© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Nachgeholte Sommerlektüre: In Jean-Luc Bannalecs Krimi „Bretonisches Vermächtnis“ ermittelt Kommissar Georges Dupin in seinem mittlerweile achten Mordfall, dieses Mal vor der eigenen Haustür in Concarneau, der „blauen Stadt“ direkt am Atlantik. Im Gegensatz zu den beiden Vorgängern, „Bretonisches Leuchten“ (Streifzüge vom 7. Juli 2017) und „Bretonische Geheimnisse“ (Streifzüge vom 22. Juni 2018) fallen deshalb die Landschaftsbeschreibungen der Bretagne, die einen beträchtlichen Anteil am Charme dieser Buchreihe ausmachen, zwar etwas spärlicher aus. Dafür läßt sich ein schöner Vergleich von Concarneau heute mit der Stadt Anfang der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts anstellen. Damals, 1931, ließ der wallonische Schriftsteller Georges Simenon in „Maigret und der gelbe Hund“ seinen Kommissar an den selben Stätten ermitteln wie Bannalecs Dupin, zum Beispiel dem Restaurant „L’Amiral“ oder dem Fischereihafen.


„Wenn ein westdeutscher Intellektueller einen Diskursraum betritt, schaut er immer zuerst nach, wo sich die Fluchttür befindet.“ (Alexander Wendt, zitiert nach Michael Klonvoskys „Acta diurna“ vom 24. September 2019)


Ausflug zum brandenburgischen Bogensee in der Gemeinde Wandlitz. Bekanntheit erlangte der mitten im Wald gelegene Ort durch den heute noch weitgehend erhaltenen Landsitz von Jospeh Goebbels, den sich der NS-Propagandaminister dort 1939 errichten ließ, nachdem er das Gelände mit einem einfachen Blockhaus darauf drei Jahre zuvor von der Stadt Berlin zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. In der Villa mit ihren zur damaligen Zeit nahezu einzigartigen, weil komplett im Boden versenkbaren Panoramafenstern zur Terrasse hin, ihren mehr als dreißig Zimmern, Salon, Speisesaal und Kino empfing er unter anderem Künstler und Schauspieler wie Zarah Leander, Marika Rökk, Ilse Werner, Emil Jannings und Heinz Rühmann. Nach dem Krieg nutzte die SED für ihre „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ) das Gelände für eine Hochschul-Kaderschmiede, benannt nach dem ersten DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck. Seit den 1990er Jahren stehen die denkmalgeschützten Gebäude auf dem rund 500 Hektar großen Gelände leer und drohen zusehends zu verfallen. Leider ist das einzige dokumentarische, reichhaltig bebilderte Buch zu diesem mythenumrankten Areal, Stefan Berkholz’„Goebbels’ Waldhof am Bogensee. Vom Liebesnest zur DDR-Propagandastätte“, 2004 im Ch. Links Verlag erschienen, nur noch antiquarisch erhältlich.