© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/19 / 11. Oktober 2019

„Hysterie auf die Spitze getrieben“
Klimapaket: Gerangel auf der Straße – und im Kabinett
Ronald Berthold

Im rot-rot-grünen Berlin haben Anfang der Woche die Klima-Protestierer von „Extinction Rebellion“ (XR) die Macht übernommen. Und weder Regierung noch Polizei stellen sich auf die Seite der genötigten, in Geiselhaft befindlichen Bürger. Montag früh blockierten die Demonstranten zwar nicht wie von manchen Urlaubern befürchtet den Flughafen Tegel, sondern den Großen Stern rund um die Siegessäule. Fünf wichtige Straßen führen auf den Verkehrsknotenpunkt zu.

„Zehntausende im Stau   wegen einer Endzeitsekte“

Ab vier Uhr ging dort nichts mehr. Und Berlins Innensenator Andreas Geisel bestätigte, was die Polizei bereits informell angedeutet hatte: Die Beamten „werden mit Augenmaß vorgehen“. Man werde Spontanblockaden zulassen, sagte der SPD-Politiker gegenüber dem RBB: „Es ist ja so, daß wir Blockaden, Veranstaltungen durchaus als spontane Demonstrationen werten können, die ja nach Demonstrationsrecht zulässig sind.“ Und weiter: „Mit Augenmaß heißt, daß wir uns das anschauen werden. Es wird dann solche Versammlungen geben, die wir durchaus eine Weile gewähren lassen.“ 

Der Große Stern soll nun eine Woche besetzt bleiben. Die Polizei bat die Organisatoren, wenigstens zwei Straßen freizugeben – ohne Erfolg. Später bauten 300 radikale Klimaaktivisten Regale, Sofas und Stühle auf dem Potsdamer Platz im Zentrum der Hauptstadt auf, ließen sich nieder und blockierten auch diesen. „Unfaßbar“ findet der Fraktionsvorsitzende der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski, die Weigerung des Innensenators, gegen diese Verstöße wirksam vorzugehen: „Zehntausende Autofahrer standen im Stau, weil eine wirre Endzeitsekte sich selbst ermächtigt hat, Verkehrsknotenpunkte in Berlin zu besetzen.“ Das habe mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nichts zu tun, sondern sei strafbare Nötigung. Geisel schreite nicht ein – „aus Rücksicht auf seine grünen Koalitionspartner“, beklagt Pazderski. Das zeige wieder einmal, „daß Rot-Rot-Grün Politik nicht für die Bürger macht, sondern nur für laute und auch extremistische Randgruppen.“

„Extinction Rebellion“ stammt aus Großbritannien und verfügt inzwischen über Gruppierungen in zahlreichen Ländern. Angeblich hat sie 100.000 Mitglieder – doch da zählt XR alle mit, die in den sozialen Medien mit ihr in Kontakt treten. In Paris, London und Amsterdam blockierten XR-Aktivisten ebenfalls den Verkehr. Dort ging die Polizei allerdings resoluter vor, räumte und nahm Teilnehmer fest. Bisher hieß es, die Organisation sei radikaler als „Fridays for Future“ (FfF).

Doch dies scheint ein Irrglaube. Deren führendes Gesicht in Deutschland, Luisa Neubauer, solidarisierte sich in einer Rede am Potsdamer Platz mit XR: „Wir brauchen Menschen, die in nie dagewesenen Massen auf die Straßen gehen.“ Und die FfF-Gründerin Greta Thunberg war bei der Blockade einer Londoner Themse-Brücke aufgetreten. Unterstützung erhält XR von „Kulturschaffenden“ wie Anna Loos, Christian Ulmen und Bela B. Auch die mit fragwürdigen Aktionen beim Schleppen von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer bekannt gewordene Carola Rackete mischt nun bei XR mit. Am Großen Stern hielt sie eine Rede, in der sie behauptete, die Bundesregierung verurteile Menschen auf der ganzen Welt und zukünftige Generationen „zum Tode durch unterlassene Hilfeleistung“ – so, „wie sie es aktuell mit den Flüchtenden überall auf dem Mittelmeer tut“.

Das Klimapaket der Bundesregierung, durch das erhebliche finanzielle Mehrbelastungen auf die Menschen zukommen, bezeichnet XR als „Witz“. Der Organisation gehen die Maßnahmen nicht weit genug. Indes hat das Kabinett die Ziele nun etwas unkonkreter gefaßt als zunächst angekündigt. Es bleibt zwar bei der CO2-Reduzierung um 55 Prozent bis 2030. Eine Zahl für die Kohlendioxid-Einsparung bis 2040 fehlt jetzt allerdings. Ebenso soll das Ziel der sogenannten „Treibhausneutralität“ bis 2050 nicht mehr erreicht, sondern nur noch „verfolgt“ werden. Der Sprecher des Bundesumweltministeriums verwies am Montag darauf, daß sich das geplante Gesetz noch in der Ressortabstimmung befinde, also alles „unter dem Vorbehalt“ stehe, „daß es sich um einen Referentenentwurf und eben nicht um etwas Fertiges handelt.“ Allerdings könnte sich die „Ermächtigungspassage“ des Klimapakets noch als Freibrief für die Grünen erweisen, sollten sie einmal die Regierung stellen. Union und SPD haben in den Gesetzentwurf geschrieben: „Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Jahresemissionsmengen der Sektoren zum Beginn des jeweils nächsten Kalenderjahres zu ändern.“

Daß es den Grünen nicht radikal genug gehen kann, machen die neuesten Forderungen klar, die der Bundesvorstand im Leitantrag für den Parteitag im November formuliert: Der Ausstoß von CO2 wird viel teurer als von der Koalition geplant (zunächst auf 40 Euro pro Tonne, ab 2021 dann auf 60 statt 10 Euro), der Einbau von Ölheizungen wird sofort verboten, von Gasheizungen 2025, Autos mit Verbrennungsmotoren werden ab 2030 nicht mehr zugelassen. Bundesstraßen werden nicht mehr gebaut, auf Autobahnen gilt immer ein Tempolimit. Außerdem dürfe die Landwirtschaft nicht mehr so viel Fleisch produzieren. Deutschland solle ein Land von Vegetariern und Veganern werden. Wäre eine grüne Bundesregierung dazu „ermächtigt“, die Emissionsmengen selbst festzulegen, könnte sie all das durchsetzen, um die Ziele einzuhalten.

Scharfe Kritik riefen die – laut Eigenangabe „radikal realistischen“ – Pläne der Grünen beim bürgerlichen Teil der Opposition hervor. FDP-Chef Christian Lindner warf den Grünen vor, einen „Kulturkampf gegen das Auto“ zu führen. Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag, Alexander Gauland, sprach den Plänen der Grünen „jede wirtschaftliche Vernunft“ ab. Sie hätten die „Klimahysterie in Deutschland auf die Spitze“ getrieben.