© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

„Ein Austritt ist nicht vorgesehen“
Wenn man nicht mehr an Mohammed glauben will: Die tödliche Bedrohung von Ex-Muslimen ist auch ein Problem Europas
Martina Meckelein

Es gibt kein amtliches Verzeichnis, das über die genaue Zahl der Muslime auf der ganzen Welt seriöse Auskunft geben könnte. Aus dem einfachen Grund, weil man in eine muslimische Familie hineingeboren wird. Es ist sozusagen eine Erbschaft und darüber hinaus völlig unbürokratisch. „Man wird als Muslim geboren oder spricht dreimal die Schahada, das Glaubensbekenntnis“, erklärt die Kölner Anwältin Jaklin Chatschadorian gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Nun könnte man eine Erbschaft ja einfach ausschlagen, nur beim Islam ist das so eine Sache. „Der Austritt ist nicht vorgesehen“, sagt die Juristin und ehemalige Vorsitzende des Zentralrates der Armenier in Deutschland, die sich auch als Vize-Vorsitzende des Integrationsrates in Köln engagierte. „Infolgedessen gibt es auch kein geregeltes Verfahren.“

Aber eines scheint klar: So einfach es ist, Muslim zu werden, so gefährlich ist es, seinem Glauben den Rücken zu kehren. Genau diesem Thema widmete sich in diesem Monat ein Kongreß in Berlin. Ex-Muslime berichteten über ihren Ausstieg – und die persönlichen Konsequenzen.

Irgend etwas wirkt unecht an der Oranienstraße in dem alten Berliner Arbeiterviertel. Das Trottoir schimmert schmierig, aus den Ecken wabert Uringeruch, in den Rinnsteinen liegen Zigarettenkippen, zerknüllte Taschentücher und Glassplitter unter orangefarbenen Mülleimern. Von einigen Fassaden der Gründerzeithäuser blättert der Putz. Die Ladengeschäfte hingegen bieten „organic“-Westen, Bauhaus- und Art-déco-Möbel, die Kneipenpreise sind gepfeffert. Mittendrin marschieren minderjährige Autonome mit ernstem Blick in Knobelbechern, in die Jahre gekommene Linke sitzen auf Bierbänken und nippen Rotwein, vorbeischlendernde Hipster jonglieren mit Kaffe zum Mitnehmen, und junge biertrinkende Männer mit Migrationshintergrund lümmeln raumgreifend auf Treppenstufen.

In dieses Talmi-Milieu hat die „Initiative an der Basis mit Migranten und Flüchtlingen“, ein Zusammenschluß von Lehrern, Ärzten, Beamten und Flüchtlingshelfern, in den ersten Stock einer Kneipe geladen. Früher gab es Saalschlachten durch die Antifa – heute Berliner Küche. An diesem Abend tagt hier der „1. Ex-Muslimische Kongreß“: Die Realität ist zu Gast im linken Mainstream.

Rebecca Sommer, Künstlerin und ehrenamtliche UN-Mitarbeiterin, hat die Initiative in Berlin gegründet. Sechs Ex-Muslime, Glaubensaussteiger also, hat sie eingeladen: das Ehepaar Veedu und Mimzy Vidz, Armin Navabi, Kian Kermanshahi, Harris Sultan und Mohamed Hisham. Sie kommen aus Großbritannien, Kanada, Australien und Ägypten. Sie seien alle auf eigene Kosten, so Sommer, nach Deutschland gereist, um in Berlin von ihrem Schicksal zu berichten. Ein Schicksal, das, so kann man nach drei Stunden mutmaßen, sie auch allen Deutschen und Europäern prophezeien, sollten die nicht gewisse Vorkehrungen treffen und zur Einsicht kommen.

Vorwurf: Politik begreift  Gefahrenpotential nicht

„In London hat sich eine islamische Hardcoreszene etabliert“, beginnt Kian Kermanshahi, ein in Deutschland geborener Kurde, seinen Vortrag. Der Blogger sagt, er wisse, wovon er spreche, er habe dazugehört. „Mit 15 Jahren habe ich al-Quds-Demos organisiert. Ich vergötterte die Islamische Revolution und Khomeini, ich war ein großer Anhänger.“ Zweifel, so führt er aus, seien ihm erst 2015 gekommen. „Ich hatte die Absicht zu beweisen, daß es draußen einen großartigen Islam gibt. Aber ich habe nur herausgefunden, daß ich den Islam falsch verstanden habe. Jetzt bin ich aktiver Ex-Moslem-Blogger. Ich bin kein Reformist, ich habe kein Interesse an einem Schmusekurs. Ich möchte daran mitwirken, daß der Islam in Deutschland zurückgedrängt wird.“

Harte Worte. Der Ex-Moslem hält nichts von Reformern, wie etwa Seyran Ates, der großen Frauenrechtlerin. Das seien „Nabelschnur-Moslems, die uns einreden wollen, es gäbe einen aufgeklärten Islam.“ Politiker hätten nicht verstanden, welch gefährliches Potential durch den Islam in Europa entstehe.

Eine Sichtweise, die auch Sabatina James teilt. „Es gibt wenige muslimische Theologen und Wissenschaftler wie Abdullah Saeed, die die traditionelle schariarechtliche Position zur Apostasie ablehnen und für eine zeitgemäße Neubetrachtung plädieren“, sagt die islamkritische Menschenrechtsaktivistin gegenüber der jungen freiheit. Solche kritischen Stimmen würden aber in den islamischen Ländern kaum wahrgenommen: „Ihre Wirkung beschränkt sich weitgehend auf die runden Tische von westlichen Islamtagungen und Auftritte in den hiesigen Medien.“

Wie gefährlich die Situation für Aussteiger in Deutschland ist, hat am eigenen Leib der junge Ägypter Mohamed Hisham erlebt. Mit hochgezogenen Schultern sitzt er am Tisch des Podiums, hört aufmerksam seinen Vorrednern zu. Hisham hatte sich in seiner Heimat in einer Fernsehsendung als Atheist vorgestellt. Nach Morddrohungen mußte er fliehen und kam nach Deutschland. Der IT-Spezialist ist homosexuell, erhalte nach eigener Aussage weder Visum noch Asyl. Er sitzt in der Klemme: Nach Ägypten kann er nicht zurück, aber auch in Deutschland wird er bedroht. Ein Schicksal, das er mit Tausenden teilt. „Jetzt gebe ich mich wieder als Muslim aus und verschweige meine sexuelle Orientierung.“

„Solche Aussagen muß man ernst nehmen“, rät Chatschadorian. „Die Apostasie, der Abfall vom Glauben, wird mit dem Tode durch den Rechtgläubigen in Verteidigung des Islam bestraft“, erklärt die Anwältin. „Die Sure ‘Es gibt keinen Zwang im Glauben’ ist mit Vorsicht zu betrachten. Der Abtrünnige kann nicht zum Glauben gezwungen werden. Es geht um seine innere Gedankenwelt. Er kann jedoch für den Angriff, den er durch den Abfall leistet, bestraft werden. Der Angriff besteht in der Rufschädigung und Schwächung des Islam.“ In zwölf muslimischen Staaten steht auf Apostasie die Todesstrafe.

Die Juristin sieht in diesem Denkmodell eine Parallele zur Disziplinierung einer Armee: „Ersteres durch die Erregung des Verdachts, etwas Schlechtes im Islam gefunden zu haben. Das wiederum könnte anstiftend auf Dritte wirken. Die Schwächung liegt in der Reduzierung der Anzahl der Gläubigen, mindestens einen, bei Anstiftung plus x. Dieses System ist eins zu eins auf militärische Ordnungen zu übertragen, gerade auch der Umgang mit Deserteuren.“

In drei Fällen, so berichtet die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (Frankfurt/Main) und beruft sich auf den Kairoer Theologen Muhammad Abû Zahra (1898–1974), darf über einen Muslim die Todesstrafe verhängt werden: „bei Apostasie, bei Unzucht nach rechtlich gültiger Eheschließung und bei Mord, der keine Blutrache ist.“ Schon der Unglaube (arab. kufr) eines Menschen an sich, der sich Gott nicht unterwirft, gelte im Koran als schwere Sünde. Dabei greife der Koran den Abfall vom Glauben an mehreren Stellen auf. Unter anderem in Sure 4, Vers 89: „Und wenn sie sich abwenden, dann greift sie und tötet sie, wo immer ihr sie findet, und nehmt euch niemand von ihnen zum Freund oder Helfer!“

Eine Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages aus dem Jahr 2006 beschäftigt sich mit dem Thema Apostasie. Auf Seite 20 wird auf die einzigen bis dahin bekannten ausgesprochenen Todesurteile in der muslimischen Welt der letzten beiden Jahrzehnte hingewiesen. „1985 erregte der Fall von Mahmud Muhammad Taha (1909–1985) weltweites Aufsehen, der für Apostasie im Sudan zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.“ Er hatte sich, so das Dokument, „für die Loslösung der Scharia von historisch bedingten Einzelentscheidungen ausgesprochen zugunsten von allgemeineren Formulierungen. Gleichzeitig hatte er sich gegen die Einführung der Scharia im Sudan unter Präsident Dschafar Muhammad an-Numairi gewandt“. Er wurde hingerichtet. 2006 wurde in Afghanistan ein zum Christentum konvertierter Mann wegen Apostasie zum Tode verurteilt. Er konnte nach Italien entkommen.

Jedes Szenario prophezeit hohen Moslem-Zuwachs

Das Resümee der Historiker des Bundestages vor 13 Jahren ist bemerkenswert: „Diese beiden Fälle, die einzigen bekannten tatsächlich geschehenen Verurteilungen wegen Apostasie der letzten beiden Jahrzehnte, sind zu sehen unter dem Aspekt der Reislamisierung einer Reihe muslimischer Länder seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, die sich häufig auch in der Forderung nach einer Wiederbelebung der Scharia, des islamischen Rechts, manifestiert.“

Islamisierung prophezeit Kian Kermanshahi eben jetzt unserem Kontinent. „Wir haben in Europa 20 Islam-Parteien, ich rechne hier mit 17 Millionen Muslimen bis 2050.“ Prognosen sind schwierig. Statista gibt die Zahl der in Deutschland lebenden Muslime mit bis zu 4,7 Millionen an – Stand 2015. Der Neuzuwachs durch die Masseneinwanderung ab 2014 ist hierbei noch nicht berücksichtigt.

Das Pew Research Center, ein nichtstaatliches Meinungsforschungsinstitut aus Washington, hatte im November 2017 drei Szenarien berechnet, wie sich die Bevölkerungsstruktur in Europa bis 2050 möglicherweise entwickeln könnte. Erstes Szenario: Bei sofortigem Einwanderungsstopp nach Europa steigt der Anteil der muslimischen Bevölkerung von derzeit 4,9 Prozent auf 7,4 Prozent. Grund: Muslime sind jünger (durchschnittlich um 13 Jahre) und haben eine höhere Fertilität als Europäer (durchschnittlich ein weiteres Kind pro Frau).

Zweites Szenario: Alle Flüchtlingsströme enden, jedoch setzt sich die „reguläre“ Migration nach Europa fort (das heißt Migration von Personen, die aus anderen Gründen kommen als Asyl zu suchen). Der Bevölkerungsanteil wächst auf 11,2 Prozent.

Drittes Szenario: Bei uneingeschränktem Flüchtlingszuwachs wie um 2014 bis 2016 wächst der Bevölkerungsanteil auf 14 Prozent der europäischen Bevölkerung. Das wäre fast das Dreifache des heutigen Anteils und bedeutet rund 75 Millionen Muslime in Europa.

Dieser so oder so rasant ansteigende Anteil der muslimischen Bevölkerung hat aber nicht nur etwas mit Zuzug von Flüchtlingen zu tun. Chatschadorian weist noch auf einen weiteren Aspekt hin: „Hinzu kommt, daß ein mit einer ‘Ungläubigen’ gezeugtes Kind als Muslim geboren wird.“

Steht als erster Schritt zur Eroberung des Abendlandes also die Unterdrückung der Frau auf dem Programm? „In Belgien hat eine muslimische Partei jetzt die Forderung erhoben, daß Frauen und Männer in Bussen getrennt sitzen“, berichtet Kermanshahi auf der Konferenz.

Es mag unter anderem folgendes Resümee von Kermanshahi gewesen sein, das Kritik an der Konferenz beim Humanistischen Pressedienst (hpd, gegründet 2006 und gefördert durch die Giordano-Bruno-Stiftung) hervorrief. Dort ist zu lesen, daß auf der Konferenz „teilweise auch die Grenze zum Antimuslimismus überschritten“ worden sei. Der Kurde hatte dort gesagt: „Der Islam ist nicht ein Teil unserer kulturellen Identität.“

Der in Deutschland geborene Kurde Kian Kermanshahi will Islamaussteigern eine Stimme geben:  Kian Kermanshahis Blog: https://religionskritikislam.com/

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