© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Die Särge waren schon bestellt
Schinderhannes: Zur Erinnerung an einen der bekanntesten Räuber Deutschlands
Christoph Bathelt

Für die einen war er ein brutaler Straßenräuber, für die anderen ein „Robin Hood“ aus dem Hunsrück: Johannes Bückler, genannt Schinderhannes. Seine Taten wurden nicht nur Material für Bücher, Theaterstücke und Filme, sondern auch ein Thema der Kriminalgeschichte und Forensik.

Bückler wurde im Herbst 1779 in Miehlen im Hintertaunus als Sohn eines Abdeckers (Schinders) geboren. Auch dieser war eine zwielichtige Person, die den Ort früh verlassen hatte und mit Gelegenheitstätigkeiten ihren Lebensunterhalt verdiente. Von ihm lernte Johannes das Handwerk, bevor er zu einem anderen Lehrherrn wechselte, von diesem aber bald im Alter von 16 Jahren wegen Diebstahls hinausgeworfen wurde und sich mit Gesinnungsgenossen in die Wälder des Hunsrück, Taunus und in Rheinhessen schlug. Schnell wurde er bekannt und gefürchtet aufgrund einiger spektakulärer Ausbrüche und brutaler Überfälle, vor allem auf wohlhabende jüdische Kaufleute und Viehhändler. Er gab zudem Erpresserbriefe heraus, die er mit dem Namen „Johannes durch den Wald“ unterzeichnete.

Das Todesurteil stand von Prozeßbeginn an fest

Durch seine Taten und seine bisweilen leutselige Art fand er jedoch bei der verarmten Landbevölkerung Unterstützung und feierte im Sommer 1800 sogar den berühmten öffentlichen „Räuberball von Griebelschied“ mit mehreren Tanzkapellen, Dirnen und viel Alkohol. Die linksrheinischen, französisch besetzten Gebiete der ehemaligen Kurfürstentümer Trier, Mainz und Köln und einige andere kleinere erlebten in dieser Zeit große Umwälzungen, bei denen etablierte Herrschaftssysteme versagten und unorganisierte kleine Gruppen wie die Schinderhannes-Bande sich gut zwischen den einzelnen Territorien bewegen und die staatlichen Kräfte gegeneinander ausspielen konnten. Mit der Etablierung der französischen Administration nach dem Frieden von Campo Formio 1797 zeigten indes die neuen Polizeireformen Wirkung und setzten die Bande unter immer größeren Druck. Immer häufiger hielt sich Bückler als reisender Krämer unter dem Namen „Jakob Ofenloch“ auf der anderen Rheinseite auf. 1800 lernte er Juliane („Julchen“) Blasius kennen, die ihn seitdem begleitete und zwei Kinder gebar.

Am 31. Mai 1802 wurde er im rechtsrheinischen Wolfenhausen von einer Militärstreife gestellt, die ihn für einen Deserteur hielt, obwohl er seinen Wunsch äußerte, Soldat zu werden. Dennoch wurde er unter Bewachung gestellt, da zu dieser Zeit viele Freiwillige das Handgeld kassierten und dann verschwanden. In Limburg wurde er erst identifiziert und in die kaiserliche Reichsstadt Frankfurt am Main überstellt, wo Bückler alles daransetzte, nicht an die Franzosen ausgeliefert zu werden. Er versprach ein umfassendes Geständnis über seine Straftaten und Preisgabe von weit über hundert  Komplizen. Trotzdem wurde er mit Julchen, seinem Vater und weiteren verhafteten Komplizen wie dem „Husarenphilipp“, dem „Scheelen Franz“, dem „Schlechten Freier“ oder dem „Schwarzen Peter“  an die französischen Behörden in Mainz übergeben und im Stadtturm inhaftiert. Die folgende Untersuchung dauerte 16 Monate, insgesamt wurden 565 Fragen gestellt, 3.461 Dokumente geprüft, 400 Zeugen wurden einvernommen und nach weiteren Verdächtigen gefahndet. Dabei wurden dem Angeklagten bis zuletzt Hoffnungen auf einen gnädigen Ausgang gemacht, um möglichst viele Informationen zu erhalten.

Die Verhandlung über „citoyen Jean Buckler“ und seine Kumpanen fand im Akademiesaal des ehemaligen Kurfürstlichen Schlosses in Mainz statt, wo 1793 der Jakobinerclub getagt hatte, und begann am 24. Oktober 1803. Die Anklageschrift hatte einen Umfang von 72 Seiten in deutscher und französischer Sprache. Vorgeworfen wurden der Bande 211 Straftaten, darunter Landstreicherei, Einbruch, Diebstahl, Erpressung, Hehlerei, Körperverletzung mit Todesfolge, Raubmord und Mord.

Geleitet wurde der Prozeß von Georg Friedrich Rebmann, Präsident des Mainzer Kriminalgerichts, einem bedeutenden Juristen, der sich bemühte, ein für damalige Verhältnisse solides rechtsstaatliches Verfahren mit Berufsrichtern, Dolmetschern und Verteidigern durchzuführen. Dennoch stand das Urteil von Beginn an fest – Mitarbeiter des Gerichts luden ihre Bekannten schon im voraus zur Hinrichtung am 21. November 1803 ein und Särge für „Johann Bückler und Consorten“ wurden bestellt. 

Das Urteil wurde am 20. November 1803 verkündet: 20 Freisprüche, 18 Verurteilungen zu Ketten- und Freiheitsstrafen und Verbannungen sowie 20 Todesurteile, drei Angeklagte waren bereits in der Haft verstorben. Für Bückler war das Todesurteil klar, sein Vater wurde zu 22 Jahren „Kettenstrafe“ verurteilt, starb aber bereits einen Monat später.

Der Andrang war mit rund 30.000 Schaulustigen so groß, daß Eintrittskarten ausgegeben wurden und das Fallbeil nicht wie üblich in der Stadt, sondern außerhalb der Mauern errichtet wurde. Im offenen Wagen wurden die Delinquenten dorthin überführt, wo sich Bückler „mit staunenswürdiger Ruhe“ mit dem ihn begleitenden Geistlichen unterhielt. Beim Gelände des heutigen Volksparks angekommen, „sprang er „an der Richtstätte angelangt ohne Zaudern vom Wagen, küßte den Scharfrichter und betrat die Guillotine mit den ‚Worten: ‘Ich sterbe gerecht, doch zehn von meinen Kameraden verlieren das Leben unschuldig!’“

Zuckmayers Theaterstück verklärte den Räuber

Nachdem die Köpfe unter das Schafott gefallen waren, wurden die Rümpfe von Professoren der Mainzer École Supérieure (der ehemaligen kurfürstlichen Universität) und der „Medizinischen Privatgesellschaft zu Mainz“ examiniert. Nachdem zwanzig Jahre zuvor der Italiener Luigi Galvani elektrische Experimente mit Fröschen durchgeführt hatte, stellte man nun mit den Leichen ebensolche Versuche an, um zu testen, ob geköpfte Menschen noch Empfindungen zeigen können. Aufgrund dieser Versuche ist der Verbleib von Bücklers Leiche nicht mehr eindeutig zu rekonstruieren: Das in der Anatomischen Sammlung der Universität Heidelberg aufbewahrte Skelett mit der Aufschrift „Schinderhannes“ hat eine andere Körpergröße, und es fehlen der erwiesene Arm- und Beinbruch sowie eine diagnostizierte Knochentuberkulose im letzten Stadium. Auch der Schädel ist seit 1945 ein anderer.

Obwohl er immer wieder Unterstützung von Dorfbewohnern fand und versteckt wurde, galt er als brutaler Räuber. Selbst Nachfahren von vor fast 200 Jahren nach Südamerika ausgewanderten Hunsrückern und Hessen, die man zu diesem Thema befragte, teilen diese Auffassung.

Juliane Blasius verblieb zwei Jahre im Zuchthaus im belgischen Gent, später kehrte sie in ihr Heimatdorf Weierbach zurück, wo sie noch im Alter durchreisenden Fremden „bei einem Schnaps“ von ihrer glücklichen Zeit als Räuberbraut erzählt haben soll. Sie starb 1851. 

Der erstgeborene Sohn verstarb im Kindesalter, der 1802 geborene Sohn Franz Wilhelm Bückler wuchs bei Pflegeeltern auf und war später Unteroffizier in der österreichischen Armee. Seine Nachfahren, wie auch die anderer Bandenmitglieder, leben noch heute im Rhein-Main-Gebiet.

Schon während Schinderhannes’ Haftzeit wurden erfundene Geschichten über ihn verbreitet, die seinen Ruf als „deutschen Robin Hood“ begründeten. Je nach Weltanschauung und politischer Großwetterlage wurde sein Kampf gegen „Reiche“, „Juden“ oder „Franzosen“ politisch vereinnahmt.

Im 20. Jahrhundert trug dann vor allem das gleichnamige Theaterstück des Dramatikers Carl Zuckmayer dazu bei, ihn als „edlen Räuber“ zu verklären, das 1927 veröffentlichte Drama wurde gleich dreimal verfilmt, am bekanntesten 1958 mit Curd Jürgens in der Hauptrolle und Maria Schell als „Julchen“. Erst seit einigen Jahren wird der historische Schinderhannes differenzierter betrachtet.

 www.forschungsportal-schinderhannes.de