© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 39/19 / 20. September 2019

In der Behörde umstritten
Thüringen II: Geleakte E-Mail bringt Verfassungsschutzpräsident Kramer unter Druck / Ungereimtheiten bei der Einstufung der AfD als „Prüffall“
Jörg Kürschner

Wenige Wochen vor der Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober ist die Amtsführung von Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer erneut in die Kritik geraten. Anlaß ist dessen Vorgehen gegen den AfD-Landesverband, das auch behördenintern für Kontroversen gesorgt hat. Vor einem Jahr hatte Kramer die AfD öffentlich zum „Prüffall“ erklärt, weil sich die Partei nicht genügend von rechtsextremen Gruppierungen abgrenze. Jetzt hat das Thüringische Verfassungsgericht über das Organstreitverfahren der AfD verhandelt, die eine Rufschädigung beklagt. Es richtet sich gegen Kramer als auch gegen seinen Dienstherrn, Innenminister Georg Maier (SPD). Die Richter wollen ihre Entscheidung am 20. November verkünden, nach der Landtagswahl.

Im September vergangenen Jahres hatte der Verfassungsschutz des Freistaates als erstes Landesamt eine Prüfung der AfD öffentlich angekündigt. Einen Monat später hatte Kramer den Druck auf die AfD zu verschärfen versucht. In einem Interview, das am Tag des Wahlparteitages erschien, warnte der Behördenchef ausdrücklich vor der Nominierung von Landeschef Björn Höcke. „Wenn die AfD Björn Höcke zum Spitzenkandidaten macht, bekennt sie sich zu dem, was er sagt. Damit würde die Partei zementieren, wo sie steht.“ Höcke wurde gleichwohl mit 84,4 Prozent zum Spitzenkandidaten gewählt.

Zu Verhandlungsbeginn beharrte Kramer auf seinem Standpunkt. „Wenn wir uns als Frühwarnsystem begreifen wollen, dann dürfen wir nicht zu lange warten“, erläutert er seine Entscheidung, den „Prüffall“ öffentlich in Anwesenheit seines Vorgesetzten, des Innenministers, zu verkünden. Der Ressortchef hebt hervor, die Prüfentscheidung sei von Kramer getroffen worden. Der „Prüffall“ ist eine Vorstufe zu einer möglichen Beobachtung einer Partei wegen des Verdachts des Extremismus.

Erwartungsgemäß konfrontierten die Verfassungsrichter Kramer mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln, das der Klage der Bundes-AfD entsprochen hatte. Dabei wurde deutlich, daß Kramers Vorgehen gegen die AfD auf rechtlich fragwürdigem Boden steht. Im vergangenen Februar war dem Bundesamt für Verfassungsschutz untersagt worden, die AfD weiter öffentlich als „Prüffall“ zu bezeichnen. Der „Flügel“ und dessen führender Repräsentant Höcke war hingegen als „Verdachtsfall“ eingestuft worden. Er halte das Risiko für vertretbar, kommentierte Kramer den Richterspruch, habe immer betont, die Prüfung werde ergebnisoffen geführt. 

Der Vorsitzende Richter Klaus von der Weiden wies ihn darauf hin, daß es eine gesetzliche Grundlage für eine Veröffentlichung einer Prüffall-Entscheidung geben müsse. „Es ist unklar, ob wir eine solche haben“. Der Prozeßbevollmächtigte der AfD, der Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl, sieht das Thüringer Verfassungsschutzamt als willkürlichen Erfüllungsgehilfen des Staates. „Wenn der Inlandsgeheimdienst gegen die Oppositionspartei angesetzt wird, wissen Sie worum es geht, um einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte der AfD als Partei“.

In der mehrstündigen Verhandlung vor dem Verfassungsgericht wurde auch deutlich, daß die Prüffall-Entscheidung selbst und nicht nur deren Veröffentlichung im Verfassungsschutz umstritten war. „Es gab widerstreitende Interessen dazu“, mußte Kramer dazu einräumen. In einer erst jetzt bekanntgewordenen internen E-Mail vom 10. Januar, die der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, wirft der für Rechtsextremismus zuständige Referatsleiter seinem Chef Kramer vor, Fachleute der Behörde während der Entscheidungsphase gezielt „außen vor“ gelassen zu haben. Außerdem habe sich der Behördenchef auf der Pressekonferenz, auf der er die AfD zum „Prüffall“ erklärte, auf „falsche und ungenaue Informationen“ berufen. „Auch von einer Verwendung und sogar vom absatzweisen Zitieren des Artikels einer linksextremistischen Zeitschrift ... wäre dringend abzuraten gewesen“, heißt es in dem Schreiben. Das Innenministerium in Erfurt sprach von einer offenbar „interessengeleiteten“ Herausgabe der E-Mail. Ermittlungen wegen eines „dienstrechtlichen Vergehens“ seien eingeleitet worden. Der Referatsleiter, der inzwischen versetzt worden sein soll, nimmt auch Stellung zu der AfD-Klage, die „nicht unerhebliche Prozeßrisiken“ berge. 

Um mehr Rechtskonformität scheint sich der Verfassungsschutz in Nieder-sachsen zu bemühen. Präsident Bernhard Witthaut habe den Innenausschuß des Landtags in einer vertraulichen Sitzung darüber informiert, daß die AfD des Landes als „Prüffall“ behandelt werde, meldete der NDR. Man befinde sich in der sogenannten „Verdachtsgewinnungsphase“. Anders als in Thüringen unterblieb eine öffentliche Erklärung. AfD-Parlamentsgeschäftsführer Klaus Wichmann kündigte rechtliche Schritte an, sollten die Berichte zutreffen.