© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/19 / 13. September 2019

„Löschen nach politischem Muster“
Joachim Steinhöfel zählt zu den bekanntesten Anwälten Deutschlands. Mit seiner Initiative „Meinungsfreiheit im Netz“ und spektakulären Erfolgen bekämpft der „Pitbull in Robe“ das NetzDG und die teils politische Zensur bei Facebook & Co.
Moritz Schwarz

Herr Steinhöfel, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz haben Sie die „Kapitulation des Rechtsstaats“ genannt. Bleiben Sie dabei? 

Joachim Steinhöfel: Ja, es stellt eine direkte Attacke auf die Meinungsfreiheit dar, wie sie die Republik seit der Spiegel-Affäre oder Adenauers seinerzeit vor dem Verfassungsgericht gescheiterten Versuch, ein „Staatsfernsehen“ einzurichten, nicht mehr erlebt hat. 

Das haben Sie schon bei seiner Einführung gesagt. Aber hat sich das in den zwei Jahren seitdem denn tatsächlich bestätigt?

Steinhöfel: Eindeutig. Zum Beispiel verzichtet der Rechtsstaat – und deshalb war es gerechtfertigt, von Kapitulation zu sprechen – seitdem darauf, geltendes Recht durchzusetzen. Da Fragen der Meinungsfreiheit nun nicht mehr vor Gericht entschieden werden, sondern in den Löschzentren der IT-Giganten. 

Warum – genau – ist das ein Problem? 

Steinhöfel: Weil dies durch juristisch unkundige Mindestlohnakteure erledigt wird. In einem von uns betriebenen Verfahren gegen Youtube hat deren anwaltlicher Vertreter sogar in Hinblick auf die Löschung legaler Inhalte argumentiert, man habe ein „berücksichtigungsfähiges Rationalisierungsinteresse“. Daß ein profitorientiertes Unternehmen so denkt und entsprechende „Kollateralschäden“ in puncto Meinungsfreiheit billigend in Kauf nimmt, durfte man bereits vermuten – jetzt haben wir es schwarz auf weiß!

Die Politik zieht allerdings ein ganz anderes Fazit als Sie. 

Steinhöfel: Sie stellt ja auch vielfach die Realität in den sozialen Medien vorsätzlich falsch dar. Im Mai habe ich als Sachverständiger in der Anhörung des Rechtsausschusses zum NetzDG den Abgeordneten des Bundestags die konkreten rechtlichen und insbesondere die Probleme der Praxis ausführlich dargelegt. Dennoch stellte sich der CDU-Abgeordnete Carsten Müller am nächsten Tag im Plenum ans Rednerpult und behauptete, „die Meinungsfreiheit (sei) überhaupt nicht eingeschränkt worden“ und „daß es kein Overblocking“ gebe. Während zeitgleich Facebook einen fünfminütigen Ausschnitt aus der ARD-Serie „Entweder Broder. Die Deutschland-Safari“ wegen „Haßrede“ löschte und den Nutzer für dreißig Tage sperrte. Zur Erinnerung: Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad wurden für „Entweder Broder“ 2012 in der Kategorie Reporter mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Im Prozeß verteidigte sich Facebook übrigens ernstlich damit, es handele sich bei der Sequenz um Verspottung und Verharmlosung des Holocaust und dessen Opfer durch Broder – dessen Eltern Buchenwald beziehungsweise Auschwitz überlebt haben! Aber zurück zum Abgeordneten Müller: Ist es das, was er sich unter „überhaupt nicht eingeschränkter Meinungsfreiheit“ vorstellt? 

Für Aufmerksamkeit hat Ihre Initiative „Meinungsfreiheit im Netz“ gesorgt, die wie funktioniert?

Steinhöfel: Daß wir gegen Facebook vor dem Landgericht Stuttgart rechtskräftig obsiegt haben, ist aus den Medien bekannt. Doch nicht jeder kann sich ein solches Verfahren finanziell erlauben. Er wird dann unweigerlich Opfer der absurden Sanktionen der Internet-Giganten. Deshalb gibt es die Initiative „Meinungsfreiheit im Netz“, ein mit Spenden betriebener Fonds, der viele dieser Verfahren finanziert. Im August 2018 etwa sperrte Facebook Peter S. – sein Vergehen: Er hatte einen Bild-Artikel geteilt („Die unfaßbaren Asyl-Tricks bei drohender Abschiebung: Wer klaut, darf bleiben!“). Das Landgericht Bonn erließ eine einstweilige Verfügung gegen Facebook – ein Verbot, den Kommentar zu löschen und Peter S. deshalb zu sperren. Im Juli sperrte Facebook dann Gabor B. Er hatte eine Nutzerin in Schutz genommen, die als „Nazischlampe“ beschimpft worden war. Und Facebook? Ließ die Beleidigung stehen, sperrte stattdessen Gabor B. Er beschritt den Rechtsweg, und das Landgericht Berlin verbot die Löschung des Posts und die Sperrung des Nutzers.

Gibt es einen besonders absurden Fall?

Steinhöfel: Einer meiner beiden „Lieblingsfälle“ ist ebenfalls aus 2018: Im Juni forderte ein Nutzer zur Unterzeichnung einer auf der Seite des Bundestags veröffentlichten Petition auf. Dabei handelte es sich um die „Gemeinsame Erklärung 2018“, die von Autoren, Künstlern und Wissenschaftlern, darunter Uwe Tellkamp, Henryk M. Broder und Thilo Sarrazin, lanciert worden war. Darin heißt es, man solidarisiere sich mit jenen, „die friedlich dafür demonstrieren, daß die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird“. Online erreichte die Petition das Quorum von mehr als 50.000 Unterstützern – der Petitionsausschuß des Bundestages hat sich mittlerweile mit ihr befaßt, wofür sie zuvor durch eine Art TÜV des Ausschusses gehen mußte – das Petitionsrecht ist grundgesetzlich geregelt. Und Facebook: Löscht die Petition wegen „Haßrede“! Die FAZ urteilte nach Besuch der Gerichtsverhandlung in Bamberg: „Facebook löscht mit politischer Schlagseite“ Und weiter schrieb sie: „Wenn ein Kommentar nicht nur gelöscht, sondern die Löschung auf die Beschwerde des Nutzers hin aufrechterhalten und im anschließenden Gerichtsverfahren von einer internationalen Großkanzlei in ausführlichen Schriftsätzen verteidigt wird, tut man wohl niemandem Unrecht, wenn man die Löschung zum Bestandteil der offiziell verfolgten Konzernpolitik erklärt – und daraus seine Schlüsse zieht.“ Der Prozeß, der auch durch die Initiative „Meinungsfreiheit im Netz“ finanziert wird und der Anlaß zu deren Gründung war, geht weiter, da Facebook die einstweilige Verfügung nicht anerkannt hat. 

Auch vor dem NetzDG gab es schon Zensur im Netz. Was genau ist seit dessen Einführung schlimmer geworden? 

Steinhöfel: Da wir als Außenstehende keinen Zugriff auf die konkreten Daten haben und da die Sanktionen und Löschungen in den „Transparenzberichten“ der Netzwerke nicht vollständig, oder wie im Fall Facebook gar irreführend, dargestellt werden, muß man mutmaßen.

Und was mutmaßen Sie?

Steinhöfel: Die Zahl der irrwitzigen Löschungen hat auf Grundlage der mir zur Kenntnis gelangten Fälle zugenommen. Dabei fügt sich deren große Mehrheit in ein politisches Muster ein. Sie verteilen sich nicht gleichmäßig über das politische Spektrum, sondern treffen eher Inhalte mit konservativen Positionen. Ein Muster, das man auch aus den USA kennt und das Facebook-Gründer Mark Zuckerberg vor einem Senatsausschuß selber eingeräumt hat.

Vielleicht, weil aus diesem Spektrum die meisten „Haß“-Postings kommen?

Steinhöfel: Zuckerberg begründete es anders: Facebook stamme aus dem Silicon Valley und das sei nun mal ein politisch „extrem linker Ort“. Daß sich diese politische Schlagseite weltweit in der Löschpraxis niederschlägt, darf man vermuten. Abgesehen von dem Zitat von Mark Zuckerberg belegt auch die Verteidigung dieser Löschungen vor Gericht in Schriftsätzen mit Hunderten von Seiten, daß es keine Einzelfälle sind, sondern eindeutige Konzernpolitik. Und das NetzDG funktioniert hier als Brandbeschleuniger der linksliberalen Haltung des Unternehmens.

Was hat sich in den letzten zwei Jahren noch verändert?

Steinhöfel: Zugenommen haben außerdem die – rechtswidrigen – Löschungen mit pauschalem Hinweis auf einen angeblichen Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards. Das Netzwerk muß genau mitteilen, wogegen verstoßen worden sein soll. Es geht zu wie in dem Kafka-Roman „Der Prozeß“. Zugenommen haben auch die Sanktionen wegen uralter Kommentare. Der Nutzer fängt eine Sperre wegen eines Kommentars aus 2016. Und kaum ist diese abgelaufen, fängt er sich die nächsten dreißig Tage für einen Kommentar aus 2017. Ein paar Sperren später wird dann das Konto komplett gelöscht.  

Viele Bürger sind in den sozialen Netzwerken nicht aktiv und damit nicht betroffen. Ist also Ihr Vorwurf, Einschränkung „der“ Meinungsfreiheit, nicht übertrieben?

Steinhöfel: Man darf die vielen nachgewiesenen Eingriffe hier nicht bagatellisieren. Wenn selbst David Kaye, der Meinungsfreiheitsbeauftragte der Vereinten Nationen, die Bundesregierung wegen seiner Bedenken gegen das NetzDG anschreibt, sollte jeder erkennen, was die Stunde geschlagen hat! Denn normalerweise geht seine Post nach Weißrußland oder Nordkorea. Dazu kommt, daß die Sachverständigen im Rechtsausschuß des Bundestages 2017 den Gesetzesentwurf als „verfassungs- und europarechtswidrig“ eingestuft haben und „schwerwiegende Grundrechtseingriffe (als) denkbar“ erachteten, außerdem annahmen, daß „das Gesetz in Karlsruhe scheitern“ und daß „das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit nicht vom NetzDG faktisch einebnen lassen“ werde. Und sie kamen zu dem Schluß, daß damit „Facebook gedrängt (werde), Richter über die Meinungsfreiheit zu sein, ohne daß dies rechtsstaatlich begleitet wird“, das Gesetz also „die Meinungs- und Pressefreiheit (bedrohe)“ und man „ausdrückliche verfassungsrechtliche Bedenken“ habe, da es „nicht verfassungsgemäß“ sei. Man kann also die Relevanz der Sache für alle Bürger gar nicht genug betonen!

Es sind aber keineswegs nur Konservative betroffen?

Steinhöfel: Nein, und wenn etwa Links zur Jüdischen Rundschau gelöscht oder zum Focus gesperrt werden – beides haben wir gerichtlich unterbunden –, finden darüber hinaus auch noch von Politikern selbst Eingriffe in die Pressefreiheit statt. Zum Beispiel wenn SPD-Staatsminister Niels Annen einen Journalisten der Jerusalem Post bei Twitter blockiert oder Ministerpräsident Bodo Ramelow die Giordano-Bruno-Stiftung, ist das eine völlig indiskutable Entwicklung, auch wenn wir diese jeweils nach anwaltlichem Eingreifen korrigieren konnten.

Was raten Sie Betroffenen nun konkret?

Steinhöfel: Die durch die von uns durchgefochtenen Fälle etablierte Rechtsprechung führt zu immer mehr landes-  und oberlandesgerichtlichen Entscheidungen, auf die man sich berufen kann. Und genau das ist mein Ziel! Wir bitten daher alle um Unterstützung unseres Fonds „Meinungsfreiheit im Netz“, um weitere Grundsatzentscheidungen herbeiführen zu können. Ist das geschehen, können sich auch Anwälte, die nicht auf diese komplizierten Rechtsfragen spezialisiert sind und die sich auch Normalbürger leisten können, solche Mandate annehmen und Erfolge erzielen. Damit wächst dann die Zahl der Verfahren, wodurch der finanzielle Druck irgendwann so groß wird, daß es für die Netzwerke billiger wird, mit qualifiziertem Personal zu arbeiten und nur Rechtswidriges zu entfernen.

Was sagen Sie Leuten, die glauben, Ihnen ginge es nur um ein lukratives Geschäft? 

Steinhöfel: Ich würde es persönlich als unerträgliche Demütigung und allgemein als Gefahr für unsere Demokratie empfinden, mir von einer demokratisch nicht legitimierten IT-Aristokratie vorschreiben zu lassen, was ich sagen darf und was nicht. Und diese Freiheit muß für alle Menschen, gleich welcher Weltanschauung, gelten. Und ich habe diese Verfahren übrigens persönlich mit einem deutlich fünfstelligen Betrag subventioniert. Es mag Leute geben, die es trotz der vielen wichtigen Ergebnisse, die wir erzielt haben, als Problem betrachten, daß man für seine Leistung auch vergütet wird. Diese Leute sollten sich aber vielleicht einmal fragen, welchen Beitrag sie für die Verteidigung unserer Grundrechte eigentlich selber leisten? 






Joachim Steinhöfel, der „Top-Anwalt für Wettbewerbs- und Presserecht“ (Wirtschaftswoche) vertrat unter anderem Matthias Matussek, Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad. Jüngst hat der „Pitbull in Robe ... nicht nur Facebook vorgeführt, sondern auch gleich die Regierungsparteien am Nasenring gepackt“ (FAZ): Weil Facebook Gerichtskosten schuldig blieb, pfändete er Ende Juli kurzerhand Forderungen des sozialen Netzwerks gegen CDU und SPD. Bekannt wurde Steinhöfel zudem als Radiomoderator, Gastgeber der RTL-Fernsehsendungen „Kreuzfeuer“, „Achtzehn 30“ und „Die Redaktion“ sowie als Werbefigur von Mediamarkt und Darsteller in zwei Kinofilmen. Er betreibt einen politischen Blog, schreibt für das Portal Die Achse des Guten, ist Gastautor beim European und Stern und ist Gründer der Initiative „Meinungsfreiheit im Netz“ und der „Facebook-Sperre. Wall of Shame“. Geboren wurde er 1962 in Hamburg.

 www.steinhoefel.com

 www.meinungsfreiheit.steinhoefel.de 

 www.facebook-sperre.steinhoefel.de

Foto: Jurist Steinhöfel: „Löschungen treffen eher konservative Positionen ... ein Muster, das wir auch aus den USA kennen und das Facebook-Gründer Mark Zuckerberg selbst eingeräumt hat“

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