© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Kafka umgekehrt
Satire auf den Brexit: Ian McEwan verwandelt eine Kakerlake in den britischen Premierminister und erntet dafür Prügel
Richard Stoltz

Kann ein Schriftsteller allein von guten Einfällen leben? Die Antwort lautet eindeutig „Nein“. Das mußte jetzt auch Ian McEwan (71) erfahren, ein an sich hochangesehener, von den Medien umschmeichelter englischer Autor, der soeben eine satirisch gemeinte Novelle mit dem Titel „Cockroach“ gegen den britischen Premier Johnson veröffentlicht hat. Das kritische Echo war verheerend. Auf allen Seiten war man sich einig. „Cockroach“ ist völliger Unsinn, McEwan hat sich damit blamiert.

Dabei war der Grundeinfall doch geradezu genial. McEwan hat Kafkas weltberühmte Novelle „Die Verwandlung“ einfach umgedreht. Bei Kafka wacht  der menschliche Erzähler eines Morgens auf  – und sieht sich in einen riesigen Mistkäfer verwandelt. Bei McEwan nun geht es genau umgekehrt: Eine harmlose Kakerlake wacht auf – und sieht sich unversehens in einen Menschen verwandelt, nämlich in den britischen Premierminister Boris Johnson. Auf so etwas muß man kommen. 

Was ließe sich alles aus solch einer Konstellation  machen! Sie trieft ja geradezu vor Humor, lädt zum literarischen Sichtummeln in absurden Gefühlslagen und Wirtschaftsfragen ein. Was kriegt man als Kakerlake in Gestalt eines leibhaftigen Premierministers alles zum Mittagessen aufgetischt! Woran muß man sich gewöhnen, von der großen Politik ganz zu schweigen! Was will der denn eigentlich? Es gibt in der Welt doch nur ein einziges Prinzip, Fressen & Gefressenwerden. Um mich danach zu richten, muß ich doch nicht extra in einen Premierminister verwandelt werden. 

Aber die Kritik hat recht: Nichts von dem, was sein Einfall ihm an literarischen Chancen bietet, weder Humor noch gedankliche Raffinesse, wird von McEwan aufgenommen und vorgeführt, sein Text reduziert sich auf das, was ohnehin jeden Tag in den Zeitungen steht, und er selbst reduziert sich damit auf puren Massengeschmack. Vielleicht hat er bei sich gedacht; „Ich habe ja einen großen Namen, ich brauche mir mit Ausführungen keine Mühe mehr zu geben.“ Doch da irrte er sich.