© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 39/19 / 20. September 2019

Protest gegen Mautzonen pflügt politische Landschaft um
Norwegen: Im Zuge eines neuen „Klassenkampfs“ zwischen Pendlern und Großstädtern sind im Königreich neue politische Parteien auf dem Vormarsch
Christoph Arndt

Nach dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (umgerechnet 81.695 Dollar) ist Norwegen, nach Luxemburg und der Schweiz, das drittreichste Land der Welt. Und zwar dank des Exports von Erdgas und Erdöl, bei dem das dünnbesiedelte Land mit seinen gerade mal 5,3 Millionen Einwohnern die Plätze sieben (Gas) beziehungsweise 14 (Öl) unter den Förderländern der Welt belegt.

Und dennoch haben die Norweger Sorgen: Die politische Debatte wird derzeit vom Konflikt um eine Straßenmaut und die Einschränkung des Autoverkehrs in den Großstädten geprägt. Zwar zahlen Autofahrer gegenwärtig für die Einfahrt in den Stadtkern Oslos tagsüber nur 21 Kronen, was etwa zwei Euro entspricht, doch nachdem immer mehr Städte, darunter  Stavanger oder Trondheim, dem Beispiel gefolgt sind und für Kraftfahrzeuge Straßengebühren und Mautzonen (die sogenannten „Bompenger“) eingeführt haben, um den Öffentlichen Nahverkehr zu finanzieren, regt sich immer mehr der Widerstand dagegen.

Umweltpartei MdG gegen neue Volksaktion FNB

Die treibende Kraft dahinter ist die FNB, die „Folkeaksjonen nei til mer bompenger“ (Volksaktion Nein zu mehr Mautgebühren), die 2014 von Frode Myrhol als Protest gegen eine Mautzone in der Region Stavanger/Sandnes zur Finanzierung eines Infrastrukturpaketes gegründet wurde. Kurz darauf entstand eine Partei gleichen Namens, die bei der Kommunalwahl in Stavanger 2015 sogar einen ersten Achtungserfolg erzielte.

Daher ließ sich die FNB 2018 als landesweite Partei registrieren. Ihre vier Kernforderungen sind: keine Mautzonen sowie keine mautfinanzierten Infrastrukturpakete, keine Straßenbenutzungsgebühren, Abschaffung der kommunalen Vermögenssteuer („Eiendomsskatt“) und schließlich: keine Windkraftanlagen auf dem Land. Stattdessen betrachtet die Partei Straßenbau und Infrastruktur als klassische Staatsaufgaben, die durch Steuern und nicht durch Abgaben auf private Mobilität finanziert werden müßten. Damit spricht die FNB Pendler aus Umland und Vorstädten an, die durch die Maut mit einer Zusatzabgabe für ihren Weg zur Arbeit belastet werden.

Zum Gegenpol der FNB entwickeln sich immer mehr die Grünen. Bis in die jüngste Zeit fristete die „Miljøpartiet De Grønne“ (Umweltpartei Die Grünen), kurz MdG, das Dasein einer randständigen Kleinpartei im Schatten der grün-linken Sozialistischen Linkspartei (SV). Durch die Klimadebatte jedoch sind sie nun zu einer relevanten Kraft geworden. Vor allem in den Groß- und Universitätsstädten hat die MdG sich seit 2015 etabliert, und in Oslo ist sie Teil der rot-grünen Stadtregierung, wo sie den Abbau von Parkplätzen in der Innenstadt maßgeblich vorantrieb, da sie den Individualverkehr in den Städten immer weiter einschränken will. Kein Wunder, daß die Grünen daher auch ein entschiedener Fürsprecher von Straßengebühren und Mautzonen sind. 

Der somit aufgekommene Gegensatz zwischen individueller Mobilität und Umweltschutz entlud sich bei den Kommunal- und Regionalwahlen Anfang September. Alle Etablierten, bis auf die ländlich verankerte Zentrumspartei, verloren zum Teil deutlich. Die großen Gewinner waren die Antagonisten FNB und MdG. In Bergen wurde erstere mit 16,9 Prozent auf Anhieb drittstärkste Kraft, trug zur Halbierung der Sozialdemokraten (AP) entscheidend bei und ist nun das Zünglein an der Waage für die Bildung der neuen Stadtregierung. 

Während der fortgeschrittene Konflikt zwischen Individualverkehr und Umweltschutz in Norwegen wohl einen Vorgeschmack auf die Entwicklung ähnlicher Konfrontationen in anderen europäischen Ländern gibt, muß sich die FNB thematisch verbreitern, um sich als die landesweite Partei für die Interessen der Autobesitzer, Pendler und Landbewohner dauerhaft etablieren zu können.