© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/19 / 27. September 2019

Ländersache: Bremen
Organisiert und zielgerichtet
Paul Leonhard

Die Gründung der größten Ermittlungsgruppe in der Geschichte der Bremer Polizei hat sich gelohnt. Die Beamten verbuchen es als Erfolg, daß zu den Vorgängen in der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) eine Anklageschrift eingereicht wurde (JF 40/18). Oberstaatsanwalt Frank Passade erhob die Anklage vergangene Woche gegen die frühere Leiterin des Bamf-Außenstelle, Regierungsdirektorin Ulrika B., und zwei Rechtsanwälte. 

Den Beschuldigten wird auf 250 Seiten vorgeworfen, ein „auf Dauer angelegtes System bei der Bearbeitung von Asylfolgeanträgen geschaffen“ zu haben, um Mandanten vor der Abschiebung zu bewahren oder ihren behördlichen Aufenthaltsstatus zu verbessern. Im Klartext: die Amtsleiterin soll in krimineller Absicht Asylbescheide manipuliert haben.

Die Vorfälle waren im April 2018 öffentlich bekanntgeworden. Zwischen 2013 und 2016 seien in Bremen in mindestens 1.200 Fällen Asylanträge gesetzwidrig bewilligt worden, so der in den Medien kolportierte Vorwurf. Bereits seit 2014 hatten sich Mitarbeiter und andere Bamf-Außenstellen mehrfach über Bremen und das Gebaren der dortigen Leiterin beschwert, die im Juli 2016 abgesetzt und 2017 vom Dienst suspendiert wurde.

Eine Prüfgruppe des Amtes untersuchte die Akten von 18.000 Antragstellern aus der Zeit zwischen 2006 und Anfang 2018 und fand nach eigenen Angaben in 145 von 12.848 Fällen Belege für „manipulative Einflußnahme“. In weiteren 2.043 Verfahren sei „nicht ausreichend ermittelt“ worden. Auffällig ist, daß insbesondere Jesiden bevorteilt wurden. 

Es sei nicht Gegenstand der strafrechtlichen Untersuchungen gewesen, „ob ein positiver Bescheid zu Recht oder Unrecht erteilt wurde“, sondern ob im Verfahren Straftaten begangen wurden, sagte Oberstaatsanwalt Passade. Für alles andere sei das Bamf selbst zuständig. Das hat Disziplinarverfahren gegen sieben Mitarbeiter eingeleitet, bisher 263 Asyl-entscheidungen zurückgezogen, weitere Fälle werden noch geprüft. Noch nicht abgeschlossen sind die Ermittlungen der Sonderkommission gegen Asylbewerber, die falsche Angaben gemacht oder gefälschte Papiere vorgelegt haben sollen. Laut Innenrevision wurden in 553 von 1.371 Fällen die Staats- und Volkszugehörigkeit der Antragsteller nicht geklärt, in 439 Fällen Fingerabdrücke nicht oder verspätet abgenommen.

Die im Mai 2018 gegründete Soko, besetzt mit 45 Beamten des Bundes- und Landeskriminalamtes, der Bundespolizei und Bamf-Experten, konnte anscheinend ausreichend Beweismaterial vorlegen, um den Beschuldigten in unterschiedlicher Tatbeteiligung 121 Straftaten vorzuwerfen. Dabei handelt es sich um Verstöße gegen das Asyl- und Aufenhaltsgesetz, Vorteilsannahme, Vorteilsgewährung, Fälschung beweiserheblicher Daten, Urkundenfälschung und Verletzung des Dienstgeheimnisses, begangen zwischen Juni 2014 und März 2018. 

Den Rechtsanwälten Irfan C. und Cahit T. aus Hildesheim bzw. Oldenburg, wirft die Staatsanwaltschaft vor, bei der mutmaßlichen Manipulation der Asylverfahren „gewerbsmäßig“ gehandelt zu haben. Gegen drei Bamf-Mitarbeiter und weitere Verdächtige wird noch ermittelt. Ob das Landgericht die Anklage zuläßt, steht indes noch nicht fest.