasseroberfläche erscheinen, um einen Bissen zu erhaschen.

Außerhalb ihrer Tischzeit verfügen diese Lachse über ausreichend Platz. Norwegens Züchter begrenzten die Fischdichte in auf etwa 2,5 Prozent Fischanteil am Käfigvolumen. Was den Vorwurf „tierfeindlicher Produktion“ entkräfte: In Ställen britischer Freilandhühner entfalle auf einen engen Quadratmeter 27,5 Kilo Biomasse. Das sind 12,5 Kilo mehr als in den mit Norwegens Anlagen vergleichbaren Netzgehegen schottischer Lachszuchten.

Natürlich gebe es noch ungelöste Probleme wie Lachslausbefall oder zu optimierende Futterqualität. Aber die träten genauso bei Wildfischen auf, etwa bei Belastungen mit Schwermetallen oder Dioxinen. Es sei „reine Romantik zu glauben, daß wir in einer hochindustrialisierten Welt leben können, ohne nennenswerte ‘Fußabdrücke’ zu hinterlassen. Eine völlig unbelastete Quelle für Nahrungsmittel gibt es nicht mehr“.

 Und gerade der schwächere ökologische Fußabdruck empfehle die Aquakultur als Nahrungsquelle der Zukunft. Im Unterschied zu Schweinen, Rindern und Geflügel seien Fische nämlich bessere Futterverwerter. Ein Kilo Schweinefleisch koste drei, ein Kilo Rindfleisch sogar sieben Kilo Futter, während sich mit einem Kilo Pellets ein Kilo Lachsfleisch erzeugen lasse. Außerdem ist der Anteil an Eßbarem bei Fischen deutlich höher als bei Landwirbeltieren. Pro 100 Kilo liefern Lachse 68 Kilo eßbaren Anteil. Schweine erreichen 17 und Kühe lediglich kümmerliche vier bis zehn Prozent. Überdies fielen Wasserverbrauchs- und CO2-Bilanzen der Aquakultur positiver aus als bei der Landtierproduktion.

Perfektioniertes Kontrollregime

Zu allen Aspekten der Aquakultur bestünde ein „erhebliches Informationsdefizit“. Dem nicht nur das Vorurteil über angeblich fehlende Nachhaltigkeit entspringe. Auch über die ernährungspolitische Bedeutung, die dieser proteinreiche „blaue Acker“ angesichts der Bevölkerungsexplosion im globalen Süden gewonnen habe, scheine sich die Öffentlichkeit zu täuschen. 50 Prozent der heute angebotenen Fischprodukte stammen aus Aquakultur. Während sich die weltweite Fangmenge an Fisch auf jährlich 90 Millionen Tonnen eingependelt hat und sich kaum steigern lasse, erlebte die Aquakultur eine „blaue Revolution“, die seit 1990 fünf bis zehn Prozent Wachstum jährlich generierte, so daß 2025 wohl die 100 Millionen-Tonnen-Marke überschritten werde.

Matthias Bernreuther (Thünen-Institut für Seefischerei, Bremerhaven) beklagt das Halbwissen zur „Überfischung“. Dazu ist eine Begriffsklärung nötig: Anders als in Schlagzeilen oft unterstellt, gehe es dabei nie darum, die Ausrottung ganzer Arten zu verhindern, sondern um den Schutz einzelner Bestände. Spektakulärster Fall war in den 1980ern der Zusammenbruch der Kabeljaubestände vor Neufundland, auf den Kanada 1992 mit einem kompletten Fangstopp reagierte.

Heute mehren sich Zeichen für deren Erholung. Was die notorischen Tatarenmeldungen zur Überfischung als „größte Bedrohung für die Gesundheit der Meere“ genauso relativiere wie Berichte der UN-Agrarorganisation FAO. Demnach hat sich der Anteil überfischter Bestände von 1974 bis 2015 zwar von zehn auf 33,1 Prozent erhöht. Aber trotz des gleichzeitig erfolgten rasanten Weltbevölkerungsanstiegs gelten zwei Drittel der Bestände als so nachhaltig befischt wie jene des nordostarktischen Kabeljaus in der Barents- und Norwegensee, die risikolos jährliche Fänge von bis zu 900.000 Tonnen verkraften.

Was für Bernreuther gutem Management der Ressourcen geschuldet ist, das nur mit einem perfektionierten Kontrollregime funktioniert, an dem George Orwells „Großer Bruder“ seine Freude hätte. So wie Uwe Dittmer, Abteilungsleiter in der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), es darstellt, entgeht kein Kutter mehr dem EU-weit etablierten satellitengestützten Ortungssystem. Und das elektronische Logbuch in der BLE-Überwachungszentrale dokumentiert fast lückenlos den Weg jeder Makrele vom Fang über die Anlandung bis zum Verkaufstresen.

Daß Wissenschaft in der Ernährungspolitik über Emotionen triumphiere, daran glaubt auch die Molekularbiologin Martina Gebert von der Lübecker Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie und Zelltechnik. Weltweit organisierte Kampagnen gegen genveränderte Organismen in der Aquakultur stoppen deren Einzug in den Lebensmittelverkauf nicht. Der genetisch auf schnelles Wachstum getrimmte Lachs der Firma AquaBounty („AquAdvantage“) wurde 2016 in Kanada und 2019 in den USA zugelassen. Die Aufzucht erfolgt in Fischfarmen in Kanada und Panama. Ein Verkauf auf dem EU-Markt ist allerdings bislang nicht erlaubt.

Themenheft „Fisch“ der Fachzeitschrift Ernährung im Fokus, (2/19):  bzfe.de/

Thünen-Institut für Seefischerei: www.thuenen.de