© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Vollkommen ausgereizt
Wie die globale Kreuzfahrtbranche Gewinne erwirtschaftet, die Meere vermüllt und die Atmosphäre belastet
Christoph Keller

Einblicke in das Wesen der Globalisierung vermittelt exemplarisch die Kreuzfahrtbranche. Zu ihr gehören etwa 500 Schiffe, bereedert von den „Großen Vier“: Carnival Cruise Line (CCL, 52,2 Prozent Marktanteil), Royal Caribbean International (RCI, 23,5), Norwegian Cruise Line (9,3) und MSC Cruises (7). Davon stehen für den deutschen, von der CCL-Tochter Aida und dem RCI-Partner TUI Cruises bedienten Markt zwei Dutzend Ferienfabriken mit einer Durchschnittskapazität von 1.600 Passagieren zur Verfügung.

Profitmaximierung und Billiglohnökonomie

Der Kreuzfahrtverband Clia rechnet damit, daß 2020 erstmals drei Millionen Bundesbürger mit den ins Visier von Klimaaktivisten geratenen Megalinern in See stechen werden. 2017 waren es nur zwei Millionen gewesen. Zehn Tage von Hongkong nach Singapur für 995 Euro, 13 Tage von Dubai nach Mallorca für 679 Euro – mit Vollpension, Kindergarten, Sauna, Shows, Musicals, Live-Bands, Tänzern und Akrobaten, das geht nur mit einer Billiglohnökonomie, die die Grenzen der Gewinnmaximierung maximal ausreizt, so der Kölner Sozialwissenschaftler Wolfgang Meyer-Hentrich (Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/19). Was kein Problem darstellt, da die für den Geschäftsbetrieb unentbehrlichen Ressourcen Arbeit und Natur hinreichend günstig und unerschöpflich zur Verfügung stehen.

Das Bordpersonal in den Küchen, Kabinen, Restaurants und Maschinenräumen rekrutiert sich oft aus Leiharbeitern. Agenturen in Manila bilden ganze Crews aus und vermitteln sie an die Konzerne. 600 Dollar monatlich verdient ein Steward, 1.200 ein Chefkoch. Das ist viel im Vergleich mit dem philippinischen Durchschnittslohn eines Arbeiters von 250 Dollar. Aber wenig für einen Zwölf- bis 16-Stunden-Arbeitstag an Bord. Verglichen mit den Vorstandschefs von CCL und RCI, die mit zweistelligen Millionenvergütungen die meisten Dax-Vorstände belächeln können, ist es eher ein Almosen. Meyer-Hentrich spricht von einem „skrupellosen System der Ausbeutung auf hoher See“.

Dabei laden der Bevölkerungszuwachs und die Armut im globalen Süden die Manager geradezu ein, die zu „anspruchsvoll“ gewordenen Filipinos teilweise durch noch preiswertere Arbeitskräfte zu ersetzen: In Bangladesch, Indien, Indonesien, Madagaskar und den mittelamerikanischen Armenhäusern wird zunehmend angeheuert, obwohl die wenigsten seemännische Erfahrungen aufzuweisen hätten.

Der Boom der Kreuzfahrten verlangt zudem ein Übernutzen von Natur, Weltmeeren und Erdatmosphäre. Die Ozeanriesen nutzen sie als nahezu kostenfreie Müllkippe und Schadstoffbehälter. Am meisten schlagen dabei die Abgasemissionen der Generatoren und Schiffsmotoren ökologisch zu Buche: Die „Symphony of the Seas“ von RCI hat eine installierte Gesamtleistung von 148,4 Megawatt – das entspricht elf Prozent der Leistung des AKWs Emsland.

Doch das größte Kreuzfahrtschiff der Welt wird – wie fast alle Konkurrenten sowie die 90.000 kleinen und großen Schlepper und Handelsschiffe weltweit – mit riesigen Dieselmotoren betrieben. Und dank billigem Schwerölbetrieb wird nicht nur der Greta-Schreck CO2 ausgestoßen, sondern auch reichlich Schwefel- und Stickoxide sowie Rußpartikel, Feinstaub und sogar Schwermetalle. Die auf der Papenburger Meyer-Werft gebaute Aidanova, die hingegen auf Flüssigerdgas-Motoren setzt und dafür vom Umweltbundesamt (UBA) die Auszeichnung „Blauer Engel“ erhielt, ist bislang leider eine löbliche Ausnahme.

Was aus den anderen Schiffsschornsteinen aufsteigt, verschwindet nicht ausschließlich himmelwärts. Denn die Stickstoffemissionen und der Feinstaub setzen sich im Meerwasser ab, nähren dort Algen und fördern deren tropisches Wachstum. Sterben sie ab, sinken sie auf den Meeresgrund, wo Bakterien sie, Sauerstoff verbrauchend, zersetzen. Berücksichtige man ferner, wie Meyer-Hentrich klimabewußt warnt, daß die Erderwärmung die Oberflächenschichten des Wassers aufheize und den Sauerstoffaustausch in tieferen Schichten behindere, trügen die Schiffsabgase erheblich dazu bei, den Sauerstoffgehalt der Ozeane zu reduzieren und Meeressäugern, Fischen, Muscheln und Korallen die Lebensgrundlagen zu nehmen.

Überdüngung und Algenbildung im Meer

Wissenschaftler des Kieler Helmholtz-Zentrums für Meeresforschung hätten dazu Meßdaten seit 1969 ausgewertet. Mit dem Ergebnis, daß die Weltmeere seither zwei Prozent weniger Sauerstoff enthielten, was der Menge von sieben Milliarden Tonnen entspreche. Kein Wunder, daß die Zahl der „Todeszonen“ sich seitdem vervierfachte. Im Golf von Oman sei eines dieser biologisch abgestorbenen Gebiete bereits größer als das Territorium Österreichs.

Der Anteil der Kreuzfahrtschiffe an diesen Umweltschäden relativiert sich, blickt man auf die Zahlen der Internationalen Schiffahrtsorganisation (IMO) an. Demnach betrage der Anteil des gesamten Schiffsverkehrs an CO2-Emissionen nur etwa drei Prozent des menschenverursachten Kohlendioxids. Davon entfalle wiederum nur ein nicht präzise zu bestimmender Anteil auf die 500 Kreuzfahrer. Allein die Zahl der Fähren und kombinierten Roll on/Roll off-Passagierschiffe ist fast zehnmal so hoch.

Trotzdem, meint das UBA, sollten diese Relationen nichts verharmlosen. Denn die größten Kreuzfahrtschiffe, mit 6.700 Passagieren und 2.100 Besatzungsmitgliedern, verbrauchen ein Drittel mehr Treibstoff als die größten Containerschiffe. Und die Handelsschiffahrt produziert nicht annähernd soviel Müll wie die schwimmenden Hotels. Allein der Schmutzwasseranfall sei atemberaubend. Bis zu 300 Liter fäkal belastetes Schwarz- sowie mit Plastik und Kosmetikrückständen durchsetztes Grauwasser aus Dusche und Waschbecken verbraucht jeder Passagier täglich. Hinzu kommt der organische Abfall, der aus Unmengen von Lebensmitteln besteht, den die Gäste am Buffet verschmähen. Das sind 30 Tonnen pro Woche und Schiff. Verklappt im Meer, im Einklang mit IMO-Regeln, weil Lebensmittelabfälle nicht giftig sind. Aber nährstoffreich und daher zur Überdüngung und Algenbildung im Meer beitragend.

Um seine Anklageschrift in Sachen „Kreuzfahrt in die Klimakatastrophe“ abzurunden, prangert Meyer-Hentrich schließlich noch die Auswirkungen der heuschreckenartigen Landgänge am Beispiel einer kleinen isländischen Hafenstadt an, wo eine Armada von Bussen und Jeeps zu Ausflügen in die „unberührte Natur“ des Inselstaates startet.

Massentourismus nehme hier Formen unkontrollierter Gewalt an. Die Ortsansässigen registrierten die unangenehme Veränderung ihrer Quartiere, würden zum Objekt für Fremde gemacht, gehörten quasi zum gebuchten Warenpaket. Sie empfänden dies als einen mit kosmopolitischen und multikulturellen Parolen vom globalen Miteinander verbrämten „Verlust ihres Territoriums und von Heimat“. Den naheliegenden Vergleich zwischen den Belastungen eines nur kurzzeitigen Fremdeinfalls auf Island und den Folgen der Masseneinwanderung von „Dauergästen“ nach Westeu­ropa versagt sich der Autor wohlweislich.

Cruise Lines International Association/Clia:  www.cliadeutschland.de