© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 39/19 / 20. September 2019

„Europa ist ein genetischer Schmelztiegel“
Die „Jenaer Erklärung“ und die Biologisierung der Masseneinwanderung / Wissenschaftliche Begleitmusik?
Oliver Busch

Zur 112. Jahresversammlung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft, die Mitte September in Jena stattfand, haben vier Professoren vorige Woche eine viereinhalbseitige „Jenaer Erklärung“ veröffentlicht, an der sie „monatelang gearbeitet“ hätten (Die Zeit 38/19). Unter dem Titel „Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung“ ist ein Papier entstanden, das ein krasses Mißverhältnis von Aufwand und Ertrag dokumentiert.

Alte Antworten auf einen überkommenen Zeitgeist

Ist doch den Autoren, den Zoologen Martin Fischer, Johannes Krause (beide Jena), Stefan Richter (Rostock) sowie dem Biologie-Didaktiker Uwe Hoßfeld (Jena) nicht weniger gelungen, als den Nordpol ein zweites Mal zu entdecken. Ihre These, Menschenrassen seien keine biologische Tatsache, sondern eine „reine Konstruktion des menschlichen Geistes“, ist bald hundert Jahre alt. Politische Relevanz erlangte sie in den 1930ern, im Zenit des Rassendenkens und – in den USA, Südafrika, den Kolonialreichen, in Japan und bei der Juden-Gesetzgebung des NS-Staates – zur Hochzeit seiner praktischen Umsetzung.

Als Antwort auf diesen Zeitgeist veröffentlichten der Zoologe Julian Huxley und der Sozialanthropologe Alfred C. Haddon 1935 eine scharfe Kritik der Rassenlehren („We Europeans: A Survey of Racial Problems“). Deren Argumente käut die „Jenaer Erklärung“ heute wieder: Die Abgrenzung von Menschenrassen sei, wie es in der Pionierzeit der Genetik noch hieß, erbbiologisch nicht beweisbar und basiere lediglich auf äußerlichen Merkmalen wie Kopfform oder Hautfarbe. Daher sei der Terminus „Rasse“ aus der Wissenschaftssprache zu streichen und stattdessen, um kulturell-soziologische Faktoren menschlicher Gruppenbildung zu priorisieren, von Ethnien zu sprechen.

Was längst geschehen ist. Nicht weil die scientific community den beiden Briten gefolgt wäre, sondern weil das Rasse-Paradigma in Europa nach 1945 unrettbar diskreditiert war. Ungeachtet dessen, daß Kulturwissenschaftler wie der linksliberale Historiker Imanuel Geiss in seiner „Geschichte des Rassismus“ (1988) noch von der elementaren „realhistorischen Realität“ von Menschenrassen ausgingen, oder Biologen wie Ernst Mayr (1904–2005) sie ein „biological fact“ nannten, kommt dem „Konzept Rasse“ gegenwärtig kaum mehr als der Rang einer Arbeitshypothese zu. 

Bedeutung haben „Race“ und „Ethnicity“ weiterhin im angloamerikanischen Diskurs. Etwa in der Bevölkerungsstatistik, Pharma- oder der Intelligenzforschung: Sind die Unterschiede zwischen „Asian“, „African“ und „White“ genetischen Determinanten oder sozialen Einflüssen geschuldet? Die Jenaer These, es gebe „keinen wissenschaftlich nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Intelligenz und geographischer Herkunft“ wird anderswo weiterhin hinterfragt.

„Eindeutig widerlegt“ ist auf diesem Feld jedenfalls so wenig wie auf dem der Populationsgenetik, wo sie an die Studien des New Yorker Genetikers und Marxisten Richard Lewontin anknüpfen, die seit den 1970ern maßgeblich dazu beitrugen, Konsens darüber zu stiften, daß es ihre homogenen Erbanlagen verböten, die Menschheit rassisch zu differenzieren. Auch hier repetiert das Papier nur alte Positionen und verschweigt wiederum, daß der britische Evolutionsbiologie Anthony W. F. Edwards den US-Kollegen Lewontin in einer spektakulären, experimentell bestätigten Kritik („Lewontin’s fallacy“, 2003) seinerseits „eindeutig widerlegt“ hat.

Dieses Pochen auf Eindeutigkeit verrät überdies, daß die um Formulierungen ringenden Verfasser nie Zeit fanden, sich vom polnisch-jüdischen Mikrobiologen Ludwik Fleck (1896–1961) und dessen „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“ (1935), einem wissenschaftssoziologischen Klassiker, darüber belehren zu lassen, wie abhängig auch ihre „Wahrheiten“ von etablierten „Meinungssystemen und Denkkollektiven“ sind.

Unterm Strich gibt die „Jenaer Erklärung“ Rätsel auf. Soweit wie sie Forschungsergebnisse der Humangenetik und Evolutionsbiologie verwertet, ist sie unterkomplex. Und soweit wie sie empfiehlt, „Rasse aus dem Sprachgebrauch zu streichen“, rennt sie offene Türen ein. Was also bezweckt diese Litanei über das „Konstrukt Rasse“? „Was versprechen Sie sich davon, wenn dieser Begriff nirgends mehr auftauchen würde?“, wird Martin Fischer im Deutschlandfunk gefragt – er bleibt die Antwort schuldig.

Das Vertrauen in die UN-Migrationspolitik stärken

Sie erschließt sich aber aus der Verknüpfung scheinbar wissenschaftlicher Erörterungen mit der Kampfvokabel „Rassismus“. Obwohl es hier keine relevante Bewegung gibt – außer die Rassisten der „Kritischen Weißseinsforschung“ – halluzinieren die Verfasser die akute Gefahr eines „weißen Rassismus“, der sie wehren wollen. So entpuppt sich ihr Papier als Pamphlet zum Hausgebrauch im politischen Tageskampf.

Genauso verstehen es die Leitmedien: Der Text sei eine „Anklageschrift gegen die xenophoben Haßredner“, folgert Philip Bethge (Spiegel) und verrät gleich, wen er meint: Andreas Kalbitz, AfD-Chef in Brandenburg. „Wir sind alle Afrikaner“ und „Europa ist ein genetischer Schmelztiegel“ lautet das „Framing“ der GEZ-Sender. Und sechs Wochen vor der Thüringer Landtagswahl zeigt man in Jena Haltung, wenn Ethnopluralismus als „Rassismus“ denunziert („Neuformulierung der Ideen der Apartheid“) und Martin Fischer im Interview nachschiebt, man wolle sich damit von jenen „völkischen Kreisen“ abgrenzen, die Afrikaner „aufgrund ihres Fortpflanzungsverhaltens diskriminieren“. AfD-Landeschef Björn Höcke ist damit gemeint, aber mit ihm auch eine Phalanx renommierter Demographen und Ökonomen, die wie Gunnar Heinsohn und Paul Collier die afrikanische Bevölkerungsexplosion zur globalen Schicksalsfrage erheben.

Dem deutschen Darwinisten Ernst Haeckel (1834–1919, JF 33/19), wirft die „Jenaer Erklärung“ vor, er habe die Politik biologisiert. Die von seinem Schüler, dem KPD-Anhänger Julius Schaxel (1887–1943) in Jena verkörperte Synthese von Darwinismus und Marxismus bleibt hingegen unerwähnt. Mehr noch: Die vier Wissenschaftler eifern Haeckel unter anderen Vorzeichen bedenkenlos nach. Ist ihr genetisch untermauertes Evangelium der Gleichheit, demzufolge Afrikaner keine Fremden, sondern enge Verwandte seien, doch die biologistische Rechtfertigung der „One World-Ideologie“ und ihre pseudowissenschaftliche Begleitmusik.

Genau so wie im UN-Migrationspakt (JF 47/18) von Wissenschaft und Medien gefordert, die das „Vertrauen der Öffentlichkeit in die Migrationspolitik stärken“ sollen, ordnet das Jenaer Papier dessen Kritiker dem „rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Milieu“ zu. Als treudeutsche Professoren, in langer Untertanen-Tradition verwurzelt, liefern die „Erklärer“ wie bestellt. Und pünktlich, zehn Tage nachdem der scheidende EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos von der bürgerlichen Partei Nea Dimokratia in der Welt die Europäer aufforderte, Brüsseler „Resettlement“-Projekte zu unterstützten, von denen eines, die Umsiedlung von „Flüchtlingen“ aus Libyen via Niger und Ruanda soeben mit UN-Hilfe realisiert werde.

„Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung“:  uni-jena.de