© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/19 / 27. September 2019

Friedhof der Großmächte
Afghanistan: 18 Jahre nach ihrer Gründung scheint die westliche „Koalition gegen den Terror“ am Ende ihres Lateins zu sein
Marc Zoellner

Symbolträchtiger hätte der Angriff nicht erfolgen können: Kurz nach Mitternacht Kabuler Ortszeit war es Extremisten der Taliban Anfang September gelungen, in das schwer bewachte Regierungsviertel der afghanischen Hauptstadt einzudringen, mindestens eine Panzerabwehrrakete auf das Verteidigungsministerium abzufeuern und unerkannt wieder im Gewirr der Straßen unterzutauchen. Daß einzig eine hohe Mauer schwer beschädigt wurde, war von den Angreifern vielleicht nicht beabsichtigt, doch sichtlich genügend – immerhin begann nur wenige Minuten zuvor  der achtzehnte Jahrestag des Gedenkens an den Terrorangriff vom 11. September 2001. 

Mit Raketen gegen Wahlkampfveranstaltungen 

Achtzehn Jahre währt nun auch der Krieg der USA und ihrer Verbündeten – darunter ebenso Deutschland – gegen radikalislamische Extremisten; gegen al-Qaida sowie die Taliban. Daß letztere nach achtzehn Jahren Krieg und gerade zum Jahrestag des 11. September sich dazu befähigt sehen, ihren Feind in dessen Machtzentrum direkt anzugreifen – nur wenige Gehminuten vom afghanischen Verteidigungsministerium entfernt befinden sich auch die Botschaften Frankreichs, Deutschlands, Großbritanniens und der USA –, ist dabei als besonders brisant zu bewerten. Immerhin galt nicht nur die Eliminierung al-Qaidas als ausgemachtes Kriegsziel der 2001 von den Vereinigten Staaten ins Leben gerufenen „Koalition gegen den Terror“, sondern ebenso die rasche Zerschlagung der afghanischen Taliban.

Zum Schweigen bringen ließen sich beide bislang nicht: „Wenn ihr den Heiligen Krieg sucht: Das amerikanische Militär ist überall auf der Welt vertreten“, verkündete Aiman az-Zawahiri, der nach der Tötung Osama bin Ladens im Mai 2011 die Führungsrolle bei al-Qaida übernommen hatte, in einer jüngst zum Jahrestag veröffentlichten Videobotschaft. Seine Anhänger rief der gebürtige Ägypter darin erneut zu Terroranschlägen auf – nicht nur in Afghanistan und den USA selbst, sondern vermehrt auch in Europa, in Rußland sowie in Israel. „Donald Trump muß noch verstehen lernen, mit welcher Art von Volk er es zu tun hat“, veröffentlichte zeitgleich auch ein Sprecher der Taliban im Internet. „Seine Berater müssen ihm begreiflich machen, warum Afghanistan als Friedhof der Großmächte gilt.“

Tatsächlich weiß US-Präsident Trump sehr genau, daß den afghanischen Taliban militärisch nicht beizukommen – und der Krieg am Hindukusch den US-Wählern auch längst nicht mehr zu verkaufen ist. Nicht zufällig lautete eines der wichtigsten Wahlversprechen des damaligen Präsidentschaftskandidaten Trump, sämtliche US-Truppen aus dem zentralasiatischen Bürgerkriegsland heimzuholen.

So waren denn zur Lösung des Dilemmas auch zwei ursprünglich geheime Treffen zwischen Trump und Vertretern der Taliban sowie dem afghanischen Präsidenten Acshraf Ghani für Anfang September in Camp David geplant – die Donald Trump jedoch lautstark einen Abend zuvor auf Twitter wieder platzen ließ. Grund dafür war ein kurz zuvor erfolgter, von den Taliban reklamierter Terroranschlag in Kabul, bei welchem eine Autobombe zwölf Menschen mit sich in den Tod riß, darunter einen US-Soldaten. „Ich habe die Treffen sofort abgebrochen und die Friedensverhandlungen abgesagt“, rechtfertigte der US-Präsident seine Entscheidung. „Was für eine Art Mensch würde so viele Leute töten, nur um seine scheinbare Verhandlungsposition zu stärken?“

Seitdem intensivieren sich die Kämpfe zwischen den Extremisten und den afghanischen Sicherheitskräften sowie deren US-Verbündeten. Im Norden und Westen des Landes gelang den Taliban die Eroberung von vier Distrikten binnen nur vier Tagen. Verstärkt fliegt auch die US-Luftwaffe erneut Einsätze gegen Stützpunkte der Aufständischen. „Unsere Luftangriffe stärken die Position der afghanischen Regierung“, erklärte hierzu Jeffrey L. Harrigian, der Kommandeur der United States Air Forces in Europe (USAFE), im Interview mit der US-Zeitschrift Military Times.

Für Ende September sind Präsidentschaftswahlen in Afghanistan angesetzt, die sich Trump möglichst unblutig  wünscht – insbesondere als Argument, daß der Großteil der US-Truppen in Afghanistan aufgrund einer verbesserten Ausbildung der einheimischen Sicherheitskräfte nicht mehr vonnöten wäre. Ursprünglich für den 20. April angesetzt, mußte die Wahl zweimal verschoben werden. Doch auch jüngst erfolgte ein Selbstmord- sowie ein Raketenanschlag mit über 26 Toten auf zwei Veranstaltungen zweier Kandidaten; den derzeitigen Präsidenten Aschraf Ghani sowie den Ex-Warlord Gulbeddin Hekmatjar.