© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/19 / 27. September 2019

Alles reibt sich an den Identitären
Österreich: Ex-Kanzler Sebastian Kurz wird die Parlamentswahl gewinnen, doch allein regieren kann er nicht
Josef Hämmerling

Der Endspurt im österreichischen Wahlkampf ist in vollem Gang. Während dieser zuletzt vor sich hindümpelte, wird es in den Tagen bis zur Wahl am 29. September nunmehr durch die Veröffentlichung eines eigentlich internen Zwischenberichts des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) nochmals unerwartet spannend. 

In einem verschiedenen Medien zugespielten Bericht wird dem früheren FPÖ-Kabinettschef Reinhard Teufel vorgeworfen, mehrfach Kontakt mit dem Chef der Identitären, Martin Sellner, gehabt zu haben. Dieser streitet das auch gar nicht ab, erklärt den Kontakt aber mit seinen Aufgaben als Büroleiter des ehemaligen FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache. 

ÖVP und FPÖ stimmen in Grundsatzfragen überein

Seine Aufgabe sei es gewesen, Bürger-anfragen zu beantworten. In dem Zusammenhang sei es auch zu einem Treffen mit dem Identitären gekommen, er habe sich aber niemals deren Positionen zu eigen gemacht. Ex-Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ verteidigte Teufel und warf den Medien in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ „Rufmord an einer untadeligen Person“ vor. Zudem kandidiert einer Meldung des Standard zufolge der Unternehmer Philipp Samhaber, der in einer Aufstellung der Oberstaatsanwaltschaft Graz als Mitglied der Identitären geführt wird, auf Platz 7 der FPÖ-Liste im Wahlkreis Linz. 

Besonders pikant dabei: Laut einem von der Kronen-Zeitung veröffentlichten Sicherheitsbericht der ÖVP plant die Partei eine Verschärfung des Vereinsrechts, ähnlich wie kürzlich in Deutschland geschehen. Dann soll es möglich sein, Gruppierungen aufzulösen, die ein „extremistisches“ oder „staatsfeindliches“ Gedankengut verbreiten. Damit wäre auch ein Verbot der Identitären möglich. 

Während Kurz diese Verschärfung des Vereinsrechts als „absolute Koalitionsbedingung“ nannte, ist die FPÖ dagegen und wird dabei auch von großen Teilen der SPÖ unterstützt. Die Krone zitierte SPÖ-Vize Jörg Leichtfried mit den Worten, dieses „laut Experten heikle Verbot“ müsse gründlich geprüft werden, ehe es zur Abstimmung darüber kommen könne. Wiens Bürgermeister und SPÖ-Chef Michael Ludwig warnte auf einer Pressekonferenz: „Bei einem Eingriff ins Vereinsrecht sollte man sehr sensibel vorgehen und alle verfassungsrechtlichen Bestimmungen einhalten. Denn wenn man einmal bei einer Organisation beginnt, ist die Frage, wo das endet.“ 

Der neugewählte FPÖ-Chef Norbert Hofer warnte sogar vor einer Gesinnungsdiktatur. Laut Vereinsgesetz könnten Vereine schon jetzt aufgelöst werden, „wenn gegen Strafgesetze verstoßen und der statutenmäßige Wirkungskreis überschritten wird“. Zudem sei die Vereinsfreiheit in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert, die in Österreich im Verfassungsrang stehe. Daher sei jeder Eingriff in die Vereinigungsfreiheit auch gleichzeitig ein Grundrechtseingriff. Hofer verwies  auf Staatspräsident Alexander Van der Bellen, der Einde März erklärt hatte, er würde sich ein Verbot der Identitären „dreimal überlegen“. 

Jüngsten Umfragen zufolge zeichnet sich dabei eine Neuauflage der türkis-blauen Koalition zwischen ÖVP und FPÖ ab, zu der sich beide Parteien auch bereits bekannten. Auch bei der Bevölkerung schnitt die Koalitionsregierung unter dem 33jährigen Kanzler Sebastian Kurz gut ab. So lobten einem Bericht des Standards zufolge 53 Prozent der Befragten die ÖVP/FPÖ-Koalition als „alles in allem gut für Österreich“. 

Mit Ausnahme der Verschärfung des Vereinsgesetzes stimmen ÖVP und FPÖ in den Grundsatzfragen auch überein. In dem von Kurz vorgestellten Sicherheitspapier fordert die Partei weniger Sozialleistungen für Zuwanderer, die Eindämmung der Zuwanderung und Strafen für Eltern von Schulschwänzern.

Illegale Migration: Kurz will harten Kurs beibehalten 

Später konkretisierte der Ex-Kanzler, er habe bezüglich wieder steigender Flüchtlingszahlen „nicht nur das Gefühl, da braut sich was zusammen“. Sondern er glaube auch, „wir in Europa sind teilweise schuld daran“. Dabei kritisierte er vor allem Spanien und Italien für eine „Umkehr in der Migrationspolitik“. Wieder „mehr offene Grenzen“ und „offene Häfen“ seien „keine richtigen Signale in Richtung Afrika und in Richtung der Schlepper“. Positiv stimme ihn hingegen, daß die Ministerpräsidenten  Griechenlands und Bulgariens signalisiert hätten, „sehr entschlossen“ zu sein „gegen ein Durch winken nach Mitteleuropa“, sagte Kurz der Bild. Gleichzeitig kritisierte er den Beschluß der deutschen Regierung, jeden vierten im Mittelmeer geretteten Flüchtling aus Italien aufnehmen zu wollen: „Wenn Menschen im Mittelmeer gerettet werden, sollten wir alles tun, sie in ihre Herkunftsländer zurückzustellen.“

Süffisant kommentierte FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky das ÖVP-Wahlprogramm. Kurz dürfte wohl die Unterlagen von FPÖ-Chef Hofer „erwischt haben“, vermutete der EU-Abgeordnete. Die türkisen Forderungen deckten sich in weiten Teilen mit den freiheitlichen Vorstellungen.

Eine restriktive Zuwanderungspolitik, die Bekämpfung der illegalen Migration und die konsequente Umsetzung der Mindestsicherung werde sich wohl nur mit der FPÖ in der Regierung umsetzen lassen, betonte Vilimsky. Ebenso werde sich ein „klares Bekenntnis zu unserer Kultur und Tradition“, die Beibehaltung des Kreuzes in den Klassenzimmern und ein Fortführen der christlichen Traditionen sehr schwer mit Rendi-Wagners SPÖ, den Grünen oder gar mit den links-liberalen Neos verwirklichen lassen. „Offenbar hat sich nun die Vernunft in der ÖVP durchgesetzt“, begrüßte Vilimsky den Schwenk Richtung ehemaligem türkis-blauen Koalitionsprogramm.

Die neuesten Wahlumfragen deuten jedenfalls auf eine Fortsetzung der ÖVP/FPÖ-Koalition hin. So wollen nach einer am Wochenende von oe24.at veröffentlichten Umfrage 34 Prozent der Österreicher die ÖVP wählen (nach 31,7 Prozent bei den Wahlen 2017). Die SPÖ kommt danach auf 23 Prozent (2017: 26,9 Prozent) und die FPÖ auf 20 Prozent (2017: 26 Prozent). Analysten zufolge konnte die SPÖ von „Ibiza-Gate“ nicht profitieren, sondern es kam lediglich zu Umschichtungen von der FPÖ zur ÖVP. 

Größter Gewinner dürften die Grünen werden, die 2017 mit 3,9 Prozent knapp an der Vier-Prozent-Hürde scheiterten, nunmehr aber mit 12 Prozent  rechnen können. Die Neos kommen auf acht Prozent (2017: 5,3 Prozent). Sebastian Kurz liegt auch bei der Frage, wer Kanzler werden solle, mit 51 Prozent wieder deutlich vorne. Zudem sprechen sich 37 Prozent der Befragten für eine ÖVP/FPÖ-Koalition aus.