© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/19 / 27. September 2019

Sydney
Von Bomben und Höflichkeiten
Jörg Sobolewski

Lavender Baj vom Onlineportal Pedestrian schlug Alarm: „Macht euch bereit für ein wirkliches Mistwetter an der Ostküste Australiens in den nächsten Tagen, denn es wird verrückt werden.“ Gerade der Südosten Australiens stehe kurz davor, die stärksten Regenfälle seit drei Monaten zu verkraften. Zudem werde eine „Regenbombe“ Sydney in den nächsten Tagen verwüsten.

Er hatte recht. Seit drei Tagen ununterbrochen Regen. Was den Touristen grämt, freut den Australier: Anhaltende Trockenheit und Dürre schädigten in den vergangenen Monaten nicht nur die Agrarwirtschaft, sondern führten darüber hinaus auch noch zu Buschfeuern. Nun öffneten sich zur Erleichterung der Einwohner dieser Millionenmetropole endlich die Schleusen des Himmels und wahre Regenfluten waschen Staub und Ruß der vergangenen Wochen hinweg.  

„Oh, das ist nicht so schlimm, ich war sowieso auf dem Nachhauseweg.“

So sieht man auch überwiegend gelassene Gesichter unter den unzähligen Regenschirmen, die auf der geschäftigen Einkaufsmeile George Street umherwuseln. Sydney gibt sich ohnehin „very British“, da paßt der Regen gut ins Konzept. Doch hin und wieder wird die britische Höflichkeit auf eine harte Probe gestellt, Regenschirme sind eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits beschützen sie ihren Träger vor Feuchtigkeit, andererseits sind sie im Kontakt mit Fremden unangenehm naß und überdies spitz!

So geschieht, was kommen muß: Zwei Herren im feinen Zwirn geraten unabsichtlich aneinander. Der eine trägt einen Schmutzfleck von der Spitze des Regenschirms des anderen davon und wird überdies von Kopf bis Fuß mit Regenwasser besprenkelt. Das Ganze, selbstverständlich ein Versehen, gibt Anlaß zu einer Probe echt angelsächsischer Höflichkeit: „I’m so sorry Sir! Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an“, erklärt der Täter. „Oh, das ist nicht so schlimm, ich war sowieso auf dem Nachhauseweg“, antwortet das Opfer. „Dann nehmen Sie wenigstens meine Visitenkarte mit, damit Sie mir die Rechnung für die Reinigung schicken können.“ 

Der Täter überreicht, der andere nimmt dankend entgegen und betrachtet die Karte eingehend. „Oh, Sie arbeiten in derselben Abteilung wie mein Bruder! Direkt hier in Town Hall nicht?“ „Ja, das ist richtig. Die Welt ist ein Dorf.“ Der andere nickt: „Indeed, wir sollten diese neue Bekanntschaft über einem Pint feiern.“ Gesagt getan, so ziehen die beiden Geschäftsleute von dannen.