© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/19 / 27. September 2019

Vom Recht der Privaten auf zivilen Ungehorsam
Flugs die staatliche Ordnung außer Kraft setzen: Schlepper-Kapitänin Carola Rackete und Horst Seehofer
Dirk Glaser

Zwischen Horst Seehofer und Carola Rackete paßt kein Blatt mehr. Der Bundesinnenminister, als  passionierter Modelleisenbahner nicht ohne technische Grundkenntnisse, bekäme daher jetzt sogar eine Heuer als Maschinist auf Racketes Schlepperkahn „Sea-Watch 3“. Und die darüber hinaus erforderliche weltanschauliche Kernkompetenz bringt der CSU-Politiker ohnehin mit. Fertigt er doch gerade Kritiker aus den eigenen Reihen, die in seiner Zusage, ein Viertel der in Italien angelandeten Afrikaner in Deutschland aufnehmen zu wollen, ein „Migrationstrittbrett“ (Philipp Amthor, CDU) sehen, empört ab: er müsse sich nicht dafür rechtfertigen, „Ertrinkenden“ zu helfen. 

Kapitänin Carola Rackete hätte es nicht schöner sagen können. Denn die Frau, die im Juni mit vierzig „Flüchtlingen“ an Bord ihrer „Sea-Watch 3“ widerrechtlich in den Hafen von Lampedusa eindrang, pocht darauf, Menschen nur aus Seenot zu retten. Weder sie noch Seehofer verlieren ein Wort darüber, daß sie sich nicht dafür entschuldigen müssen, sondern dafür, daß diese Aktionen gleichbedeutend sind mit Beihilfe zur illegalen Einwanderung – die Seehofer, als er noch bayerischer Ministerpräsident war, als Teil einer „Herrschaft des Unrechts“ geißelte.

Bis heute, nunmehr unter der Verantwortlichkeit des Innen- und Verfassungsministers Seehofer, hat sich nichts daran geändert, was das Oberverwaltungsgericht Koblenz in der klassisch gewordenen Formulierung eines Urteils vom Februar 2017 rügt: „Die rechtsstaatliche Ordnung in der Bundesrepublik ist in diesem Bereich [dem Grenzregime] seit rund eineinhalb Jahren außer Kraft gesetzt und die illegale Einreise ins Bundesgebiet wird momentan de facto nicht mehr strafrechtlich verfolgt.“

Größenwahn im Nachhall zu Michel Foucault

Auch mit dieser Verachtung des Rechts passen Seehofer und Rackete als Typen gut zueinander. Für die 1988 geborene Tochter aus reichem Hause, die sich milieugerecht nicht weniger auf die Fahne geschrieben hat, als „das Leid aller Menschen zu verringern“, wie sie in einem Zeit-Interview (Ausgabe vom 5. September 2019) tönt, ist das Recht nur ein lästiges Hindernis auf dem Weg zur Weltretterin. Befragt, für wie verrückt sie die Welt halte, auf einer Skala von eins bis zehn, zögert sie nicht „neun“ zu antworten. Dazu die Selbsteinschätzung: „Ich: eins, höchstens zwei.“ Alle anderen sind verrückt, sie aber leitet aus ihrer selbstattestierten geistigen Gesundheit das Recht zum „zivilen Widerstand“ ab. Gegen die Klima- und gegen die Migrationspolitik demokratischer Staaten, denen sie offenbar ebenso gern wie Herbert Grönemeyer „diktieren möchte, wie ’ne Gesellschaft auszusehen hat“. 

Im humanitaristischen Größenwahn Racketes hallt jene „Revolution der Menschenrechte“ kräftig nach, die der Soziologe Michel Foucault 1984 ausrief: „Ich begründe ein absolutes Recht, sich zu erheben und sich an diejenigen zu wenden, die die Macht innehaben.“ Die hatten für den neoliberalen Diversity-Guru aber nicht global operierende „Herren der Wirtschaft“ , sondern die Nationalstaaten inne. Die „internationale Bürgerschaft“, Amnesty International & Co., solle das „neue Recht der privaten Individuen, wirksam in den Bereich der Politiken einzugreifen“, durchsetzen. Damit war der gemeinsame Feind von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und globalisierter Billigökonomie markiert: der Regeln setzende Staat.

Steinmeier und Maas mahnten Italien

Fast vierzig Jahre nach Foucaults Proklamation nehmen die üblichen Verdächtigen den Medienrummel um die Schleuserin Rackete gern zum Anlaß, einmal mehr für das „absolute Recht“ zur Erhebung gegen demokratisch verfaßte Nationalstaaten Partei zu ergreifen. Der WDR-Journalist Arnd Henze räumt im Kirchenblatt zeitzeichen (9/2019) zwar ein, Rackete habe das Verbot der Küstenwache mißachtet, sich aber gleichwohl „in vorbildlicher Weise auf der Seite des Rechtsstaates positioniert“.

Ebenso wirr „argumentierend“, rühmt die Kölner Politologin Gudrun Hentges das „Vorbild Rackete“ (Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/2019). Das bestehe darin, so glaubt die in den 1980ern im Marburger DKP-Leuchtturm sozialisierte, dann vom PDS- und Linke-Ideologen Christoph Butterwegge gecoachte Expertin für „Rechtsextremismus und Migration“, daß die Fährfrau als private Sachwalterin der Menschenrechte nach dem „Ende des Nationalstaates“ agiere.

Davon scheint inzwischen nicht allein Horst Seehofer überzeugt. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Außenminister Heiko Maas, „Berlins moralischen Wilhelminismus“ (Alexander Wendt, publico.de vom 5. Juli 2019) verkörpernd, wollten unter der Dummenfang-Parole „Seenotrettung ist keine Straftat“ Racketes „zivilen Widerstand“ unterstützen, indem sie Italien mahnten, sich in der Immigrationsfrage nach deutschem Muster vom Recht auf territoriale Souveränität gefälligst zu verabschieden.