© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Gesellschaftskundeunterricht
Langweiliges Lehrstück: Norbert Lechner hat den Roman „Zwischen uns die Mauer“ von Katja Hildebrand verfilmt
Sebastian Hennig

Der Regisseur Norbert Lechner hat in „Tom und Hacke“ den berühmten Roman um die Abenteure der zwei Knaben von Mark Twain in die Bayerische Nachkriegszeit verlegt. Er verfilmte den Roman „Toni Goldwascher“ von Josef Einwanger. Und zuletzt wurde er ausgezeichnet für einen Film mit dem selbstredenden Titel „Ente gut! Mädchen allein zu Haus“.

Zum Tag der deutschen Einheit kommt jetzt seine Verfilmung des Romans „Zwischen uns die Mauer“ von Katja Hildebrand ins Kino. Lechner hätte wohl besser getan, einen weiteren Film über das ländliche Bayern zu drehen. Denn seine Sicht auf das Geschehen um das Jahr 1989 ist eine Beleidigung für einen denkenden und fühlenden Menschen mit lebendigen Erinnerungen. Allenfalls als ephemeres Produkt für einen flüchtigen Fernsehabend wäre das Ergebnis noch hinzunehmen, doch für die große Kinoleinwand ist alles zu kleinlich, lau und flach geraten.

Vielleicht aber ist in dieser Diagnose noch etwas anderes enthalten als nur die miese Verfilmung einer mittelmäßigen Vorlage. Die sentimentale Verlogenheit dieses Films ist das Symptom einer grausamen Selbstentfremdung der Deutschen, die dreißig Jahre nach seinem Ende den Kalten Krieg auf einer Modellplatte nachbilden. Sie wollen oder dürfen nicht erkennen, daß die damalige Lage keine Selbstbestimmung und damit auch kaum eine Selbstverantwortung zuließ.

 Aus ihrer westdeutschen Kleinstadt zieht es Anna (Lea Freund) in das atemberaubende West-Berlin zum Feiern. Ihrem Schulfreund Ralph (Lukas Zumbrock) geht es nicht anders. Also nehmen sie an einem kirchlichen Jugendaustausch mit der Hauptstadt der DDR teil. Dort wird Anna schließlich stärker vom Pfarrerssohn Philipp (Tim Bülow) angezogen als von der Kreuzberger Szene. Den Rest muß man kaum andeuten. Es geschieht das erwartbare Dilemma mit den gestrengen Eltern dort und der schikanösen DDR-Bürokratie hier. Der Autorin und dem Regisseur ist nicht viel mehr eingefallen dazu als das Allernächstliegende. Gleichwohl wird „ein zeithistorisches Dokument und ein Buch gewordener Hoffnungsfunken“ angepriesen. „Das Buch ist ebenso mitreißend erzählt wie die Verfilmung von Norbert Lechner.“

Platte Kennzeichnung der Guten und der Bösen

Im Umkehrschluß wäre es also nicht ratsam, auch noch Zeit mit der Lektüre eines Buches zu verschwenden, das schon einen so zähen Film veranlaßt. Das Presseheft bezieht ihn auf Shakespeares „Romeo und Julia“. Das landläufige Mißverständnis der Shakespeare-Tragödie als einer Apotheose der Liebe wird hier auf eine platte Kennzeichnung der Guten und der Bösen angewendet. Der englische Dichter hat gleichwohl Respekt vor der Elementargewalt der Liebe, schildert aber vordergründig deren asoziale Zerstörungskraft. Die beiden Liebeskranken müssen bei ihm an ihrer Krankheit zugrunde gehen, nicht anders als Pyramos und Thisbe. Im blinden Mißverständnis verzehren sie sich selbst.

Das hätte eine Gelegenheit ergeben, die Ereignisse der jüngeren Geschichte an individuellen Schicksalen als einen besonderen Fall wiederkehrender Urkräfte lebendig werden zu lassen. Aber die deutschen Bundes- und Demokratischen Republiken werden nicht zu den Montagues und Capulets, vor deren Hintergrund Anna und Philipp zu sich kommen müssen und sich in ihrem Wahn verlieren. Die Staaten, die trotz wechselseitig behaupteten Alleinvertretungsanspruchs nichts Halbes und nichts Ganzes waren, agieren hier als übermächtige Hauptpersonen, während seltsam flach im Hintergrund die Menschen dieses Erklärspiel dekorieren.

Die Volkspolizisten und Staatssicherheitsleute haben noch das meiste Profil. Philipps melancholische Freundin Ina (Kriemhild Hamann), die schließlich an der Grenze den Tod findet, ist als ein glaubhafter Mensch mit seinen Widersprüchen gestaltet ebenso der Pfarrer Andreas, Philipps Vater (Götz Schubert). Von diesen komplexen Figuren hätte die Filmerzählung ihr Maß nehmen können.

Anstatt aber eine Handlung zu entwickeln, bei der alles Interesse den lebendigen Figuren gilt und die Historie lediglich Kolorit und Würze gibt, haben wir hier ein Lehrstück über Freiheit und Liebe. Zum Exempel werden Personen entwickelt, die nun wie Pappfiguren durch die lineare Chronologie schwanken. Denn der Film macht keinen Gebrauch von der Zauberkraft seines Mediums, innere Zustände zu visualisieren. Er plätschert gemächlich entlang eines Zeitstrahls von 1986 bis 1990. Zwischentitel orientieren den Zuschauer über den Zeitverlauf.

 „Zwischen uns die Mauer“ ist ein Prachtexemplar von selbstgerechter Schlichtheit, als wäre er für den Gesellschaftskundeunterricht gedreht. Er ist bestürzend langweilig und läßt den wohlinformierten Zuschauer nur darum der Maueröffnung entgegenschmachten, weil sie den Film beschließt, freilich ohne ihn zuzuspitzen. 

Kinostart am 3. Oktober 2019