© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Der Flaneur
Kreuzberger Nächte
Gil Barkei

Die Restaurantempfehlung kommt von Freunden: eine generalüberholte alte Gaststätte mitten in Kreuzberg. Aber die Gäste sind alles andere als alteingesessene Berliner oder linke Kiezgestalten. Nur die beiden höflichen Kellnerinnen entsprechen dem Klischee der zugezogenen Hipster.

Rechts neben uns sitzt eine Gruppe Amerikaner, die in einer durch den gesamten Laden schallenden Lautstärke einen Rundumschlag der modern aufgemotzten traditionellen Hausmannskost bestellen. „I Love Berlin!“ scheint die Erkenntnis des Tages zu sein. Links neben uns findet ein interkultureller Austausch zwischen einem deutschen und einem italienischen Pärchen statt. Die Deutschen in Düsseldorfer Kö-Tracht: Hemd, teure Armbanduhr, Bluse, Perlenohrringe. Die Italiener lässig-elegant. Man springt zwischen Deutsch und Englisch hin und her. Ob denn noch die anderen kämen. „Nein, die haben grad geschrieben. Die sind noch in Mitte und haben sich an einer Flasche Champagner festgetrunken. Dieses Restaurant, in dem auch immer die Berlinale stattfindet.“ 

Selbst die Eckkneipen haben geschlossen, nur an der Hähnchenbude ist noch etwas los.

Weiterer kurzer Smalltalk, dann beginnt das aus der Werbung bekannte „Mein Haus, mein Auto“-Spiel. Die Italiener erzählen von ihren zwei kürzlich erworbenen Eigentumswohnungen. Anerkennendes teutonisches Nicken: „You have to buy now!“ Es folgen die klassischen Fragen zu Lage, Größe, Ausstattung. „Moabit und Wedding“ – Allerdings habe man die eine Zweizimmerwohnung gar nicht persönlich besichtigt, die Eckdaten hätten aber gepaßt. „Prost!“ 

Nach dem leckeren Essen nur noch ein Absacker in einer kleinen Bar, recht früh geht es anschließend heimwärts. Trotzdem sind die Straßen fast menschenleer – von wegen „Kreuzberger Nächte sind lang“. Selbst die zwei Eckkneipen haben bereits geschlossen. Lediglich an der kleinen türkischen Hähnchenbude ist noch etwas los: Mehrere Taxifahrer gönnen sich einen Nachtsnack. Ich gönn’ mir eine Fahrt nach Hause.