© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Ländersache: Baden-Württemberg
Wir können alles – sogar Mafia
Michael Paulwitz

Schwaben-Mafia“ – bei dem Stichwort nickt jeder Hauptstädter beifällig und denkt an präpotente Neubürger, die Kreuzberger Schrippen durch „Weckle“ verdrängen wollen. Der soeben zu Ende gegangene Konstanzer Mafia-Prozeß und die zehnjährige Haftstrafe, die der Stuttgarter Pizza-Gastronom Mario Lavorato in seiner Heimat Kalabrien kassiert hat, lenken den Blick auf anderes: Baden-Württemberg kann alles, auch ’Ndrangheta – die kalabrische Spielart des organisierten Verbrechens hat im deutschen Südwesten ihre europäische Hochburg.

Davon wollten deutsche Sicherheitspolitiker lange Zeit nichts hören. Mafia? Bei uns doch nicht, wir haben hier keine italienischen Verhältnisse mit gekauften Politikern, hieß es von BKA-Größen noch zu Anfang der Nullerjahre. An der frommen Legende konnte man schon vorher zweifeln. Im Herbst 1992 warnten gleich zwei Landesminister, Innen-Ressortchef Frieder Birzele (SPD) und Justizminister Thomas Schäuble aus dem gleichnamigen CDU-Clan, den damaligen baden-württembergischen CDU-Fraktionschef Günther Oettinger vor allzu offenherzigen Telefonaten in seinem Stammlokal, der Pizzeria des besagten Mario Lavorato: Der stehe unter Mafia-Verdacht und werde abgehört.

Verurteilt wurde der „Pate von Stuttgart“ allerdings erst jetzt, und zwar in Italien zusammen mit Dutzenden weiteren Mafiosi, nachdem er 1995 noch mit einer Bewährungsstrafe wegen Steuerhinterziehung davongekommen und 1999 in Kalabrien sogar freigesprochen worden war. Lavorato hat als „Nummer eins der ’Ndrangheta in Deutschland“ nicht nur für einen Kalabresen-Clan Geld aus Drogen- und Waffenhandel gewaschen und zeitweise über 140 Restaurants kontrolliert und zur Abnahme überteuerter Waren erpreßt, er richtete zudem munter Unions-Feiern aus und soll Oettinger auch mal direkt finanziell unterstützt haben. Der gibt bis heute die ahnungslose Unschuld und suchte sich zwischenzeitlich einen anderen Stamm-Italiener, der ebenfalls im mafiösen Umfeld auftaucht. Ein Untersuchungsausschuß brachte erwartungsgemäß trotzdem kein Ergebnis. Ein italienisches ’Ndrangheta-Dossier von 2005 ist aber überzeugt, die Beziehung von Oettinger und Lavorato sei keine Einbahnstraße gewesen.

Die vergleichsweise großzügige Rechtslage im deutschen „Mekka der Mafiosi“ ist italienischen Mafiajägern seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge. Telefonüberwachungen sind schwierig und wegen der Dolmetscherkosten teuer, Schwarzgeld läßt sich trefflich über Tarnfirmen, Kulissen-Restaurants und Immobilien waschen und ist selbst bei Verurteilung kaum von Beschlagnahme bedroht, während in Italien schon längst die Beweislastumkehr gilt. Baden-Württemberg ist mittlerweile Ruhe- und Rückzugsraum für Mafia-Killer.

Meist sind es die italienischen Ermittler, die den Takt angeben. Großrazzien und aufwendige Mafiaprozesse wie zuletzt das Verfahren vor dem Landgericht Konstanz, bei dem der Hauptangeklagte, wieder ein Pizzabäcker, fast neun Jahre Haft erhielt, sind erst eine neuere Entwicklung. Es kostet Überwindung, die angezogene Ermittlungs-Handbremse zu lösen – zumal der deutsche Fiskus stets zufrieden mitkassiert hat, solange die Schwarzgelder bei der Wäsche nur ordentlich versteuert wurden. Das organisierte Verbrechen hat eben viele Gesichter.