© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

An einem Wendepunkt
Katholische Kirche: Am Sonntag beginnt in Rom die Bischofssynode für Amazonien
Gernot Facius

Die katholische Welt, aber nicht nur sie, blickt in diesem Herbst  gebannt nach Rom. „Neue Wege für die Kirche und für eine ganzheitliche Ökologie“, so lautet der etwas spröde Titel der Sondersynode für Amazonien, zu der sich vom 6. bis 27. Oktober eine Heerschar von Bischöfen, Theologen und Klimaexperten im Vatikan versammeln.

In dem rund 7,5 Millionen Quadratkilometer großen Amazonasgebiet leben in neun Staaten etwa drei Millionen Indigene aus 390 verschiedenen Völkern und Nationalitäten. Für Papst Franziskus ist das eine „entscheidende Region“, nicht nur, weil von dort ein Großteil des weltweiten Sauerstoffs stamme. Eine „Entwaldung“ Amazoniens bedeute, „die Menschheit zu töten“. Bisher, so schrieb der brasilianische Kardinal Cláudio Hummes in der Vatikanzeitung L’Osservatore Romano, herrschten in dem Gebiet wirtschaftliche und private Interessen vor, die einer „Neuauflage des Kolonialismus“ gleichkämen. Wenn sich daran nichts ändere, „wird die ganze Region zerstört werden, mit all den verheerenden Folgen, die schon absehbar sind“.

Doch sehen längst nicht alle Kirchenmänner die Synode auf die Rechte der Indigenen und die ökologische Situation der arten- und rohstoffreichen Urwaldregion zentriert. Der deutsche Kurienkardinal Walter Brandmüller zum Beispiel führt die Riege der Skeptiker an. „Niemand, der die gegenwärtige Situation der Kirche aufmerksam beobachtet, wird im Ernst daran glauben, daß es bei der Synode wirklich um das Schicksal der Amazonaswälder und ihrer Bewohner – es sind nicht mehr als gerade die Hälfte der Einwohner von Mexiko City – gehen soll“, meinte Brandmüller in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine.  Auf dem Etikett stehe zwar  „Amazonas“, der „Geist in der Flasche“ heiße jedoch anders: „radikaler Umbau der Kirche“. Und Raymond Burke, prominentester amerikanischer Franziskus-Kritiker im Kardinalspurpur, rief mit Gleichgesinnten zu einem „Kreuzzug des Gebets und des Fastens“ auf, damit „Irrtum und Häresie die Synode nicht beeinflussen mögen“. 

Worauf spielen die Kardinäle an? Auf das Faktum, daß es bei der Versammlung auch um die seit langem diskutierte Frage der Priesterweihe für verheiratete, kirchlich bewährte Männer – über die übrigens 1970 selbst Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt, nachgedacht hat – und um neue Ämter für Frauen in der Kirche gehen soll. Das Vorbereitungsdokument hatte die Zulassung sogenannter „Viri probati“ noch nicht explizit thematisiert. Dort war lediglich zu lesen, es brauche „neue Wege, damit das Volk Gottes einen besseren und häufigeren Zugang zur Eucharistie haben kann“.

Nun rückt das Thema zumindest in den Medien in den Vordergrund. Eine allgemeine Aufhebung der Zölibatspflicht hat der Papst freilich ausgeschlossen, ebenso eine Wahlmöglichkeit nach dem Beispiel der mit Rom verbundenen Ostkirchen. „Niemand will den Zölibat in Frage stellen“, beteuerte der Untersekretär der Synode, Fabio Fabene. Es sei abwegig, anzunehmen, die Versammlung könne der gesamten Kirche ein „amazonisches Aussehen“ verpassen. 

Ausufernde Debatte um den Zölibat

Gleichwohl, daran gibt es nichts zu deuteln, werden ihre Beschlüsse auch andernorts in der Weltkirche je eigene Überlegungen auslösen. Unter anderem in Deutschland. Für den Vorsitzenden des deutschen Episkopats, Kardinal Reinhard Marx, der zu den Synoden-Teilnehmern gehört, ist eine „regionale Lockerung“ des Zölibats durchaus denkbar. Er könne sich vorstellen, daß man zu dem Ergebnis kommen könne, „daß es sinnvoll ist, unter bestimmten Voraussetzungen in bestimmten Regionen verheiratete Priester zuzulassen“, vertraute Marx der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung an. „Wir können keinen deutschen Sonderweg gehen, aber die Diskussion voranbringen können wir schon.“ Allerdings dürfe man nicht meinen, „wir könnten über Amazonien unsere Probleme lösen“. 

Wie auch immer: Kardinal Robert Sarah, Präfekt der römischen Gottesdienstkongegration, warnt vor „falschen Propheten“. Er zeigte sich geschockt, daß die spirituellen Nöte von Gläubigen dazu benützt würden, um Forderungen umzusetzen, die „typisch für ein spießbürgerliches und weltliches Christentum“ seien. Man kann diese Aussage wohl auch als Kritik an europäischen Amtsbrüdern werten. Der US-Zeitung National Catholic Register sagte Sarah: „Der Zölibat schreibt das Kreuz in unser Fleisch ein.“ Doch einige Kirchenmänner der westlichen Welt könnten diesen „Skandal des Kreuzes“ nicht länger aushalten. Sarah: „Ich sehe die Kirche an einem Wendepunkt.“ Zwar benötige sie eine tiefe und radikale Reform, doch müsse diese mit einer Erneuerung im Leben der Priester beginnen.

Andere Akzente setzte der Limburger Bischof Georg Bätzing. Er könne sich eine Aufhebung des Pflichtzölibats für Priester in Deutschland gut vorstellen. „Die Ehelosigkeit ist mit dem Priesteramt nicht wesentlich verbunden. Und wenn sie mehr und mehr zum Hindernis wird, dann müssen wir das überdenken.“  Eine nationale Lösung sei „selbstverständlich eine Option“, aber diese Option müsse den Bischöfen rechtlich vom Papst gegeben werden: „Sonst können wir es nicht tun.“

Die Diskussion über regionale Lösungen ist offenbar nicht mehr zu stoppen. Ob Priester ehelos leben müßten oder ob es auch verheiratete Priester geben dürfe, brauche weltkirchlich nicht einheitlich gelöst zu werden, warf der Dogmatiker Michael Seewald in einem dpa-Gespräch ein. „Regional könnte man unterschiedliche Lösungen finden.“ Allerdings sei der Priestermangel fast überall so groß, daß wohl ein Dominoeffekt eintreten würde: „Würde man in einem Land verheiratete Männer zum Priesteramt zulassen, würden die meisten anderen Länder wohl versuchen, schnell nachzuziehen.“ 

Pater Josef Sayer, ehemaliger Leiter des Bischöflichen Hilfswerks Misereor, der eng in die Vorbereitungen der Synode eingebunden war, bemühte sich, etwas Ruhe in die ausufernde Debatte zu bringen: „Es geht hier gar nicht um den Zölibat oder den zölibatären Priester, das steht nicht zur Frage. Sondern daß der zölibatere Priester tatsächlich in die Lage versetzt wird, seinen Auftrag zu erfüllen – nämlich seine Kirche zu bauen, ausgehend von den Sakramenten.“ In vielen Gemeinden der Amazonasregion komme ein Priester nur selten vorbei. Sayer: „Dabei wissen wir: Theologisch gesehen ist die Eucharistie konstitutiv für das Kirche-Sein. Und wenn wir die Erfahrung machen, daß Priester nur alle zwei bis drei Jahre kommen: Was heißt denn dann noch Eucharistie für die Gemeinde?“ Hier gehe es um die Existenz einer bedrohten Ortskirche. Das sei die Ausgangslage, die jetzt zum Nachdenken über neue Formen der Seelsorge führe.

Rückgriff auf ein früheres Leitungsamt

Sayer war in den 1980er Jahren Pfarrer in einem Slum der peruanischen Hauptstadt Lima. Via Radio Vatikan skizzierte er  seine Vorstellung von einer neuen Form der Seelsorge: „Ein Modell ist es, Priester zu haben, die aus den Gemeinden kommen und die nicht herumreisen. Denn wenn ein Priester eine Gemeinde verlassen hat, dann hinterläßt er Presbyter. Und der zölibatäre Priester bringt die Presbyter, die für die einzelnen Gemeinden zuständig sind, zusammen, schult sie und schaut, daß ein Band der Einheit da ist.“

Presbyter: Das wäre der Rückgriff auf ein Leitungsamt, das es in der frühen Kirche gegeben hat. Historisch gesehen steht es an den Anfängen des Priesteramtes, wie man es heute kennt. Das Modell, das Sayer vorschwebt: eine Vernetzung der Gemeinden über die Presbyter und die zölibatär lebenden Priester. Eines der vielen Themen, die während der  Sondersynode im Vatikan zur Sprache kommen sollen. Kardinal Marx ist sich sicher: Das Treffen werde ein sozialethisches und politisches Statement setzen.   Und der emeritierte deutsche Kurienkardinal Walter Kasper sucht die Zweifler in den eigenen Reihen zu beruhigen: Niemand habe, wie teilweise behauptet werde, „die sakramentale Struktur der Kirche und der hierarchischen Leitung in Frage gestellt“. Am 27. Oktober wird man mehr wissen.