© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/19 / 13. September 2019

Mit dem Rücken zur Wand
Israel: Für Premier Benjamin Netanjahu ist die Situation vor dem Urnengang am 17. September brisanter denn je
Thorsten Brückner

Benjamin Netanjahu ist ein Comeback-Kid. Mehrfach wurde er politisch für tot erklärt – zuletzt vor den Wahlen von 2015. Bei seinem ersten Anlauf für das Amt des Premierministers 1996 lag Netanjahu aussichtslos gegen Shimon Peres zurück – und gewann. Für Netanjahu ist die Situation vor dem Urnengang am 17. September allerdings noch brisanter als damals.

Diesmal geht es nicht nur um sein politisches Überleben, sondern angesichts der Korruptionsermittlungen und einer möglichen baldigen Anklage gegen ihn unter Umständen auch darum, ein Schicksal wie das seines Amtsvorgängers Ehud Olmert zu vermeiden. Der mußte 2016 für 16 Monate wegen Korruption ins Gefängnis. 

Ein mögliches Szenario ist die Rotationsregierung

Die strategische Position des seit Juli am längsten amtierenden Ministerpräsidenten in der Geschichte Israels hat sich seit der April-Wahl deutlich verschlechtert. Damals war eine Regierung an der Weigerung des früheren Außen- und Verteidigungsministers Avigdor Lieberman gescheitert, auf die Bedingung der ultraorthodoxen Parteien einzugehen, weiterhin Ausnahmen beim Wehrdienst für die „Haredim“ zuzulassen.

Lieberman könnte auch nach der kommenden Wahl das Zünglein an der Waage sein. Statt der fünf Mandate, die seine Partei Yisrael Beiteinu, die vor allem von russischen Einwanderern gewählt wird, bei der vergangenen Wahl erhielt, sagen die Demoskopen ihm diesmal deutliche Zugewinne voraus. Zwischen neun und elf Mandate könnte er erringen. 

Eine erneute Unterstützung für eine rechtsreligiöse Koalition unter Netanjahu schloß Lieberman zudem aus. Er tritt für eine säkulare „Große Koalition“ aus Netanjahus Likud und der Partei „Blau-Weiß“ von Benny Gantz ein. Sie liegt in Umfragen derzeit gleichauf mit dem Likud bei rund 32 Sitzen. Zusammen mit den Stimmen Liebermans würde ein solches Bündnis über eine komfortable Mehrheit in der Knesset verfügen. Doch „Bibi“ Netanjahu weiß: Bei einer Anklage wegen Korruption könnte er nur im Amt bleiben, wenn es für eine Neuauflage seiner Rechts-Rechts Koalition reicht.

 Dafür sind die Aussichten nicht nur wegen der Haltung Liebermans trüb. Gelang es vor der vergangenen Wahl noch, die rechtsextreme Partei Otzma Yehudit in ein Bündnis rechter Parteien zu integrieren, tritt sie diesmal alleine an, könnte an der 3,25-Prozenthürde scheitern und somit wichtige Stimmen  für das rechte Lager verlieren. 

Dem rechten Bündnis „Yamina“, aus dem sich „Otzma Yehudit“ früh zurückzog, gehört diesmal allerdings auch „Die neue Rechte“ von Ayelet Shaked und Naftali Bennet an, die im April noch um nur knapp über tausend Stimmen an der Sperrklausel gescheitert war.

 Wie man die Zahlen auch dreht und wendet: In keiner Umfrage der vergangenen zwei Wochen käme eine Rechtsregierung unter Netanjahu auf über 58 Sitze – vier zu wenig für eine Mehrheit. Eine Wahlbegeisterung ist diesmal in der israelischen Gesellschaft nicht zu spüren. Zu oft mußte das Volk in den vergangenen zehn Jahren zur Urne schreiten, zu selten änderte sich danach etwas.

 Zumindest seine Klientel versucht Netanjahu wieder über nationalistische Emotionen zu mobilisieren. Im August erschütterte der Mord an der 17 Jahre alten Rina Shnerb nahe der Westbank-Siedlung Dolev das Land. Netanjahus Antwort auf den palästinensischen Terroranschlag ließ nicht lange auf sich warten. „Wir werden Judäa und Samaria weiter mit Siedlungen ausbauen“, stellte er klar. „Wir werden unsere Wurzeln dort stärken und gegen unsere Feinde zurückschlagen.“

 Zudem kündigte er als Reaktion  auf die Terrortat an, 300 neue Wohneinheiten in der Siedlung zu bauen und dieses Viertel dann nach dem ermordeten Mädchen zu benennen. Auch ein Besuch im geteilten Hebron stand auf dem Programm. „Hebron wird nie judenrein werden“, sagte er, wobei er das Wort „judenrein“ auf deutsch sagte.

 Die Palästinensische Autonomiebehörde fühlte sich durch den Besuch sogar an Ariel Scharons Wahlkampfauftritt 2000 auf dem Tempelberg erinnert. Gegen einen ähnlichen Wahlausgang wie damals für Scharon hätte Netanjahu wohl nichts einzuwenden. Und auch an der parteipolitischen Front brachten die vergangenen Tage noch einmal Fortschritte für ihn. Die Kleinpartei Zehut unter Führung von Netanjahus Erzfeind Moshe Feiglin zog ihre Kandidatur zurück. Ein Überspringen der Sperrklausel wäre für sie zweifelhaft gewesen. Auch für Feiglin lohnt sich der Deal. Ihm versprach Bibi ein Ministeramt, und auch Feiglins Herzensanliegen, die Liberalisierung des Cannabis-Konsums, versprach Netanjahu voranzutreiben. Beim Thema Siedlungen und einer harten Haltung gegen die Palästinser paßt zwischen beide ohnehin kein Blatt.

 Wie wichtig dieses Abkommen mit Feiglin für Netanjahu ist, zeigen die hysterischen Reaktionen seiner Gegner. Von Betrug und Bestechung sprach etwa der juristische Chefberater von Yisrael Beiteinu, Eitan Habermann.

Die Kräfte zu bündeln ist allerdings bei dieser Wahl auch das Gebot der Stunde bei der Linken. Dies führte teilweise zu bizarren Konstellationen. Die Arbeitspartei, die mit sechs Mandaten beim Urnengang im April ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten einfuhr, holte ausgerechnet Orly Levy-Abekasis ins Boot.

 Die frühere Abgeordnete von Yisrael Beiteinu, deren Vater 1996 Netanjahus erste Koalition stützte, soll der Partei vor allem auf dem Feld der Sozialpolitik zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen und die Fühler zu den orientalischen Juden ausstrecken – eine demographische Gruppe, bei der die Arbeitspartei traditionell schwächelt.

 Meretz, die in Umfragen im Sommer knapp über der Sperrklausel stand, ging ein Bündnis mit dem früheren Premierminister Ehud Barak ein. Der soll in einer möglichen Koalition Minister werden, steht aber selbst nur auf Listenplatz 10, was einen Einzug in die Knesset unwahrscheinlich macht. Für eine eigene Mehrheit wird es für das Mitte-Links-Lager, das steht schon jetzt fest, nicht reichen. 

Mit der Vereinigten Liste, ein Zusammenschluß arabischer Parteien, der ein zweistelliges Mandatsergebnis vorausgesagt wird, will niemand koalieren. Zudem hat Lieberman ein Bündnis mit der Meretz-Barak-Allianz ausgeschlossen. Die beste Option von Gantz, doch noch Premier zu werden, scheint ein Rotationsabkommen mit Netanjahu. Dafür hat Gantz bereits Zustimmung signalisiert, allerdings nur, wenn er die ersten zwei Jahre der Legislaturperiode Premier sein darf. Schon einmal gab es eine solche Übereinkunft, die durchaus erfolgreich regierte. Zwischen 1984 und 1988 wechselten sich Shimon Peres und Yitzhak Schamir im Amt ab.