© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/19 / 13. September 2019

EZB-Nullzins: Ein Angriff auf das deutsche Grundgesetz?
Legalisierter Raub
Dirk Meyer

Die „außergewöhnliche Geldpolitik“ der EZB wirkt sich gemäß verschiedener Studien mit minus 0,4 bis minus 1,3 Prozentpunkten kaum auf den Kapitalmarktzins der Eurozone aus. Für Paul Kirchhof scheint die Sache trotzdem klar: Der EZB-Nullzins schränkt das grundgesetzlich garantierte Freiheits- und Eigentumsrecht ein. Durch ihre Tätigkeit greife die EZB „in einen Kernbereich der Eigentumsgarantie – die Nutzbarkeit des Eigentums – ein“, so der Ex-Bundesverfassungsrichter in der Welt. Doch auch in anderen Bereichen beeinflußt der Staat Preise und Renditen, etwa durch Mieterschutz, Mindestlöhne und Umweltauflagen.

Kirchhof räumt ein, daß die Eigentümerfreiheit die Freiheit zur Nutzung des Eigentums, nicht aber einen bestimmten Nutzungserfolg garantiert. Hinsichtlich der offiziellen Geldwertstabilität kann die EZB eine positive Bilanz vorlegen. Für Deutschland lag die Inflationsrate seit Einführung des Euro 1999 in nur vier Jahren über zwei Prozent. Damit waren Euro-Sparer einer historisch niedrigen Geldentwertung ausgesetzt – das Geldeigentum blieb geschützt. Gleiches gilt für die Freiheit der Kapitalanlage. Allerdings ist mit dieser Freiheit auch das Risiko von Gewinn und Verlust untrennbar verknüpft. So waren die Realzinsen von Spareinlagen mit dreimonatiger Kündigungsfrist, also der Rendite unter Berücksichtigung der Inflation, seit 2010 negativ – ähnlich wie zu D-Mark-Zeiten 1972 bis 1982 und 1991 bis 1994. Wurde das Vermögen hingegen in Aktien oder Immobilien angelegt, konnte der Anleger unter Berücksichtigung der Vermögenspreissteigerung hohe Renditen erzielen. Zudem gewannen Kreditschuldner (Firmen, Häuslebauer, Ratenzahler und der Staat/Steuerzahler) Vorteile aus niedrigen Zinsen. Laut DZ Bank verloren deutsche Sparer von 2010 bis 2019 zwar 648 Milliarden Euro an Zinsen – verglichen mit einem „Normalzins“ aus 2007. Dem stehen jedoch Einsparungen bei Schuldnern von 290 Milliarden Euro gegenüber.

Verfassungsrechtliche Relevanz haben zwei Fragestellungen: Da die negativen Realzinsen ertragswirksam besteuert werden, könnte dies im wirtschaftlichen Sinne gegen die Eigentumsgarantie verstoßen. Gemäß einer Entscheidung aus dem Jahr 1978 hält das Bundesverfassungsgericht jedoch am zahlenmäßig-nominellen Wert fest.

Und auch die bei kleineren Geldbeträgen drohenden Negativzinsen auf Girokonten sind als „Verwahrentgelte“ einkommenssteuerlich nicht abzugsfähig – Besteuerung bleibt legalisierter Raub. Sodann entscheidet das Bundesverfassungsgericht demnächst über die Frage, ob die zinssenkenden Ankäufe von Staatsanleihen gegen die Unabhängigkeit der EZB und gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstoßen. Die Hoffnung stirbt nie!






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.