© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/19 / 27. September 2019

Gesundheitsminister wirbt Pflegepersonal im EU-Ausland an
Der billige Überschuß
Jörg Fischer

Greta würde weinen, wenn sie das wüßte: Laut dem Klimaportal Atmosfair.de hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn 7,1 Tonnen CO2-Emissionen verursacht, weil er im Kosovo und Mexiko-Stadt auf Anwerbetour für Pflegepersonal im Nicht-EU-Ausland gegangen ist. Seine CDU-Parteifreundin, Staatssekretärin Sabine Weiss, flog auf die Phillippinen, trotz 6,5 Tonnen CO2-Ausstoß. „Wir haben einen riesigen Bedarf an Pflegekräften in Deutschland, alleine 50.000 bis 80.000 offene Stellen schon jetzt“, argumentiert Spahn. Der Arbeitsmarkt sei „leergefegt. Und deswegen brauchen wir auch Pflegefachkräfte aus anderen Ländern, die bei uns mit anpacken wollen.“

Ein Linienflug nach Madrid hätte das CO2-Budget der Regierung nur mit 1.040 Kilogramm belastet – und „einen Überschuß an jungen Leuten“ (Spahn) gibt es auch in Spanien. Mit 32,1 Prozent ist die Jugendarbeitslosigkeit dort die zweithöchste in der EU. Auch in Italien (28,9 Prozent) oder Griechenland (39,6 Prozent) haben Hunderttausende im Alter von 15 bis 24 Jahren keine Arbeit. Doch warum wollen junge Spanier, Italiener oder Griechen in Deutschland nicht „mit anpacken“? An der Sprachbarriere scheint es nicht zu liegen. Daß ausgerechnet der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste Spahns Anwerbeversuche begrüßt, liefert einen Hinweis: Der Mindestlohn in der Pflege liegt derzeit bei 11,05 Euro (Westtarif) und 10,55 Euro (Ost) – ein Traum für Mexikanerinnen oder Philippininnen, aber kein Grund, vom sonnigen Mittelmeerstrand ins verregnete Hamburg zu ziehen.

Spahn hat das immerhin erkannt, er forderte im Juli einen Mindestlohn von 14 Euro, das wären etwa 2.500 Euro brutto monatlich. Wer das Glück hat, Pfleger im öffentlichen Dienst zu sein, der bekommt je nach Berufserfahrung schon heute 2.700 bis 3.400 Euro – bei 38,5 Stunden Wochenarbeitszeit, 13. Monatsgehalt, Zusatzrente und Feiertagszuschlägen.  Das würde die Pflegekosten erhöhen – aber das ist soziale Marktwirtschaft.