© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/19 / 11. Oktober 2019

Trügerische Ruhe
Frankreich: Islamische Unterwanderung – das Attentat von Paris wirft ein grelles Licht auf eine verdrängte Debatte
Jürgen Liminski

Die Ruhe war trügerisch. Seit den großen Attentaten mit den Massenmorden im November 2015 in Paris und am Nationalfeiertag 2016 in Nizza mit mehr als 200 Toten hat Frankreich „nur“  kleinere Attentate erleben müssen. Seit 2012 aber zählt das Land insgesamt 263 Opfer, die durch die Hand islamistischer Mörder ums Leben kamen. 

In den dreißig Jahren zuvor waren es 31 Todesopfer. Auch die Zahl der Attentate selbst ist in den vergangenen Jahren steil angestiegen. Bis zur Jahrtausendwende waren es gerade mal ein Dutzend, seither aber mehr als vier Dutzend, insgesamt 63 seit 1982. 

Der islamistische Terror nimmt stetig zu

Die Zahlen zeigen einen Trend an: Der islamistische Terror nimmt stetig zu, der Kampf gegen den Terror ist vor allem ein Kampf gegen den radikalen Islam. Das wird auch manchen Journalisten bewußt. Alexis Brézet, Direktor des Figaro, beklagt in seinem Leitartikel nach dem jüngsten Attentat im Hochsicherheitsbereich des Pariser Polizeipräsidiums, dem vier Polizeibeamte zum Opfer fielen, die Islam-Naivität, das Verharmlosen der radikalen Form des Islam. Diese Form gehöre auch zu der Religion und sei eben nicht eine Ausnahme. Das belegen in der Tat die Zahlen der Attentate, ihre zunehmende Häufigkeit und die steigende Zahl der Opfer. Frankreich dämmert: Es ist die Religion, die das Denken bestimmt und eine Zivilisation prägt. Das zeigt auch die Tatsache, daß fast alle islamistischen Attentäter in Frankreich oder auf französischem Boden geboren sind – der Attentäter in der Präfektur stammt von der Karibikinsel Martinique.

Beim Mord Anfang Oktober kommt noch eine Komponente hinzu: Der Mörder kam aus den eigenen Reihen ausgerechnet jener Truppe, die den Terror, vor allem den islamistischen Terror, bekämpfen soll. Mickael Harpon arbeitete als IT-Experte seit 16 Jahren in der Präfektur, man kannte ihn, er arbeitete gut. Vor zehn Jahren konvertierte er zum Islam, nach und nach änderte sich auch sein Verhalten und sein Äußeres. Er mied Frauen und lehnte die üblichen Berührungen bei der Begrüßung (Handschlag, Wangenküßchen) ab, 2009 hatte er ein Strafverfahren wegen Gewalt in der Ehe, er rechtfertigte ernsthaft die Attentate auf die Redaktion der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo und stritt mit den Kollegen sogar darüber, er besuchte regelmäßig die Moschee in seinem Viertel Gonesse, die von einem radikalen Imam geführt wird und deshalb auch unter Beobachtung steht. Dennoch wurde er nicht als „Gefährder“ eingestuft. 

„Ein Fehler“, gesteht Innenminister Christophe Castaner, nachdem er zwei Tage lang beschwichtigend die islamistischen Motive des Täters verschwiegen hatte. Castaner schob am dritten Tag die Schuld auf die Kollegen des Terroristen, die sein Verhalten nicht aktenkundig gemacht hätten. Er habe nach dem Attentat nur die Akte gesehen. 

Präsident Macron klammert brisantes Thema aus 

Allerdings hat Castaner auch den für Terror zuständigen Staatsanwalt nicht zu den ersten Ermittlungen hinzugezogen, sondern ihn davon abgehalten, und die Kollegen im Präsidium gaben zu Protokoll, daß sie von ihren Vorgesetzten unmittelbar nach der Tat angehalten worden waren, die islamischen Aspekte des Täters zu verschweigen. 

Dies tun leitende Beamte in der Regel nur mit Rückendeckung von oben. Aus all diesen Vorgängen ergeben sich viele Fragen. Deshalb beantragt die Opposition in der Nationalversammlung einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß.

Ein Beamter mit dem höchsten Sicherheitsclearing wie Mickael Harpon wird nur alle fünf Jahre einem Sicherheitscheck unterzogen. Für den islamistischen Mörder stand der nächste Check für das kommende Jahr an. Er hat sich aber vor allem in den vergangenen Jahren radikalisiert. Offenbar ist der Zeitraum von fünf Jahren zu lang. Bei Sicherheitsüberprüfungen der vergangenen Jahre (318.464) wurden 485 Personen als zu riskant eingestuft und entlassen. In Sicherheitskreisen ist zu erfahren, daß man bei der Polizei in Paris weitere 15 Personen vom Kaliber des Mörders beobachtet, bei den rund 150.000 Sicherheitskräften des Landes sind es mehr als 30 und beim Gefängnispersonal in Paris noch einmal zehn. 

Allein das Maß dieser bekannten Unterwanderung rechtfertigt einen Untersuchungsausschuß und Reformen. Präsident Emmanuel Macron aber hatte das Thema Islam aus seinem „grand débat“ mit dem Volk im Zuge der Gelbwestenproteste ausgeklammert, dabei sollte bei dieser Debatte mit dem Volk alles auf den Tisch. Fragen zum Islam aber waren nicht zugelassen.