© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Vielleicht ein zweiter Dollar
Facebook-Kryptowährung Libra: Chancen und Gefahren einer weltumspannenden Parallelwährung
Dirk Meyer

Bezahlen wir zukünftig im Supermarkt statt mit Bargeld oder Karte lieber per Smartphone-App in Libra? Lauten unsere Rechnungen dann auf „x Libra entsprechen y Euro“? Vor 20 Jahren, in der Übergangszeit von der D-Mark zum Euro, war es schon einmal so. Nein, zumindest Deutschland und Frankreich wollen die von Facebook angekündigte Kryptowährung Libra in der EU blockieren: „Wir glauben, daß kein privates Unternehmen Währungsbefugnisse beanspruchen kann, die zur Souveränität der Nationen gehören“, erklärten Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire.

Planungen in Schweden und China weit fortgeschritten

Anderswo scheint man offener, sollte das Konzept der neuen Kryptowährung Libra wie geplant bereits im kommenden Jahr Realität werden. Neu sind weder die als sicher geltende Blockchain-Technologie (JF 25/19) noch die elektronische Zahlweise noch die völlige Abschaffung von Bargeld – entsprechende Planungen sind im Nicht-Euro-Land Schweden (E-Krone) und in der Volksrepublik China (E-Yuan) bereits weit fortgeschritten.

Geradezu revolutionär wäre jedoch die Umsetzung der historischen Idee einer weltumspannenden (Parallel-)Währung. Nationale politische Interessen und ökonomisch verschiedenartige Wirtschaftsräume verhinderten sie bislang. Aus Nutzersicht wäre eine Weltwährung hoch attraktiv. Umtauschgebühren entfallen, und die Vergleichbarkeit von Preisen wäre weltweit möglich. Zudem ist Geld ein Netzwerkgut, das heißt, der Nutzen steigt mit der Größe der Verwendergemeinschaft – ähnlich einer gleichen Sprache. Mehrere Gründe bewirken eine potentiell hohe Attraktivität von Libra: Einfache und günstige Finanzdienstleistungen über weite Entfernungen könnten weltweit 1,7 Milliarden Menschen ohne Bankzugang anziehen, die überwiegend ein Mobiltelefon mit Internetzugang besitzen (financial inclusion). Hinzu kommen Migranten, die für Überweisungen in ihre Heimatländer über Bezahldienste wie Western Union etwa zehn Prozent Gebühren abführen.

Ihre Wertbeständigkeit vorausgesetzt, bietet Libra eine Alternative zu den Weichwährungen Afrikas und Lateinamerikas. Außerdem verfügen Facebook und seine Tochtergesellschaften über ca. 2,7 Milliarden Nutzer. Hinzu käme eine (Teil-)Abwanderung der 1,6 Milliarden Visa- und Mastercard-Inhaber. Schließlich könnte Libra als Rechnungseinheit im globalen Handel Vorteile bieten. Damit hätte Libra ein Kundenpotential, das weit über dem des US-Dollars liegt.

Die Libra Association wurde als gemeinnützige Organisation mit Hauptsitz in Genf gegründet. Der Stiftung obliegen der Betrieb der Libra-Blockchain, die Koordination der Mitglieder sowie die Verwaltung der sogenannten Reserve. Dabei geht Facebook als Initiator überaus geschickt vor. Zwar übernimmt der kalifornische Internetkonzern zumindest in der Anfangsphase eine Schlüsselstellung. Zugleich steht die Stiftung Anbietern von Zahlungssystemen, mobilen Netzwerken und Mikrokrediten offen.

Derzeit beteiligen sich 28 Firmen, darunter Mastercard, Visa, PayPal, Spotify und Vodafone. Daher dürften zumindest diese fachkundigen Konzerne zukünftig für konkurrierende Kryptowährungsprojekte von Amazon, Apple oder Google nicht mehr unmittelbar bereitstehen. Die Facebook Inc. ist durch seine neu gegründete Tochter Calibra vertreten. Diese soll im Namen von Facebook Dienstleistungen im Libra-Netzwerk aufbauen und betreiben. Damit wird eine Trennung zwischen Sozial- und Finanzdaten möglich, was Datenschützer beruhigen soll.

Im Gegensatz zum schwankenden Bitcoin (JF 19/19) ist Libra mit Vermögenswerten hinterlegt. Die Ausgabe neuer Libra setzt voraus, daß die Libra Association in gleichem Umfang Fremdwährungen annimmt (100-Prozent-Deckung). Dieser Korb (Libra-Reserve) umfaßt Währungen, die weltweit eine hohe Akzeptanz besitzen und einer geringen Geldentwertung unterliegen. In Frage kämen etwa Dollar, Euro, Yen, chinesische Yuan und Pfund Sterling.

Geldemission führt zu Zinsgewinnen

Weil dieser Währungskorb im Wert wenig schwankt, ist die Libra stabil (Stablecoin). Hieraus leitet sich der Name Libra (lateinisch: Waage, im Gleichgewicht halten) ab. Damit erfüllt sie – im Gegensatz zum Bitcoin – alle drei Geldeigenschaften: Recheneinheit, Tauschmittel und Wertaufbewahrungsmittel. Das Privileg der Libra Association als Geldemittentin besteht in einem Zinsgewinn, denn die eingenommenen Währungen werden in kurzfristig liquiden Staatsanleihen und Bankguthaben angelegt.

Indem die Währungsanteile des Korbs den jeweiligen Größenverhältnissen der Volkswirtschaften entsprechen, kann derzeit eine Rendite von etwa 0,75 Prozent erwirtschaftet werden. Bei angenommen drei Milliarden Nutzern mit einem Libra-Konto (wallet) in Höhe von 1.500 Euro, entstünde so ein Zinsgewinn von 34 Milliarden Euro auf der Basis einer Vermögensanlage von 4,5 Billionen Euro. Diese entspricht der derzeitigen Euro-Zentralbankgeldmenge. Weitere mögliche Einnahmen könnten aus Überweisungsgebühren sowie einer Libra-Umtauschgebühr fließen.

Die Libra Association gleicht einem Geldmarktfonds, dessen Überschüsse nach Abzug der Betriebskosten an die Organisation gehen, während die Libra-Nutzer als Quasi-Kapitalgeber von günstigen Bankdienstleitungen und einem wertstabilen Zahlungsmittel profitieren. Zentralbanker und Regierungen sowie Geschäftsbanken sehen Libra kritisch. Letztere dürften Finanzdienstleistungen verlieren. Infolge der liquiden Anlagen ist das Risiko der Zahlungsunfähigkeit bei Rückgabe der Libra gering. Als Großgläubiger von Staaten könnten An- und Verkauf jedoch erhebliche Kursbewegungen bei Anleihen hervorrufen. Sollte der Wert der Anlagen aufgrund von Banken- oder Staatsschuldenkrisen sinken, käme es zu einem Kaufkraftverlust der Libra.

Eine Gefahr besteht auch für die Geldpolitik. Indem die Stiftung die Währungsanteile im Korb verändert, würde sie Wechselkurse beeinflussen und – ob gewollt oder nicht – Geldpolitik machen. Da Zentralbanken vornehmlich mit kurzlaufenden Staatstiteln geldpolitisch Einfluß nehmen, könnte die Libra Association als Großanleger gegebenenfalls einen Störfaktor darstellen. Positiv zu werten ist die Absicht, mit dem Finanzsektor und den Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten zu wollen.

Schließlich dürften Regelungen zum Datenschutz, zur Geldwäsche und zur Bankenaufsicht unumgängliche Voraussetzungen einer Weltwährung sein. Offene Fragen bestehen hinsichtlich einer möglichen Libra-Kreditvergabe, die die Libra Association zu einer Schattenbank mit entsprechenden Ausfallrisiken werden ließe. Aus europäischer Sicht problematisch dürfte die Dominanz der amerikanischen Plattform-Unternehmen sein, die Libra zu einer US-beherrschten Weltwährung machen würde.







Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

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