© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 39/19 / 20. September 2019

Wolfsburger Wette auf sächsische Zukunft
Autoindustrie: VW-Werk Zwickau wird zur E-Auto-Produktionsstätte / Asiaten setzten eher auf Brennstoffzellen
Paul Leonhard

Volkswagens neue Vision heißt ID. Nach dem Hybrid-Zweisitzer L1 (2009), dem Minimalauto Nils (2011), den eGolf, eUp und eLoad (2013), der Ankündigung von zwanzig E- und Hybridmodellen bis 2020 und den Elektro-Studien ID. Crozz und ID. Buzz (2017) soll es diesmal ernst werden. Diesen Eindruck erweckte der zum Chef des VW-Konzerns aufgestiegene Herbert Diess, der Volkswagen ein neugestaltetes Logo verordnete und es bei der Vorstellung des Elektroautos ID. 3 auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt an Main stolz präsentierte.

Die ID-Modellfamilie soll in die Massenproduktion gehen und erweitert werden. Bis 2028 wolle man 22 Millionen E-Autos in fast 70 Modellen auf den Markt bringen. Ziel sei es, bis 2025 Weltmarktführer für Elektromobilität zu werden. Die Ausrichtung auf das erste „bilanziell CO2-neutrale Fahrzeug der Welt“ ist eine hochriskante Wette auf die Zukunft. Ausgetragen wird die erste Phase der „großen Elektro-Offensive“ im westsächsischen Zwickau. Das dortige VW-Werk mit seinen 8.000 Beschäftigten wird bei laufender Produktion für 1,2 Milliarden Euro von Golf und Passat komplett auf E-Autos umgerüstet. Allein im Karosseriebau, wo auch die SUVs Bent­ley Bentayga und Lamborghini Urus vom Band laufen, werden 1.600 Roboter neu programmiert. Künftig sollen hier die ID-Familie sowie der E-SUV Audi Q4 e-tron und der Seat el-Born montiert werden. Die Kapazität liegt bei jährlich 330.000 Fahrzeugen. Finden sich genügend betuchte Käufer, sollen bis 2022 sieben VW-Fabriken – so Emden, Hannover, Kwasin, Chattanooga in Tennessee und Werke in China – auf E-Autos umgestellt werden. Auch in der Gläsernen Fabrik in Dresden sollen die 400 Beschäftigten statt dem Ladenhüter E-Golf dann andere E-Autos montieren.

Nach Konzernangaben wurden in Zwickau bereits 300 Elektroautos einer Vorserie gebaut, die gegenwärtig europaweit getestet werden. Die Serienproduktion soll im November auf einer Montagelinie beginnen, die zweite im Sommer 2020 folgen. Die ersten Auslieferungen sind für kommendes Frühjahr geplant. Bislang liegen nach Angaben des Konzerns 30.000 Vorbestellungen vor, mehr wurden nicht angenommen.

Echte Volkswagen, „die Millionen von Menschen erschwinglich sind“ (VW-Vorstand Thomas Ulbrich), kommen aus Zwickau nicht. In der Basisversion wird der 1.719 Kilogramm schwere ID. 3 30.000 Euro kosten. Mit voll aufgeladener Batterie (45 Kilowattstunden/kWh) soll er eine Reichweite von 330 Kilometern haben – wenn Radio, Klimaanlage, Heizung und Licht ausbleiben und es weder zu kalt noch zu heiß ist oder es gar in die Berge geht. Mit einem 77-kWh-Akku und ab 48.000 Euro sollen bis zu 550 Kilometer drin sein, ohne daß man eine längere Zwangspause an einer Ladesäule einlegen muß.

Keine bezahlbaren und alltagstauglichen E-Autos?

Von einer Zusammenarbeit mit dem US-Autobauer Tesla und an dessen teurem Schnelladesystem ist man bei VW nicht mehr interessiert – man hofft wohl auf Geld vom deutschen Steuerzahler. Bei VW soll der Ladevorgang an Schnelladestationen auf 80 Prozent Akkuleistung mindestens 30 Minuten dauern – wenn eine solche zur Verfügung steht und auch gerade frei ist. Die ID-Autos locken mit acht Jahren Garantie oder 160.000 Kilometer Laufleistung auf den Akku. Für den SUV VW Atlas mit Drei-Liter-Sechszylinder gibt es in den USA sechs Jahre Vollgarantie bei bis zu 116.000 Kilometer Laufleistung.

Was aus den alten Batterien wird, bleibt offen. Alltagstaugliche E-Autos für 10.000 bis 20.000 Euro wird es wohl nie geben. Trotzdem hofft Diess, daß der ID. 3 „die Massen überzeugen, eben ein echter Volkswagen wie der Käfer und der Golf werden“ wird. Auch prinzipiell legt sich der VW-Chef fest: Mit Blick auf den Klimaschutz gebe es zur Umstellung auf Elektromobilität keine Alternative.

Wirklich nicht? Ein Blick nach Asien vermittelt ein anderes Bild. In Japan wird derzeit mit Hochdruck und enormen Investitionen daran gearbeitet, die Wasserstoff-Technologie massentauglich zu machen. „Wir glauben, daß wir beides brauchen, die Batterie und die Brennstoffzelle“, zitiert die Welt Toyota-Sprecher Hisashi Nakai. Auch im smoggeplagtem China, einst mit Zwang Vorreiter der E-Mobilität, hat ein Umdenken eingesetzt. Angesichts von zwei Millionen E-Autos (Deutschland Ende 2018: 83.175 Stück) will die KP-Regierung ihre Subventionen für E-Antriebe 2020 auslaufen lassen. Man werde die im Vergleich zu E-Autos effizienteren Wasserstoffahrzeuge in Versuchsregionen testen, kündigte Technologieminister Wan Gang gegenüber Bloomberg an. Der Ex-Audi-Ingenieur, der in China als Vater des E-Autos bekannt ist, schwärmt bereits vom Aufbau einer Wasserstoff-Gesellschaft: „Wir müssen uns weiter in Richtung Brennstoffzellen bewegen.“

Doch seit der Explosion des Zeppelins „Hindenburg“ 1937 in Lakehurst (New Jersey) hat sich an der Gefährlichkeit von Wasserstoff nichts geändert. Und nicht nur sein Transport und die Lagerung, auch seine Erzeugung ist relativ teuer, und es fehlt wie beim E-Auto an der nötigen Infrastruktur, sprich Wasserstoff-Tankstellen. Neben den Chinesen arbeiten Toyota, die koreanische Hyundai/Kia-Allianz und Mercedes (GLC F-Cell) weiter an der Brennstoffzelle, die weniger Gewicht, größere Reichweiten und schnelleres Betanken verspricht und überdies das lokale Stromnetz nicht überlastet. Die Pläne der chinesischen Regierung sehen vor, daß bis 2030 eine Million Wasserstoff-Autos auf den Straße des Landes unterwegs sind.

Das alles sind keine guten Nachrichten für die einseitige Ausrichtung des Volkswagen-Konzerns und insbesondere den sächsischen Standort Zwickau. Setze sich die wasserstoffbetriebene Brennstoffzelle als Technologie durch, warnt die Dresdner Morgenpost, dann habe „VW aufs falsche Pferd gesetzt und ist im Autoland Sachsen mausetot“.

Zahlen und Fakten im Überblick:  www.volkswagen-sachsen.de