© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 39/19 / 20. September 2019

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Die Irritation über Herbert Grönemeyers Tagtraum, daß er und seinesgleichen „diktieren“ werden, wie es in diesem Land weitergeht, ist ganz überflüssig: Der Mann war schon für einseitige Abrüstung und Nato-Austritt und gegen die Wiedervereinigung. Was erwartet man?

˜

Folgt man dem Anthropologen Marcel Mauss, ist die Katze das einzige Tier, dem es je gelang, den Menschen zu zähmen. Aber man sollte auch den „Hundeblick“ nicht unterschätzen, der es diesem Vierbeiner erlaubt, das Kindchenschema zur Geltung zu bringen. Nach neuen Forschungen dient dazu ein Muskel, der dem Wolf (und sonst nur dem sibirischen Husky) fehlt.

˜

Beim Reden mit Linken beachten: Ahnungslosigkeit – sicherlich; Begriffsstutzigkeit – wahrscheinlich; Böswilligkeit – möglich.

˜

Bürgerlichkeit I: Nach einem Vortrag, den ich 1986 über die Nationalisten der Weimarer Republik gehalten hatte, nahm ein älterer Herr mit mir Kontakt auf. Er stimmte meinen Ausführungen im Prinzip zu, meinte aber, daß doch eine seiner persönlichen Beobachtungen von Interesse sein könnte. In der letzten Phase vor Hitlers Machtübernahme hatte er Verbindung zum Kreis um die Zeitschrift Widerstand und deren Herausgeber Ernst Niekisch gehabt. Niekischs politischer Weg war da schon windungsreich gewesen: vom Sozialdemokraten zum Anhänger der radikaleren USPD, dann in der Revolutionszeit führender Kopf der bayerischen Räte-Bewegung, reuige Rückkehr in die SPD, die er nun aber überzeugen wollte, daß man die Arbeiterschaft für einen nationalen Kurs gegen den Versailler Vertrag gewinnen müsse. Die Parteiführung duldete seine Umtriebe eine gewisse Zeit, bevor sie sich entschied, einen Mann, der im Ruf stand, ein scharfer Linker zu sein, wegen Rechtsabweichung auszustoßen. Niekisch versuchte es mit einer eigenen Gründung, die den unglücklichen Namen „Alte Sozialdemokratische Partei“ trug, und scheiterte. Danach konzentrierte er sich auf die Publizistik und nahm einen – wenngleich begrenzten – Einfluß auf die verschiedenen nationalrevolutionären Bünde und Gruppen, die in den 1920er Jahren entstanden. Aber selbst in deren Reihen war seine Position eine extreme: Als „Nationalbolschewist“ forderte er nicht nur ein Bündnis mit der Sowjetunion, um das Joch von Versailles abzuschütteln, er plante auch Deutschland in eine Art Sparta zu verwandeln, mit Rücksiedlung aufs Land und kaserniertem Arbeitseinsatz. Was ihm vorschwebte, war ein großgehungerter Kriegerstaat, ein rot-graues Preußen im Zustand permanenter Mobilmachung. Daß seine Vorstellungen keine Aussicht auf breitere Resonanz hatten, ist selbstverständlich. Aber aufschlußreicher erscheint noch der Bericht meines Gewährsmanns, daß Niekisch grundsätzlich nur in Anzügen von feinem Tuch auf die Straße ging oder in seiner Wohnung empfing, und es in seinem Haushalt selbstverständlich Personal gab, Dienstmädchen etwa, die das Essen servierten. Vielleicht verstand Niekisch das als Vorschuß auf den kommenden Sieg der nationalbolschewistischen Revolution, aber vielleicht war es auch das sicherheitshalber realisierte bürgerliche Idyll, das ihm seine bürgerlichen Geldgeber ermöglichten.

˜

Das Wort „Nostalgie“ ist zwar älter, tauchte in Großbritannien aber offenbar erst um 1800 auf, als Bezeichnung für die seelischen Leiden der Soldaten, die in den Revolutionskriegen kämpften und sich nach der Heimat sehnten, Ausdruck einer „Posttraumatischen Belastungsstörung“ würde man heute sagen.

˜

Der Mensch ist das Tier, das „Warum?“ fragt.

˜

Der britische Mediziner David Mackereth verlor nach sechsundzwanzig Jahren unbeanstandeter Tätigkeit seine Stellung an einem Krankenhaus in Birmingham, da er in einem Formular für einen Transsexuellen ein „Er“ statt eines „Sie“ vermerkt hatte. Er berief sich dabei auf das Offensichtliche der Geschlechtsmerkmale der in Frage stehenden Person und war auch nach einer Diskussion in Anwesenheit des/der Betroffenen und seines Vorgesetzten nicht zu einer Änderung bereit. Prompt wurde Macke-

reth wegen sexueller Diskriminierung entlassen. Obwohl der Vorgang mehrere Monate zurückliegt, hat er erst jetzt eine breitere öffentliche Diskussion ausgelöst, nachdem bekannt wurde, daß Mackereth gerichtlich gegen die britische Regierung vorgehen will, deren Vorschriften nicht nur seinen christlichen Überzeugungen, sondern auch allen wissenschaftlichen Erkenntnissen – „das Geschlecht ist festgelegt durch Biologie und Genetik“ – widersprächen.

˜

Bürgerlichkeit II: Unter einer „bürgerlichen Lebensweise“ verstand man oft eine „großbürgerliche“, also etwa die eines Professors wie Werner Sombart in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts, der sich rühmen konnte, niemals die Küche seiner Villa im Grunewald betreten zu haben.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 4. Oktober in der JF-Ausgabe 41/19.