© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

„Nicht alle Linken sind geistesgestört“
Lange war sie gern gesehen und geachtet. Bis die Philosophin Caroline Sommerfeld politisch die Seiten wechselte und zur rechtsintellektuellen Exponentin wurde. Mit fatalen Folgen für ihre Kinder und ihren renommierten linken Ehemann.
Moritz Schwarz

Frau Dr. Sommerfeld, vom „gerngesehenen Gast auf geisteswissenschaftlichen Tagungen“ zur Marschiererin „bei Fackelzügen der Identitären“, so beschreibt die „Süddeutsche Zeitung“ in einem Porträt Ihren politischen Weg. Wie ist das gekommen? 

Caroline Sommerfeld: Mit dem Asylsommer 2015: mein damals linksgrünes Wiener Umfeld, in dem ich mich seit 2007 heimisch fühlte, reagierte moraltrunken willkommensduselig. Meine Skepsis gegenüber der Idee, eine Flüchtlingsfamilie in unsere elternverwaltete Kindergruppe aufzunehmen und einen Flüchtling als Erzieher einzustellen, führte zum Zerwürfnis mit den Eltern. Ein Vater sagte empört: „Caroline, ich hätte nie gedacht, in dieser Gemeinschaft auf ein Subjekt wie dich zu stoßen!“ – War ich etwa das amoralische Subjekt, um das meine Überlegungen beim Abfassen meiner Dissertation 2003 über Kants Moralphilosophie gekreist waren? So machte ich mich auf den Weg, meine emotionale Reaktion auf den Sommer 2015 mit Lektüre zu unterfüttern. Ich wollte lesen und selbst beschreiben, was der Zeitgeist da gerade anrichtete. 

Wie erklären Sie sich, daß Sie offenbar plötzlich nicht mehr „links“ waren?

Sommerfeld: Ich komme aus einem urgrünen Haushalt, meine Eltern haben die Grünen mit gegründet. Doch richtig links war ich wohl nie, vielleicht mangelte es mir einfach an Alternativen. Meine Verzweiflung über postmoderne Dekadenz, Nihilismus, die Soziale Frage etc. faßte ich mit dem marxistischen Begriff „Entfremdung“. Doch der Philosoph N. G. Dávila hat recht: die politische Farbe ist angeboren wie die der Augen. Ich hatte bloß grüne Linsen davor. 

Was ist eigentlich links und rechts?

Sommerfeld: Ich denke, die Linke glaubt an die wesentliche Gleichheit der Menschen – „glauben“ im wörtlichen Sinne, als „verkappte Religion“ (C. C. Bry). Rechte dagegen verzweifeln an der wesentlich ungleichen Verfaßtheit des Menschen. Deshalb haben sie es auch so schwer, linken Systemen ein rechtes entgegenzusetzen – sie glauben nicht an die Verwirklichung von Utopien. Wo immer es gleichmacherisch wird und der alte Adam durch die Utopie vom „neuen Menschen“ vergewaltigt wird, haben wir es mit linkem Denken zu tun. 

Für mediales Aufsehen hat auch gesorgt, daß Sie, inzwischen „eine Ikone der Neuen Rechten, mit einem prominenten Linken“ (Spiegel), nämlich dem Kulturwissenschaftler Helmut Lethen, verheiratet sind.

Sommerfeld: Ja, sogar die New York Times kam deshalb zu Besuch. Das Foto zu jenem Artikel, auf dem wir beide – Bücher in der Hand, Rücken an Rücken – sitzen, würde ich vielleicht „ikonisch“ nennen. Und zwar, weil es den historischen Riß durch unsere Gesellschaft symbolisiert – aber auch andeutet: da ist etwas Gemeinsames, beide können nicht ohne einander. Damit meine ich aber nicht, daß Linke und Rechte ohne den anderen nichts wären, das ist banal. Daß ich quasi „mit der Feindideologie im Bett liege“, wie ein Freund, der Publizist Martin Lichtmesz einmal meinte, wäre eigentlich Stoff für eine dramatische Trennung. Doch zum einen bin ich mit einem Stoiker verheiratet, zum anderen sind wir beide katholisch und die Ehe ein Sakrament. Und  zum dritten hat uns der eruptive politische Schlagabtausch einander auch näher gebracht. Ich wurde gefragt, ob unsere Ehe Vorbild für Paare sein könnte, die politisch rechts-links verschränkt gestrickt sind. Nein, ikonisch ist diese Ehe vielleicht – aber keine Strickanleitung zum Nachmachen. Normalerweise erwächst Vertrauen aus ähnlichen Überzeugungen. Nur sehr selten kann man so wie ich auf Vertrauen ruhend extrem in eine andere Richtung ausbrechen, ohne dieses zu zerstören.

Die „FAZ“ etwa lobte Ihre Dissertation als eindrucksvoll. Warum wurden Sie, die Philosophin, von Beruf Schulköchin? 

Sommerfeld: Das nennt man wohl Karma. Nicht im modischen Sinn, sondern wie Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie und der Waldorfschulen, es verstanden hat: Es gibt Aufgaben, die auf einen warten. Durch eines unserer drei Kinder – auch das ist Karma – bin ich erst Christ geworden, dann wegen desselben Kindes an eine Waldorfschule gekommen. Dort arbeiten die Eltern ehrenamtlich mit, was bei mir – meine Mutter hat mir die Vollwertküche beigebracht – darin mündete, die Küchenleitung zu übernehmen. In dieser Zeit war ich wahnsinnig produktiv: verschlang rechte Theorie, schrieb für die Zeitschrift Sezession, meinen damaligen Blog und kochte täglich für 220 Kinder. 

2018 wurden Sie gekündigt, warum? 

Sommerfeld: Weil in dieser Waldorfgemeinschaft kein Platz für Andersdenkende war. Zwar wußte man, daß ich publizistisch tätig und rechts zu verorten bin, aber in der Schule hatte keiner mit meinen Veröffentlichungen zu tun. Doch schließlich wurde ich denunziert. Übrigens sprach Rudolf Steiner schon 1916 davon, daß eine Zeit der „Denkverbote“ kommen wird: „Damit nicht gestört wird das Gefüge des sozialen Zusammenhangs, werden Gesetze erlassen, auf denen nicht steht: ‘Denken ist verboten’, die aber bewirken, daß individuelles Denken ausgeschaltet wird.“ Entweder wollte der Vorstand mich loswerden oder es haben sich ein paar Eltern „zivilgesellschaftlich engagiert“. Dabei ist die Waldorfpädagogik eigentlich so richtig konservativ-revolutionär, doch die heutige Klientel ist linksgrün dominiert. Ein knappes Jahr ging es noch halbwegs gut – die Kinder besuchten die Schule weiterhin. Doch am letzten Schultag 2018 eröffnete man meinem Mann, sie seien nicht länger erwünscht. Vorangegangen war, daß man maßgeschneidert für mich eine Passage aus der Waldorfschulen-Erklärung „gegen Rassismus“ in den Schulvertrag aufnehmen und von allen Eltern unterschreiben lassen wollte. Eine Generalversammlung meinetwegen, die einem Hexenprozeß alle Ehre gemacht hätte, brachte keine Lösung, sondern nur mehr Polarisierung in der Elternschaft. Heute sind Eltern, die sich damals auf meine Seite schlugen, und sei es nur weil sie meinten, „auch Rechte haben Rechte“, ebenfalls von der Schule entfernt worden samt Kindern. Das Krasse ist die Sippenhaftung: weltanschauliche Differenzen in der Elternschaft auf dem Rücken der Kinder auszutragen! Ich versuchte mich mit Hilfe einer Schlichtungskommission wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz und einer kleinen Kundgebung zusammen mit anderen Eltern vor der Schule zu wehren. Nützt alles nichts, wenn dann der „Rechtsextremismusexperte“ Volker Weiß in der FAZ phantasiert, ich hätte alles nur inszeniert, um zu Lasten meiner Kinder politisch Profit daraus zu schlagen. Als nächstes knöpfte sich Alan Posener in der Welt meinen Mann vor: Er, als alter Maoist, sei doch schon immer rechts – und Rudi Dutschke deutschnational – gewesen. Kein Wunder, daß er es mit mir aushielte! 

Wie haben die Kinder das erlebt? 

Sommerfeld: In einer Waldorfschule haben wir natürlich keine Chance mehr, so sehr ich mir das auch wünsche. Nun besuchen sie eine katholische Privatschule, wo sich niemand für unsere politische Sicht interessiert und sie gut aufgehoben sind. Mir stößt nur auf, daß der Regelschullehrplan manche Lektion linker Ideologie enthält und am Ende konforme Leistungsträger produziert werden sollen. Darüber müssen wir dann eben bisweilen sprechen. Auch in Freundeskreis und Verwandtschaft kam und kommt es zu Kontaktabbrüchen wegen „ansteckendem Rechtsekzem“. Gottseidank hält mein Mann zu mir, weil er die Intoleranz der Linken nicht erträgt. 

Erneut für Aufmerksamkeit hat Ihr Buch „Mit Linken leben“ gesorgt. Ist es quasi die Bilanz Ihrer Erfahrungen?

Sommerfeld: Es sollte eine genuin rechte Selbstbeschreibung und damit auch eine Verteidigung des Eigenen sein, denn die Definitionshoheit darüber, was angeblich rechts ist, ist ja weit links angesiedelt. „Refugees welcome“ war mal eine Antifa-Parole, bis sie von Bild und CDU übernommen wurde. So gesehen reicht „links“ bis dorthin. Und wir, die Verfasser Martin Lichtmesz und ich, wollten sondieren, ob Diskussion oder nur gemeinsames Leben mit Linken noch möglich sind. 

Das Buch ist schließlich selbst Teil dieser Sondierung geworden. 

Sommerfeld: Ja, Reaktionen darauf gab es ja in fast allen Feuilletons. Im Vorwort zur neuen Auflage 2019 haben wir resümiert, was seit dem Erscheinen in puncto Leben mit Linken passiert ist: Die Gräben sind eher noch tiefer geworden. Die linken Autoren des Buches „Mit Rechten reden“ etwa verweigern unsere Einladung bis heute. Allerdings vor allem aus Angst vor dem eigenen Lager, wo Gesprächsbereite als „Rechtenversteher“ schnell Ärger kriegen. Öffentliche Diskussion also unmöglich, persönliche Annäherungen dagegen vereinzelt möglich – nicht alle Linken sind geistesgestört. 

„Geistesgestört“ ist allerdings polemisch.

Sommerfeld: Keine Sorge, das war jetzt Provokation.

Unklar bleibt, wie das Buch gemeint ist – konstruktiv: Wie miteinander auskommen? Oder aggressiv: Wie taktieren, bis andere Machtverhältnisse „anderes“ zulassen? 

Sommerfeld: Sie haben recht, unser Buch changiert zwischen Angriffslust und Versöhnung. Es ist eben ein Riesenunterschied, ob man es mit ideologischen Meinungsjunkies wie Georg Restle, Carolin Emcke oder Heiko Maas zu tun hat, oder mit der kleinen Nichte, die einem stolz ihr „Kein Bock auf Nazis!“-Shirt entgegenhält und denkt, das sei Haltung gegen rechts. Das Ideal einer Demokratie, in der Rüdiger Safranskis Diktum gilt „Wo es links gibt, muß es auch rechts geben“, läßt Lichtmesz und mich eben nicht los. Es geht also um eine Normalisierung des Diskurses, ein Auskommen beider Seiten miteinander. 

Götz Kubitschek, Chefredakteur der „Sezession“, sagt allerdings: „Ziel ist nicht Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party.“

Sommerfeld: Natürlich, denn ein „normaler“ Diskurs kennt keine hegemoniale Seite, die, wenn man brav ist, Beteiligung erlaubt. Er setzt Gleichberechtigung voraus. Solange die nicht besteht, muß der konsensdemokratische Diskurs – also ein Blockparteienkonsens gegen angebliche Antidemokraten – gestört, vorgeführt und analysiert werden.

Mal ehrlich, Sie wollen den Diskurs doch selbst „hegemonial“ dominieren.

Sommerfeld: Jeder politische Mensch will die Mehrheit auf seiner Seite. Andererseits weiß er, daß Demokratie heißt, diese im Normalfall nicht zu bekommen. Metapolitische Hegemonie dagegen, also eine politische „Leitkultur“, läßt sich nicht wählen oder abwählen. Sie hat mit dem Absterben oder Erblühen der politischen Selbstbestimmung eines Volkes zu tun. Die Obsession der Linken von einer drohenden „rechten Machtergreifung“ ist aber Projektion. 

Wirklich? Träumen nicht alle – links, rechts, Mitte – von Alleinherrschaft?

Sommerfeld: Was ich meine, ist, Linke halten es für normal, an der Macht zu sein. Sie schwärmen gar von Revolutionen, die ihnen dazu verholfen haben. Auf Rechte projizieren sie dagegen immer den „Hitlers Machtergreifung“-Frame. Das ist heuchlerisch. Doch wer an ein „System dummer Vorstellungen“ glaubt, so der US-Publizist Jim Goad, kann sich eben nicht vorstellen, daß sein politischer Gegner nicht an ein ebensolches – nur spiegelverkehrt – glaubt. Wer etwa „die Welt retten“ will, denkt, der andere wolle sie zerstören. Wer für „Toleranz“ ist, glaubt, der andere sei für Intoleranz – bei lauten Trompetern „gegen Faschismus“ oder „für das Klima“ erkennt man auch diese Logik.

Wenn die Linke wirklich so „dumm“ wäre, warum hat sie dann hegemoniale Macht?

Sommerfeld: Der politische Theoretiker Walter Lippmann trennte schon 1922 zwischen politischen Akteuren und gelenkter Masse. Erstere müßten gewieft sein, ihre Agenda nicht durchblicken zu lassen. Weshalb ihre hohlen Parolen wie „Gemeinsam gegen Haß!“ oder „Keine Toleranz der Intoleranz!“ zugleich klug und dumm sind: Der Kluge formt sie, der Dumme äfft sie nach und meint, damit klug zu sein.

Wie stellen Sie sich die Austragung des Konflikts vor, demokratisch oder eliminatorisch? 

Sommerfeld: Interessante Frage ... nun, „eliminatorisch“ habe ich in diesem Zusammenhang noch nie gebraucht. Ich denke, es wird eliminatorisch ablaufen – aber nicht von unserer Seite aus.

Wieso? Gibt es eliminatorisches politisches Wunschdenken nicht auf allen Seiten?

Sommerfeld: Wenn Rechte die eigene politische Ohnmacht mit Auslöschungsphantasien kompensieren, haben sie noch nicht verstanden, auf welcher Ebene das Spiel gespielt wird. Was da gerade Schwung holt auf der Gegenseite will die Demokratie als gültigen Rahmen revolutionieren. Unlängst sah ich ein langes Interview mit Robert Habeck, da erkannte man das Eliminatorische ganz deutlich: weil die alte Demokratie, das ewige Kompromissefinden, zu langsam sei, gemessen am Tempo von Klimawandel, Digitalisierung und Turbokapitalismus, müsse man kurzen Prozeß machen und das Modell China übernehmen. Da schlackern wir, die von „Remigration“ oder „Festung Europa“ sprechen und dafür als Unmenschen gescholten werden, ganz übertölpelt mit den Ohren. 

Sie sprechen von einem „neuen Paradigma“: Links gegen Rechts werde durch Globalisten gegen Identitäre abgelöst.

Sommerfeld: Nicht ganz. In „Mit Linken leben“ sehen wir als eine der Bruchlinien – entlang derer sich Linke und Rechte trennen – jene zwischen Globalisten und Identitären. Das ist ein Kampf David gegen Goliath. Der rechte David hat nicht die äußere Macht, die „potestas“, aber er hat „auctoritas“: Starkmut, persönliche Würde. Auf einer vordergründigen Ebene werden die Globalisten wohl siegen. Was kommt danach? Vielleicht eine identitäre Diaspora? Wodurch ja bekanntlich die Geschichte oft schon ungeahnte Wendungen genommen hat.






Dr. Caroline Sommerfeld-Lethen, wurde 1975 im holsteinischen Mölln geboren, studierte Germanistik und Philosophie und war Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes. Sie hatte Lehraufträge in Rostock und Wien inne und erhielt 2004 den Karl-Alber-Preis, der vom Philosophischen Jahrbuch für herausragende Leistung vergeben wird. 2017 erschien ihr Buch „Mit Linken leben“ (mit Martin Lichtmesz), 2019 „Wir erziehen. Zehn Grundsätze“. Sie schreibt außerdem für die Zeitschrift Sezession sowie den Blog www.sezession.de.

Foto: Rechtsintellektuelle Sommerfeld: „Linke halten es für normal, an der Macht zu sein. Auf Rechte projizieren sie dagegen stets den ‘Hitlers Machtergreifung‘-Frame. Das ist heuchlerisch“ 

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