© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/19 / 11. Oktober 2019

Eine frühere Volkspartei streicht sich grün an
CDU-Programmantrag: Der Bundesvorstand definiert die „Soziale Marktwirtschaft“ um / Strafzölle für Klimasünder und elektronische Maut für alle?
Albrecht Rothacher

Zugegeben, die Lektüre jener 25 Antragseiten, die am 22. November vom 32. CDU-Parteitag in Leipzig abgesegnet werden sollen, ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Löbliche Gemeinplätze von Fleiß, Leistung, Verantwortungsbereitschaft, dem ehrbaren Kaufmann, „Anreize statt Verbote“ oder „Leistung muß sich lohnen“ sind darin zu finden. Es geht um eine „gerechtere Welt“, christliche Werte und den Schutz der Regenwälder. All das wird überstreuselt mit halbverstandenem Denglisch wie Ideenboxen, „Fab Labs“ (Erfahrungs- und Experimentierräumen für Firmen), der Innovation „Crowdinvesting“ oder Bike- und Carsharing.

Ein „Clearing House Unterricht“ soll den Transfer von universitären Forschungsergebnissen in die Schulpraxis beschleunigen. Und da die Union bei der EU-Wahl bei den unter 30jährigen nur noch auf 13 Prozent, aber bei den über 59jährigen auf 39 Prozent kam, ist nicht nur von Tauschbörsen-Apps, sondern auch von Mehrgenerationenhäusern und Seniorenpatenschaften die Rede.

Zusätzliche CO2-Bepreisung international erzwingen

Alte Ladenhüter werden recycelt, wie das „Abschmelzen“ des Solidaritätszuschlags, das die Regierungspartei schon seit zwei Jahrzehnten dem Wahlvolk wie die Wurst vor den Hund hält. Die Unternehmenssteuern sollen bei 25 Prozent gedeckelt werden. Eine schlaue Idee, die man schon vor fünfzig Jahren hätte haben und umsetzen können. Sie liegen auch nach 14 Jahren Angela Merkel noch unverändert hoch bei 30 Prozent.

Die meisten Nachbarländer haben die Unternehmenssteuern kräftig abgesenkt. So etwa Ungarn auf neun Prozent, Irland auf 12,5 Prozent, die Kantone der Deutschschweiz auf 12,3 bis 18,6 Prozent, Kroatien auf 18 Prozent, Luxemburg, Slowenien und Polen auf 19 Prozent. Verwaltungsverfahren, die Unternehmen belasten, sollen entbürokratisiert und vereinfacht werden. Aber wer diese Verfahren eigentlich eingeführt und fortwährend weiter verkompliziert? Die EU hat darauf keinen Einfluß und die rot-grüne Ära endete schon 2005.

Dennoch läßt der Programentwurf unter schwer lesebarem verklausuliertem Geschwafel die Katze aus dem Sack: „Wir müssen das Pariser Klimaabkommen weltweit mit Leben erfüllen und Treibhausgasneutralität global erreichen. In Deutschland wollen wir das bis 2050 schaffen.“ Und dem wird im Klima-Fieber alles andere untergeordnet. Daß Frankreich (71,7 Prozent Atomstrom), die Slowakei (55 Prozent), Ungarn (50,6 Prozent) oder Schweden (40,3 Prozent) sowie Slowenien, Bulgarien, die Tschechei und Finnland (zwischen 32,5 und 35,9 Prozent Atomstrom) der „großen klimapolitischen Herausforderung“ völlig EU-konform etwas anders begegnen, interessiert die CDU nicht. An dem 2011 von einem schwarz-gelben Merkel-Kabinett beschlossenen „Kernenergieausstieg bis 2022“ wird selbstverständlich nicht gerüttelt.

Der „Kohleausstieg bis spätestens 2038“ wird bekräftigt – aber es soll nichts kosten. Der „für die zukünftige Versorgungssicherheit“ nötige Stromleitungsausbau (zum Nulltarif?) dürfe aber nicht auf Kosten hochwertigen Ackerlandes gehen. Und wenn dies unvermeidlich sei, stünde eine Lösung parat: „Den Verlust hochwertiger landwirtschaftlicher Flächen beim Netzausbau werden wir dabei im Sinne der Nachhaltigkeit durch die Bundeskompensationsverordnung minimieren.“ Bauernfang vom feinsten.

Doch es kommt noch besser: Der CDU schwant, daß angesichts der französischen Gelbwestenproteste und des osteuropäischen Widerstands vorerst nur eine nationale CO2-Bepreisung „im Verkehr und Gebäudebereich“ machbar erscheint. Bei den klimapolitischen Härten für die energieintensive Exportindustrie wird der Schwarze Peter zur EU-Kommission geschoben: Ließen sich die deutschen CO2-Bepreisungsinstrumente international nicht weiter ausbauen, „sind Grenzausgleichsmaßnahmen zu prüfen und unter Umständen bei Verhandlungen künftiger Handelsabkommen zu berücksichtigen, um die Verlagerung von Produktion und Emissionen in Drittstaaten zu verhindern“.

Am deutschen Ablaßwesen soll die Welt genesen. Wer nicht spurt, wie mutmaßlich die Handelspartner und Kohleländer Australien, China, Indien, USA, Japan, Indonesien, Südafrika, Rußland oder Südkorea, wird mit Strafzöllen belegt, obwohl das CDU-Papier zur „Sozialen Marktwirtschaft von morgen“ das Loblied des Freihandels singt. Den deutschen Exportinteressen, von denen jeder dritte produktive Arbeitsplatz abhängt, dürfte man mit der Strafzollandrohung einen Bärendienst erweisen. Und wie sollen das Kohleland Polen vom EU-Binnenmarkt ausgeschlossen oder die assoziierte Türkei auf die grüne CDU-CO2-Line gebracht werden?

Kein Wort zu Eurokrise und Integrationsproblemen

In der Passage zur Weltpolitik ist von deutschen strategischen und wirtschaftlichen Interessen auch nicht die Rede, sondern nur von der Verzahnung der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik im Interesse der „human security“, einschließlich des Umwelt- und Ressourcenschutzes. Am schönsten ist sicher die Forderung, „die negativen Effekte des Verkehrs wie Treibhausgasemissionen, Stau, Unfälle, Flächenverbrauch und Schadstoffe“ im „Preismechanismus“ zu erfassen – sprich: Neben der weiteren Verteuerung von Benzin und Diesel („CO2-Bepreisung“) droht zusätzlich die elektronische Maut für alle.

Denn „nutzungs- und wirkungsbezogen“ und „weg von pauschalen Zahlungen“ bedeutet nichts anderes. „Als erster Schritt soll dabei die Möglichkeit der Ausweitung der Maut ab 7,5 Tonnen auch auf alle Landesstraßen und kommunalen Straßen“ geprüft werden. Ob das der grün gefärbten CDU neue Wählerstimmen bringt? Erhöhte Transportkosten machen nicht nur Amazonpakete oder Urlaubsreisen teurer, sondern fast jedes Produkt und jede Dienstleistung. Die CDU meldet sich mit ihrer Ökoreglementierung als Wirtschaftspartei ab.

Aber was bedrängt die deutsche Wirtschaft heute wirklich? Eine unglaubliche Steuer- und Abgabenlast, ein wuchernder Staatsbürokratismus, der Mangel an motivierten Arbeitskräften – allein den Speditionen fehlen 50.000 Lkw-Fahrer, der Bahn 5.000 Lokomotivführer. Hinzu kommen die teuersten Strompreise der Welt. Es fehlt an vernünftigen Geldanlagemöglichkeiten, Familienbetriebe suchen handeringend Nachfolger.

Firmen sorgen sich um Rohstoffpreise, unterbrochene Lieferketten und den US- und britischen Exportmarkt – mit 113 bzw. 82 Milliarden Euro der Haupt- bzw. fünftwichtigste der deutschen Industrie. Die „Erneuerbaren Energien“ machen die Stromversorgung unsicher, Bahn- und Straßeninfrastruktur sind marode. Es müssen Lehrlinge und Asyleinwanderer ausgebildet werden, die weder korrekt lesen und schreiben können, noch die Grundrechenarten beherrschen, aber wissen, wie man krank feiert und kündigt – dazu findet sich nichts im Antragspapier der CDU. Auch nichts zur kommenden Rezession. Die EZB hat ihr Pulver verschossen. Mehr als Negativzinsen geht nicht. Viele europäische Staatshaushalte sind überschuldet, in den Euroländern Griechenland, Italien, Portugal, Belgien, Zypern und Frankreich mit mehr als einer ganzjährigen Wirtschaftsleistung – und mit konsumtiven Ausgaben belastet. Nachfragesteigernde Konjunkturprogramme sind unfinanzierbar. Zur Krisenvorsorge, zur Euro-Problematik und zur sparerfeindlichen Negativzinspolitik findet sich kein Wort. Die einstige Volkspartei ist faktisch wirtschaftsfeindlich geworden.

„Nachhaltigkeit, Wachstum, Wohlstand – Die Soziale Marktwirtschaft von morgen“:  cdu.de