© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/19 / 13. September 2019

Die Leiden der jungen Deutschen
Internationale Studie über die Sorgen junger Generationen: „German Angst“ und ein ausgesprägter Weltschmerz
Claus Folger

Vor knappa einem Jahr setzte sich ein 15jähriges Mädchen vor den Reichstag in Stockholm, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Heute ist „Klima-Greta“-Thunberg, die als Initiatorin von „Fridays for future“ Abertausende Schüler für mehr Klimaschutz auf die Straße holte, berühmt. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos erklärte sie: „Ich will, daß ihr Panik bekommt, daß ihr die Angst fühlt, die ich jeden Tag habe. Und daß ihr handelt, als stünde das Haus in Flammen.“

Damit scheint sie bei vielen jungen Deutschen zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig die schwache Stelle getroffen zu haben. Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen Deloitte fand jedenfalls in seiner achten Millennial-Studie 2019 heraus – befragt wurden über 16.000 Millennials (Jahrgänge 1983 bis 1994) und Jugendliche der Generation Z (Jahrgänge 1995 bis 2002) aus insgesamt 42 Ländern –, daß der Klimaschutz die größte Sorge der jungen Generationen in Deutschland ist. Eine Sprecherin des Unternehmens verweist auf die „hohen Mobilisierungskräfte“ der Bewegung „Fridays for Future“. Nicht nur das. Deloitte beobachtet auch „eine gewachsene Skepsis, die weit über dem globalen Durchschnitt liegt und seit dem Vorjahr signifikant zugenommen hat“.

Die größten Sorgen der deutschen Millennials im internationalen Vergleich:

Daß nur 28 Prozent der bundesdeutschen Millennials (weltweit: 39 Prozent) mit ihren Lebensumständen zufrieden sind, ist angesichts ihrer vergleichsweise großen empfundenen Nöte nachvollziehbar. Die melancholische „Sorge um Dinge, die einen eigentlich überhaupt nichts angehen“, gibt dabei wohl den entscheidenden Ausschlag. Sie sei typisch für die Deutschen, urteilte vor Jahren der aus Rußland stammende Bestsellerautor Wladimir Kaminer. Er spricht von Weltschmerz, einem Begriff, den die Gebrüder Grimm einst als „tiefe Traurigkeit über die Unzulänglichkeit der Welt“ definierten. Das antriebslose Kreisen um den inneren Schmerz erklärt vielleicht, daß nach der Analyse von Deloitte Deutschland auch bei den Top-Ambitionen deutlich hinter dem internationalen Durchschnitt zurückbleibt, seltsamerweise mit Ausnahme beim Wunsch nach der eigenen Familie.

Ambivalent ist das Verhältnis zu Social Media. Mehr als die Hälfte der jungen Deutschen glaubt, daß sie eine Reduktion ihres Social-Media-Konsums gesünder und glücklicher machen würde. Dennoch wären rund 40 Prozent besorgt, wenn sie für ein oder zwei Tage keinen Zugang zu ihren Profilen hätten. Trotzdem können sich 54 Prozent (weltweit: 41 Prozent) der deutschen Millennials vorstellen, komplett aus Social Media auszusteigen (I’d like to completely stop using social media).

Da die deutschen Millennials im Vergleich zu Interviewten aus anderen Ländern kaum in Zeiten radikaler Veränderungen in ihrem täglichen Leben aufgewachsen sind, warum scheinen viele vor der Welt fliehen bzw. sie retten zu wollen? Sind es die deutschen Medien, die überwiegend apokalyptisch über den Klimawandel berichten? Ist es „die Jugendliteratur, die den Klimawandel vor allem als soziale Katastrophe imaginiert und mit eindringlichen Bildern von apokalyptischen Zuständen erzählt?“, wie die Neue Zürcher Zeitung analysierte.

Da die Frage im öffentlichen Raum steht, inwiefern Globalisierungsprozesse den Klimawandel beeinflussen bzw. ihn verursachen, scheint es kaum überraschend, daß Millennials das Handeln der Unternehmen zunehmend kritisch beurteilen. Nur 47 Prozent der deutschen Befragten (weltweit: 55 Prozent) sind der Meinung, daß Unternehmen einen positiven Einfluß auf Umwelt und Gesellschaft haben. Schon in der Vorläuferstudie forderten die jungen Arbeitnehmer mehr gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen.

Trotzdem sorgt eine brummende Wirtschaft für privates Wohlbefinden. Laut einer Langzeitstudie im Auftrag der R+V-Versicherung fürchtet sich nur jeder vierte Deutsche davor, den eigenen Job zu verlieren – so wenige wie nie zuvor. Kaum höher ist die Angst vor steigenden Arbeitslosenzahlen in Deutschland. Mit 35 Prozent erreicht die Angst vor einem Abwärtstrend der Wirtschaft sogar den niedrigsten Wert seit zwanzig Jahren.

Das Risiko für eine Rezession nimmt allerdings zu. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht nach einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts im zweiten Quartal auch im dritten Quartal die deutsche Wirtschaft schrumpfen.

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