© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 39/19 / 20. September 2019

Volkpädagogik hemmt das Verstehen
Nationalsozialismus: Ein niederländisches Museum zeigt die Ausstellung „Das Design des Dritten Reiches“
Karlheinz Weißmann

Wenn es eine Kunstausstellung in den Niederlanden zu einer Meldung im „Heute-Journal“ wie in der Bild-Zeitung gebracht hat, muß es sich um etwas ganz Besonderes oder um etwas ganz Skandalöses handeln. Im Fall der neuen Exposition des Design-Museums ’s-Hertogenbosch geht es um eine Mischung aus beidem: Man zeigt „NS-Design“, vom Kandelaber aus Himmlers Wewelsburg über mehr oder weniger bekannte Plakate und Parteifahnen bis zum Holzmodell eines Hauses, das in der geplanten Hauptstadt „Germania“ errichtet werden sollte.

Das Interesse an der Ausstellung ist groß. Eintrittskarten sind nur vorab via Internet zu bekommen und schon über längere Strecken ausverkauft. Fragt man nach der Ursache, liegt natürlich der Hinweis auf den Reiz des Verbotenen nahe. In einer Welt, in der alles, was mit dem nationalsozialistischen Regime zusammenhängt, als kontaminiert gilt, darf Aufmerksamkeit erwarten, wer dessen schöne Seite zeigen will.

Hitler wollte das Alltagsleben verändern

Dazu haben die Verantwortlichen des Museums weit ausgeholt und sind bis in „Kampfzeit“ zurückgegangen. Ein Thema ist etwa die „Marketing“-Strategie, die hinter der offiziellen Darstellung Hitlers stand, ein anderes die Entwicklung der NS-Symbole von amateurhaften Anfängen bis zum „Markenzeichen“. Zwecks Illustration findet der Besucher in einer Vitrine deshalb Beispiele für die Verwendung des Hakenkreuzes in den völkischen Gruppierungen der Kaiserzeit und das ungelenk auf einen Stahlhelm der Brigade Ehrhardt gemalte Emblem genauso wie die Entwürfe des Parteiabzeichens durch die Silberschmiede Gahr in München.

Aufschlußreicher sind allerdings die Abteilungen, die die Zeit nach der Machtübernahme behandeln. Dabei werden so unterschiedliche Aspekte wie die Aneignung der Antike im Kontext der Olympischen Spiele, die Repräsentation der Deutschen als Kulturvolk auf der Pariser Weltausstellung von 1937 und die Konzeption des Stahlhelms der Wehrmacht behandelt. Aber es geht auch um die Diskrepanz zwischen der bewußt reduzierten Gestaltung, die das Amt „Schönheit der Arbeit“ der DAF vorgab, der martialischen Ikonographie der SS und dem barocken Repräsentationsbedürfnis der „Goldfasane“.

Zuletzt zeichnen sich zwei Haupttendenzen deutlich ab: die Anstrengung, ein staatliches corporate design zu entwerfen und gegen alle Abweichler in den eigenen Reihen – daher das Verbot jeder Art „Nazi-Kitsch“ – durchzusetzen, sowie die Entschlossenheit, mit der Hitler den Plan verfolgte, Deutschland ein zeitgemäßes Gesicht zu geben. Selbstverständlich duldete er Folklore, wenn das nützlich war, und Blut-und-Boden-Kult, wenn ihm das Gefolgschaft sicherte. Aber zuletzt ging es ihm darum, das Alltagsleben der „Volksgenossen“ zu verändern und sie an eine Ästhetik zu gewöhnen, die ihre Kriterien aus der technischen Welt bezog. Das zur Geltung gebracht zu haben, wird man als entscheidendes Verdienst der Ausstellung in ’s-Hertogenbosch betrachten dürfen.

Allerdings handelt es sich um ein Verdienst, das die Verantwortlichen gar nicht erwerben wollten. Denn deren Angst vor der Wirkung ihrer Exponate ist wesentlich größer als die Bereitschaft zu einer sachlichen Beschäftigung mit der Thematik. Der Ausstellungsbesucher ahnt das schon, wenn er das Museum betritt und die angespannte Atmosphäre registriert. Die Zahl der Aufsichtführenden ist außergewöhnlich groß, mit Argusaugen wird darüber gewacht, daß niemand fotografiert. Bezeichnenderweise existiert kein Katalog, und im unvermeidlichen Museumshop fällt als erstes ein Buch ins Auge, das auf dem Umschlag die Buchstaben „KL“ – für Konzentrationslager – in gotischen Lettern zeigt.

Um gar keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, wird auf einer Schrifttafel zu Beginn der Ausstellung festgehalten, daß man im NS-Regime nichts anderes als das „ultimative Böse“ sehen könne und es keineswegs das Ziel sei, „das Böse zu nuancieren“. Wenn hinzugefügt wird, daß es abwegig sei, den von Hitler und seiner Gefolgschaft verwendeten Emblemen oder den zwischen 1933 und 1945 hergestellten Gegenständen eine „intrinsische Bösartigkeit“ zu unterstellen, ist das nur ein Ausdruck von Hilflosigkeit, hat jedenfalls nichts mit der Bereitschaft zur Analyse zu tun.

Daher rührt auch die Tendenz, die mögliche Faszination der Ausstellungsstücke sofort zu brechen. Selbst der Autobahnbau muß mit „Vernichtung“ assoziiert werden, und die deutsche Feindschaft gegenüber dem „Aufklärungsideal des Verstandes und der Vernunft“ wird als eine Art Generalerklärung betrachtet. Gelungene Formgebung beruht letztlich auf „Aneignung“ fremden Gedankenguts oder einem Selbstmißverständnis, da hinter der Verknüpfung von Gestalt und Benutzer seit je eine „vollkommen marxistische Argumentation“ gestanden habe. Weshalb nicht überrascht, was man dem Besucher als Quintessenz mit auf den Weg gibt: „Das rassistische und romantische Ideal der Nazis kann als heftiger Gegensatz zur aufstrebenden Modernität des Lebens betrachtet werden.“

Daß diese Feststellung nicht stimmen kann, wird jedem Besucher allerdings schon im Foyer des Museums demonstriert. Dort hat man unter einem roten Banner einen „Käfer“ plaziert, also jenen Kraft-durch-Freude-Wagen, der bis 1938 fertig entwickelt, in der Kriegszeit für den militärischen Gebrauch umgerüstet und dann in der zivilen Version zum Objekt allgemeiner Begierde der Wirtschaftswunderdeutschen wurde. Hätte man sich diesem Moment der Kontinuität in ’s-Hertogenbosch gestellt, wäre viel von der außerordentlichen Integrationskraft des NS-Regimes verständlich geworden, die eben nicht auf dessen archaisierende Züge zurückzuführen war, sondern auf eine spezifische Form der „Amerikanisierung“ der „Volksgemeinschaft“.

Wissenschaftliche Forschung ignoriert

Aber das vorausgesetzt, müßte man die bequemen Antagonismen Deutschland – Der Westen, Romantik – Aufklärung, Antimoderne – Moderne, Schwarz – Weiß aufgeben. An denen festzuhalten spricht für Ahnungslosigkeit, aber auch für die Vergeblichkeit wissenschaftlicher Forschung. Denn die seit den 1980er Jahren unternommenen Anstrengungen, ein wirklichkeitsnäheres Bild des „Dritten Reiches“ zu entwerfen, müssen offenbar als gescheitert betrachtet werden. Das gilt für die Darstellungen zur Alltagsgeschichte der Deutschen (vor allem Hans Dieter Schäfer: „Das gespaltene Bewußtsein“, 1981), für die theoretischen Auseinandersetzungen über das Verhältnis von Nationalsozialismus und Modernität (vor allem Rainer Zitelmann und Michael Prinz, Hrsg.: „Nationalsozialismus und Modernisierung“, 1991), aber auch für den kunsthistorischen Vergleich, der feststellte, daß Albert Speers Reichskanzlei bei nüchterner Betrachtung erstaunliche Ähnlichkeit mit repräsentativen Gebäuden nicht nur im faschistischen Italien und der Sowjetunion aufwies, sondern sich auch Parallelen zur Staatsarchitektur in Helsinki oder Washington zeigen lassen (vor allem Franco Borsi: „Die monumentale Ordnung“, 1981).

Ohne Zweifel hat man in ’s-Hertogenbosch eine wichtige Chance vergeben. Was aber kein Zufall ist, sondern ein weiteres Ergebnis jener linken Kulturrevolution, die auch die „Historisierung“ des Nationalsozialismus unterbunden hat. In der achten Dekade nach dessen Untergang dominiert noch immer eine volkspädagogisch-moralisierende Betrachtung, die dafür sorgt, daß jedes Objekt, das irgendwie mit Hitler in Zusammenhang gebracht wird, nie für sich, sondern nur mit Abscheu oder jenem leichten Grusel betrachtet werden kann, der zwar das Interesse wachhält, aber Verstehen unmöglich macht. Gehemmt wird so, was man Erkenntnis nennt, und gefördert jene kurzschlüssige Nutzanwendung der Vergangenheit, die in ’s-Hertogenbosch nicht einmal vor der Verknüpfung des alten mit dem neuen – selbstverständlich populistischen – Bösen zurückscheut. 

Die Ausstellung „Design of the Third Reich“ ist bis zum 19. Januar 2020 im niederländischen Design Museum Den Bosch, De Mortel 4, 5211 HV ‘s-Hertogenbosch, täglich außer montags von 11 bis 17 Uhr zu sehen. Der Eintritt kostet 10 Euro, die Karten müssen online vorgebucht werden.

 https://designmuseum.nl