© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 39/19 / 20. September 2019

Dem Grundsatz treu geblieben
40 Jahre „idea-Spektrum“: Trotz Gegenwinds gab es noch nie so viele Abonnenten und Spenden
Gernot Facius

Die Schlagzeile vom 4. Oktober 1989 war pointiert formuliert: „Wiedervereinigung – was sonst?“ Mit ihr verschaffte sich idea Spektrum, damals ein dünnes Blättchen aus dem mittelhessischen Wetzlar, eine Alleinstellung unter den evangelischen Publikationen. Die Reaktion der Kirchenobe-

ren folgte prompt. Idea-Leiter Helmut Matthies, ordinierter hessen-nassauischer Pfarrer, wurde vom Kirchenpräsidenten zum Rapport nach Darmstadt zitiert. 

Es wurde kein freundliches Gespräch, wie Matthies sich in der Sonderausgabe zu 40 Jahren idea Spektrum erinnert. Ihm wurde vorgeworfen, friedensgefährdend, ja rechtsradikal zu sein, ein Pfarrer dürfe so etwas nicht schreiben. Doch der so harsch Kritisierte ließ sich nicht einschüchtern: „Ich verwies darauf, daß dann auch das Grundgesetz rechtsradikal sei. Denn in seiner Präambel forderte es dazu auf, die Einheit und Freiheit des deutschen Volkes zu vollenden. Ich blieb also bei meiner Meinung.“

Warum redet die Kirche nicht auch mit der AfD?

Eine Woche nach dem Mauerfall fuhren idea-Fans mit zehn Trabis durch die DDR und belieferten Kirchengemeinden mit der Titelgeschichte „Großer Gott, wir loben dich!“ Bis heute hat idea prozentual nirgendwo so viele Abonnenten wie in den neuen Bundesländern. Selbst die grün-alternative taz kam 1990 nicht umhin festzustellen: „idea Spektrum ist eine einflußreiche Zeitschrift.“ 

Das Blatt ist seitdem durch wechselvolle Zeiten gegangen, aber immer seinem Grundsatz „schreiben, was ist“ treu geblieben. Es hat Stasi-Agenten in Bischofskanzleien und auf der Kanzel  enttarnt und nie den Konflikt mit den Uneinsichtigen gescheut. „Ich habe nie verstanden“, sagt Matthies, der 40 Jahre idea geleitet hat und heute als Vorstandsvorsitzender des Trägervereins fungiert, „daß die EKD das Thema Stasi bisher nicht angemessen aufgearbeitet hat – auch was die Spitzel in den Kirchen des Westens bewirkt haben“. Kurioserweise „half“ der Ost-Berliner Pfarrer Gerd Bambowsky, die evangelikale Zeitschrift im SED-Staat zu verbreiten, zuletzt in einer Auflage von 200 Exemplaren.

Er besuchte die idea-Zentrale zeitweise einmal im Monat und meldete dann alles „haargenau“ (Matthies) seinem Führungsoffizier von der Stasi. Der umtriebige ehemalige Methodist, Mitglied der Evangelistenkonferenz in der DDR, bezirzte auch das Diakonische Werk der EKD und andere christliche Werke. 1995 kam heraus, daß Bambowsky als Doppelagent für die Stasi und den russischen Geheimdienst KGB unterwegs war. Die idea-Publikationen hat er im Auftrag der Stasi verbreitet, um mit kirchlichen Funktionsträgern ins Gespräch zu kommen und diese Personen „abschöpfen“ zu können. 

Idea wurde es nie leichtgemacht, das Team um Matthies hatte stets zu kämpfen – auch mit Repräsentanten einzelner Landeskirchen und der Synode. So strich die EKD im November 2017 der Agentur den Zuschuß von jährlich 132.000 Euro, was selbst von manchen idea-Kritikern mit Kopfschütteln registriert wurde. 

Denn die Gründe für das Zudrehen des Geldhahns ließen sich nicht verheimlichen: Ein Publikationsorgan, das sich nicht scheute, Fehlentwicklungen in der EKD anzuprangern, sollte abgestraft werden. Was im übrigen nicht so verlief, wie sich das die lautstarken idea-Gegner vorgestellt hatten. Es rollte eine Welle der Solidarität an, sie ist bis heute nicht abgeebbt. 

Die sächsische Landeskirche gewährte als Reaktion auf den Beschluß der EKD-Synode sogar einen Zuschuß von 15.000 Euro. Und es gab noch nie so viele neue Abonnenten und Spenden. Niemand mußte entlassen werden. „Wenn idea christus-zentriert bleibt, hat es eine große Zukunft“, sagt der Vorsitzende des Trägervereins. Er hat auch, was den kirchlichen Umgang mit der AfD angeht, eine klare Haltung: „Es geschieht viel Heuchelei.“ Die Kirche rede mit der sozialistischen Linken, also der SED-Nachfolgepartei, deren Diskriminierungspolitik dazu geführt habe, daß die Zahl der Kirchenmitglieder in der DDR von mehr als 90 Prozent auf rund 20 Prozent zurückgegangen sei. „Warum redet sie dann nicht auch mit der AfD – die ihr bisher nicht geschadet hat?“ Eine gute Frage. Steht das christliche Wochenmagazin (Auflage: 20.000) der AfD nahe? „Nein“, beteuert Matthies’ Nachfolger Matthias Pankau, Pfarrer im Ehrenamt der sächsischen Landeskirche. „Wir sind strikt überparteilich. Als Christen leben wir aber mitten in der Welt. Deshalb können und wollen wir uns politischen Entwicklungen nicht entziehen, sondern sie konstruktiv begleiten. Dabei behandeln wir die AfD wie jede andere demokratisch gewählte Partei auch. Wir hofieren sie nicht, aber wir verschweigen sie auch nicht.“

Die vollständige Jubiläumsausgabe finden Sie hier:  www.cutt.ly/nwFVfm9