© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/19 / 27. September 2019

Obergrenze ist sowas von 2018 …
Horst Seehofer: Für seine Kursänderung in der Einwanderungspolitik gibt’s Beifall von den Grünen
Jörg Kürschner

Mit seinem Kurswechsel in der Migrationspolitik, der „Mutter aller Probleme“, ist Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf wohlwollende Aufmerksamkeit bei den Grünen und bei Flüchtlingsorganisationen gestoßen, während in den Unionsparteien zum Teil scharfe Kritik geäußert wurde. Der CSU-Politiker hatte überraschend die Aufnahme jedes vierten aus Seenot geretteten Flüchtlings in Deutschland angekündigt und für diese Position auch auf einer EU-Konferenz geworben.

AfD-Senior Alexander Gauland kann sich noch an eine CSU als „Korrektiv für die immer weiter nach links rückende CDU und Garant für eine bürgerlich-konservative Politik“ erinnern. Jetzt sei die CSU auf den grünen Mainstream eingeschwenkt. Das waren noch Zeiten (1981), als der „Drehhofer statt Stehhofer“ (CSU-interner Spott) sich „bis zur letzten Patrone“ gegen eine „Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme“ wehren wollte. Gemessen am Beifall auf dessen plötzlichef Kehrtwende könnte der AfD-Fraktionschef recht haben. Ein „Schritt in die richtige Richtung“, befand die private Hilfsorganisation Sea Watch, ätzte aber zugleich, der deutsche Innenminister sei „mit seiner rassistischen Politik gescheitert“. Zufrieden zeigte sich auch „Pro Asyl“. 

Der Wunschkoalitionspartner, die Grünen, lobte Seehofer, der ein „gutes und großzügiges Zeichen“ gesetzt habe. Er müsse jetzt „den Forderungen aus seiner eigenen Partei, gerettete Menschen nach Libyen zurückzuführen, eine klare Absage erteilen“.  Im gleichen Atemzug beklagte die Grünen-Politikerin Luise Amtsberg, die „unsolidarische“ Forderung von FDP-Chef Christian Lindner, Asylbewerber an allen deutschen Grenzen zurückzuweisen, wenn sie aus anderen EU-Ländern einreisen wollten. Lindner hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auch ausdrücklich davor gewarnt, „einer so hohen Quote zuzustimmen, denn wir haben über Jahre die Hauptlast in Europa getragen“.

 In den Unionsparteien ist Seehofers Vorstoß dagegen vielfach mit Kritik und Unverständnis aufgenommen worden. Aus Erfurt meldete sich gleich mehrfach der Wahlkämpfer Mike Mohring zu Wort, der die Flüchtlingsverteilung als „Aufgabe der EU in Summe“ ansieht. Manche in der EU seien ganz froh, wenn aus Zwischen- Dauerlösungen würden, weil sie sich dann „einen schlanken Fuß machen“ könnten. „Deutschland kann nicht dauerhaft ein Viertel aller Flüchtlinge aufnehmen, die nach Europa wollen“. Mohrings Wahlkampf-Antipode, Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), hingegen stützte Seehofer. Die Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Andrea Lindholz, zog eine klare Kante zu ihrem Parteifreund. „Wir können nicht pauschal die Aufnahme von 25 Prozent einer unbekannten Zahl von Migranten zusichern“. Das sei „keine vorausschauende Migrationspolitik“. Und der CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Thomas Kreuzer, erklärte, er sei „immer dagegen, daß man von vornherein irgendwelche Quoten festlegt“. Der Vorsitzende der konservativen Werte-Union, Alexander Mitsch, monierte, Seehofers Vorschlag führe zu einer „staatlich garantierten Migrationslotterie“.

Massive Anwürfe aus den eigenen Reihen, die der Gescholtene offenbar als Majestätsbeleidigung empfand. „Ich weise die Kritik an diesem Verfahren aufs schärfste zurück. Es ist unglaublich, daß man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen muß“, entrüstete sich Seehofer auf einer extra einberufenen Pressekonferenz. Immerhin stützte der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster den Ressortchef: Nun gebe es die Chance auf eine Verteilung der aus Seenot geretteten Flüchtlinge. Nach Seehofers Darstellung sind seit Juli 2018 2.199 Menschen im Mittelmeer aus Seenot gerettet worden. Deutschland habe die Aufnahme von 565 von ihnen zugesagt, doch seien nur 225 nach Deutschland gekommen. Problematischer sei vielmehr die Balkan-Route, wo eine neue ungeordnete Flüchtlingswelle drohe.

Wiederspruch zu         Beschlüssen der EU

Am vergangenen Montag hatten sich Seehofer und seine Kollegen aus Frankreich, Italien und Malta auf ein Notfallsystem geeinigt. Weitere EU-Staaten, so die Erwartung, sollen sich dem Mechanismus anschließen. Lindholz ließ sich durch Seehofers Gepolter nicht einschüchtern und meldete sich erneut zu Wort. Bevor Deutschland einer Aufnahme von Flüchtlingen per Quote zustimme, „sollte mindestens klar sein, daß nur die Schutzberechtigten unter den Bootsmigranten umverteilt werden“. Die aus Seenot Geretteten pauschal auf mehrere EU-Länder zu verteilen, stünde im Widerspruch zur Beschlußlage der EU, positionierte sich die CSU-Politikerin.  

Die Kanzlerin, Seehofers Reizfigur im Asylstreit des vergangenen Jahres, sah nun keinen Anlaß mehr, sich einzumischen, spricht ihr gelehriges Kabinettsmitglied doch längst nicht mehr von „Obergrenzen“. Ihre Nachfolgerin im Parteivorsitz, Annegret Kramp-Karrenbauer, verteidigte den einstigen Hardliner, zeigte aber auch vorsichtiges Verständnis für die Kritiker. Nötig sei eine „breite, europäische Lösung“, doch müsse man sich fragen, ob es dadurch wieder zu einem Anstieg der Flüchtlingszahlen kommen könne. CSU-Parteichef Markus Söder flüchtete sich in Allgemeinplätze: Humanität und Ordnung müßten weiter in Balance bleiben.