© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 39/19 / 20. September 2019

Doppelschlag im Morgengrauen
Saudi-Arabien: Der US-Verbündete erleidet den schwersten Angriff gegen das Rückgrat seiner Volkswirtschaft in seiner Geschichte
Marc Zöllner

Die erschreckende Präzision der Angriffe konnte selbst Mohammed bin Salman nicht mehr herunterspielen: Zwar versicherte der Kronprinz und Verteidigungsminister bereits am Samstag morgen in einem Telefonat mit US-Präsident Donald Trump, das Feuer sei „eingedämmt“ und das saudische Königreich „willens und in der Lage, sich um diese terroristische Aggression zu kümmern“. Doch noch am Sonntag übertrugen die live zugeschalteten Fernsehkameras für sich sprechende Bilder von endlos sich auftürmenden rußschwarzen Rauchwolken und grellen, züngelnden Flammennestern, welche den noch nächtlichen Himmel blutrot erleuchteten. Unzweifelhaft stellte die Doppelattacke auf das Ölfeld der Aramco in Khurais sowie die angeschlossene Raffinerie in Abqaiq den wohl folgenschwersten Angriff auf die Infrastruktur des Wüstenstaates seit dessen Gründung im Jahr 1932 dar. Und bis zur Börsen­eröffnung am Montag morgen sollte es Prinz Salman, der auch als Vizepremier seines Vaters König Salman ibn Abd al-Aziz fungiert, nicht mehr gelingen, die internationalen Märkte zu beruhigen.

Ausfall in Höhe der Hälfte der Gesamtproduktion

Was war geschehen? Am Samstag um vier Uhr früh Ortszeit vermeldete der staatliche Ölkonzern „Saudi Aramco“ zwei simultane Luftangriffe auf ihre Betriebsanlagen unweit der Stadt Dammam am Persischen Golf; in der „Östlichen Provinz“ des Landes – die vis-à-vis der Küste des schiitischen Iran liegt – und pikanterweise Heimat einer schiitischen Minderheit im streng sunnitisch-wahabitisch regierten Saudi-Arabien ist. Mehrere plötzlich am Himmel erschienene Drohnen hätten Explosionen verursacht, die zu Feuern in den Raffinerieanlagen sowie auf den Förderfeldern geführt haben. Ob Menschen von den Anschlägen betroffen sind, wurde nicht bekanntgegeben. Doch der wirtschaftliche Schaden allein ist schon desaströs genug.

Das bekamen am Montag bereits die Händler zu spüren: Der Rohölpreis schnellte zur Börseneröffnung um weit über zehn Prozent in die Höhe, bis er sich im Laufe des Tages zumindest etwas stabilisierte. Man habe noch „Reserven für 35 bis vierzig Tage“, wiegelte Aramco ab, und man wolle bereits zu Wochenbeginn ein Drittel der Schäden wieder behoben haben. Doch inzwischen hat Energieminister Abdulaziz bin Salman den Produktionsausfall auf gut 5,7 Millionen Faß taxiert – was etwa die Hälfte der saudischen Gesamtproduktionsmenge sowie fünf Prozent jener weltweit ist. Was der perfekt inszenierte Anschlag die Saudis am Ende finanziell tatsächlich kosten wird, ist längst noch nicht abzusehen.

Motto: „Pfeift euren Kampfhund zurück!“

Nur sechs Stunden nach dem Angriff meldeten sich die schiitischen Huthi-Rebellen, gegen die Riad seit 2015 im Jemen einen blutigen Krieg führt, zu Wort und übernahmen auf ihrem Haussender „Al Masirah TV“ die Verantwortung für die Attacke. „In Zusammenarbeit mit den ehrenwerten Menschen innerhalb des Königreiches“ habe man zehn Drohnen gen Abqaiq gestartet, „um die Luftangriffe und die Inzielnahme auf unsere Zivilbevölkerung“ zu vergelten.

Allein, sowohl Saudi-Arabien als auch die Vereinigten Staaten wollen den Huthi keinen Glauben schenken. „Es gibt keine Hinweise dafür, daß der Angriff aus dem Jemen kam“, twitterte US-Außenminister Mike Pompeo und bezichtigte statt dessen den Iran, hinter dem Anschlag zu stecken. Dieser sei entweder direkt von iranischem Boden aus unternommen worden oder aber aus dem schiitisch geprägten Süden des Irak, wo die mit dem Iran verbündeten schiitischen „Volksmobilmachungskräfte“ (PMF) stationiert sind.

In den vergangenen Monaten habe man „eine signifikante Steigerung der, von den USA gebilligten, israelischen Luftangriffe im Libanon, im Irak und in Syrien“ auf militärische Anlagen des Iran sowie auf mit ihm verbündete Schiitenmilizen feststellen können, bestätigte der niederländische Konfliktforscher Erwin van Veen im Interview mit Al-Jazeera ein handfestes Verdachtsmotiv. „Der Iran kann dem nur asymmetrisch begegnen, und das war nun die Antwort an die USA – nach dem Motto: Pfeift euren Kampfhund zurück!“ Der Iran freilich bestreitet diese Vorwürfe.