© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 39/19 / 20. September 2019

„Freiwild einer multinationalen Jagd“
Presse- und Meinungsfreiheit: Mathias Bröckers plädiert für die Freilassung des Wikileaks-Gründers Julian Assange
Ronald Gläser

Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd. Diese Erfahrung haben schon viele Überbringer schlechter Nachrichten gemacht. Und auch in unseren angeblich so aufgeklärten Zeiten müssen all jene, die sich mit den Mächtigen anlegen, mit dem Schlimmsten rechnen. 

Julian Assange (48) ist der Prototyp. Der Wikileaks-Gründer hat keine Verbrechen begangen, sondern aufgedeckt. Und doch wird er nach Ansicht seiner Fürsprecher behandelt wie ein Schwerverbrecher, der weltweit gejagt wird. Von Juni 2012 bis zum April 2019 lebte der gebürtige Australier im Botschafts-Asyl in der Vertretung Ecuadors in London. Dann lieferten ihn seine Gastgeber an die Briten aus. Seit fünf Monaten sitzt er nun in dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Jetzt droht ihm eine Anklage in den USA wegen Geheimnisverrats sowie Verstößen gegen das Anti-Spionage-Gesetz und, sollte er in allen angeklagten Punkten für schuldig befunden werden, eine Gesamtrafe von 175 Jahren Haft. Die Verhandlung über seine Auslieferung soll erst Ende Februar 2020 beginnen. Assange will sich dagegen mit allen juristischen Mitteln wehren.

Diese ganze Geschichte ist ein Schandfleck auf der Weste des ach so freien Westens. Als der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, im Mai Assange im Gefängnis zusammen mit einem Mediziner und einem Psychiater besuchen konnte, erklärte er anschließend, er habe „noch nie zuvor erlebt, daß sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammenschließt, um ein einzelnes Individuum so lange Zeit und unter so geringer Berücksichtigung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit bewußt zu isolieren, zu verteufeln und zu mißbrauchen“. Assange sei „Freiwild einer multinationalen Jagd“, schreibt der Buchautor Mathias Bröckers in seinem Plädoyer für eine Freilassung des Wikileaks-Gründers.

Bloggerin entlarvt Verleumdungen

Einschränkungen der Pressefreiheit in der Türkei oder Rußland werden von „unseren Eliten“ lauthals angeprangert – und gleichzeitig lassen sie den Betreiber einer unbequemen Whistleblower-Plattform verfolgen. „Wo bleibt der Aufschrei für Assange?“ fragte kürzlich der Kolumnist der Neuen Zürcher Zeitung Milosz Matuschek in einem Kommentar für den Deutschlandfunk. Assange sei ein Dissident, der die Wahrheit ans Licht bringe, ohne die es keine Demokratie geben könne, so der Jurist Matuschek.

In der Tat: Solange Männer wie Assange bei uns verfolgt werden, hat der Westen jegliche moralische Autorität verloren.

Mit seiner Webseite hat Assange den investigativen Journalismus „in eine neue Dimension katapultiert“, schreibt Bröckers. Wikileaks hat unter anderem mit den Mitteln der Kryptographie dafür gesorgt, daß die Überbringer schlechter Nachrichten nicht mehr geköpft werden können, denn ihre Anonymität sei garantiert. Daß er dafür bestraft werden soll, sei „ein Rückfall in die Barbarei absolutistischer Herrschaft, ein Rückfall hinter alles, was Fassadendemokratie und Schönwetterhumanität des ‘Werte’-Westens überhaupt noch zu bieten haben“, schreibt der ehemalige taz-Redakteur Bröckers zu Recht.

Er listet in seinem kleinen Band alle wichtigen Veröffentlichungen auf und – wichtiger noch – berichtet, wie es Assange seit seinem Rauswurf aus der Botschaft erging. Der Gefangene klagt über Psychofolter und Isolationshaft. Nach Auskunft von UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer leidet er „unter schweren chronischen Angstzuständen, neurologischen Symptomen und einem posttraumatischen Streßsyndrom“. In einem Interview vorvergangene Woche mit der Süddeutschen Zeitung bekräftigte er sein Urteil über die Behandlung von Assange. Die ihm vorliegenden Beweise ließen „keinen anderen Schluß zu, als daß die betroffenen Staaten in diesem Fall ihre Macht und Institutionen systematisch mißbraucht haben, um an Assange ein abschreckendes Exempel zu statuieren“.

Bröckers’ Buch ist ein Plädoyer für die Freilassung Assanges. Und zugleich eine Anklage gegen die sogenannten Qualitätsmedien, die sich weigern, diesen skandalösen Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit als solchen zu brandmarken.

Der zweite Teil besteht aus einem Aufsatz der australischen Bloggerin Caitlin Johnstone, die dreißig der Anti-Assange-Hetzgeschichten entlarvt hat. Die Lügen über Assange reichen vom Pädophilievorwurf über angebliche Trump- und Faschismus-Nähe bis hin zur Horrornachricht, er habe seine Katze schlecht behandelt. Das ganze Spektrum übler Nachrede ist dabei. Neider und Geheimdienste haben ganze Arbeit geleistet.

Wer die Wahrheit über Assange erfahren will, muß dieses Buch von Mathias Bröckers zur Hand nehmen.

Mathias Bröckers: Freiheit für Julian Assange. Don’t kill the messenger! Westend Verlag, Frankfurt am Main 2019, broschiert, 128 Seiten, 8,50 Euro