© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Im Westen noch nichts Neues
AfD Nordrhein-Westfalen: Der tief zerstrittene Landesverband wählt am Samstag einen neuen Vorstand – vielleicht / Votum für Einer- oder Doppelspitze?
Christian Vollradt

An Sorgenkindern herrscht kein Mangel unter den AfD-Landesverbänden. Vor allem im Westen dominieren Flügelkämpfe, Personalquerelen, ja sogar erbitterte Feindschaften die Schlagzeilen, ob in Bayern, Baden-Württemberg oder Schleswig-Holstein. Kein Wunder, daß auch der mitgliederstärkste Verband – Nordrhein-Westfalen – seit jeher ein besonders zerstrittener Unruheherd ist. Veranschaulicht wird das in dem Umstand, daß seit Juli nur noch ein Rumpfvorstand amtiert. 

Beim Parteitag in Warburg waren neun der zwölf Vorstandsmitglieder von ihren Ämtern zurückgetreten, unter anderem der Vorsitzende Helmut Seifen. Einzig sein Co-Landeschef Thomas Röckemann und die beiden stellvertretenden Vorsitzenden Christian Blex und Jürgen Spenrath, Vertreter des „Flügels“, hielten an ihren Posten fest (interner Spottname „Pattex-Boys“). Ein Antrag auf Abwahl der drei verfehlte knapp die erforderliche Zweidrittelmehrheit. 

Nun soll am Samstag der zweite Anlauf zur Vorstandsneuwahl genommen werden, das war eine klare Forderung des AfD-Bundesvorstands, der andernfalls mit Amtsenthebung gedroht hatte. Nur einen Tag sieht die Tagesordnung der Noch-Vorstände für die Neuwahl vor; ein Trick, denn erfahrungsgemäß reicht die Zeit dafür hinten und vorne nicht, vermuten Röckemanns innerparteiliche Kontrahenten. Sie unterstützen die Kandidatur des Bundestagsabgeordneten Rüdiger Lucassen. Der hatte sich bereits im Juli bereit erklärt, „aber ausdrücklich nur als Einzelspitze und nur für den Fall einer Neuwahl eines Vorstandes“, betonte der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion. Die Befürchtung seiner Unterstützer: Die Gegenseite könnte vorhaben, eine echte Neuwahl zu hintertreiben und lediglich einen Schatzmeister nachwählen lassen; so wäre der bisherige Rumpfvorstand wieder beschlußfähig. Aus dem Umfeld des Noch-Vorsitzenden wird das bestritten. Es werde definitiv eine Neuwahl des gesamten Vorstands geben, sagte Verena Wester der JUNGEN FREIHEIT. Die Juristin, derzeit Beraterin des dreiköpfigen Rumpfgremiums, kündigte an, sie werde am Samstag gemeinsam mit Röckemann als Doppelspitze für den Vorsitz kandidieren. 

Nach Lage der Dinge müßten die Delegierten dann jedoch zunächst über die Frage Einer- oder Doppelspitze abstimmen. Daß unter diesen Umständen dann noch ein kompletter Vorstand an lediglich einem Tag gewählt werden kann, gilt unter AfD-Umständen – zumal in einer aufgeheizten Stimmung des zerstrittenen Landesverbands – als höchst unwahrscheinlich. Unter den Röckemann-Gegnern kursiert die Vermutung, daß im Falle einer Wahl Lucassens eine weitere Besetzung des Vorstands verzögert werden soll. „Die setzen auf Verfahrenstricks und eine destruktive Strategie, da bin ich mir sicher“, äußert ein Mitglied seinen Verdacht.

Ursprünglich hatte Lucassen sogar vorgehabt, versöhnliche Signale Richtung „Flügel“ zu senden. Ein Weg: mehrere Bürgerdialoge gemeinsam mit dem Brandenburger Partei- und Fraktionsvorsitzenden Andreas Kalbitz, dem Sieger der jüngsten Landtagswahl und nach Björn Höcke prominentesten Gesicht der Parteirechten. Die Verabredung zwischen dem Oberst a.D. Lucassen und dem ehemaligen Oberfeldwebel Kalbitz hatte eine Bedingung: keine Veranstaltungen mit Lucassens Konkurrenten. Doch unmittelbar vor dem ersten geplanten Dialog wurden Orte und Zeiten der Veranstaltungen durchgestochen; die Rede war zudem von Bedrohungen der Gastwirte durch die Antifa. Kurz darauf habe Kalbitz ein AfD-Oktoberfest mit Röckemann und Blex besucht, die beiden waren außerdem Gäste der Brandenburger AfD-Wahlparty in Werder an der Havel. Lucassen sah sich hintergangen und kündigte die Vereinbarung. 

Diejenigen seiner unter dem Motto „Eine Stimme“ firmierenden Unterstützer, die das Vorhaben von vornherein skeptisch beäugt hatten, fühlten sich bestätigt. Mit welch harten Bandagen innerparteilich gekämpft wird, machen via Facebook geteilte „offene Briefe“ deutlich, in denen Lucassen unterstellt wird, er sei „Ex(?)-Waffenhändler“ und, „von wem auch immer, gut instruiert“ in die AfD „geschickt worden“. 

Am Samstag dürfte es somit hoch hergehen beim Sorgenkind im Westen.