© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/19 / 11. Oktober 2019

Mit der Geschichte brechen
Stadtrekonstruktion: Der Streit um den Wiederaufbau der barocken Potsdamer Garnisonkirche geht weiter
Peter Möller

Die Glocken der Potsdamer Garnisonkirche schweigen seit Mitte September. Dennoch ist es um die einstige Vorzeigekirche des preußischen Staates nicht still geworden – im Gegenteil. Denn nachdem die Anfang der neunziger Jahre in der Nähe des Standortes der zerstörten Barockkirche aufgestellte Nachbildung ihres berühmten Glockenspiels („Üb immer Treu und Redlichkeit“) auf Geheiß des neuen Potsdamer Oberbürgermeisters Mike Schubert (SPD) abgeschaltet wurde, da mehrere Inschriften auf den vierzig Glocken unter Nationalismus-Verdacht geraten sind und nun wissenschaftlich untersucht werden sollen (JF 38/19), hat die seit Jahren tobende Auseinandersetzung um die Kirche neuen Schwung bekommen.

Denn ebenfalls im September hatte Schubert mit dem Vorstoß für Aufsehen gesorgt, den derzeit in Bau befindlichen 88 Meter hohen Turm der Kirche, der in seiner historischen Gestalt rekonstruiert wird, um ein modernes Kirchenschiff zu ergänzen und dieses als europäische Jugendbildungs- und Begegnungsstätte zu nutzen. „Es geht mir dabei zuerst um die Frage des Inhalts und erst danach um die Architektur“, sagte er im Stadtparlament. Allgemein wurden Schuberts Ausführungen als Absage an eine originalgetreue Rekonstruktion des Kirchenschiffs gewertet. Unterstützung erhielt das Potsdamer Stadtoberhaupt für seinen Vorstoß vor allem von SPD, Grünen und Linkspartei, während CDU und AfD sich kritisch bis ablehnend äußerten.

Kirchenschiff steht bislang nicht auf der Tagesordnung

Der Vorschlag Schuberts, der nicht als Freund des Wiederaufbaus der Garnisonkirche gilt, kommt indes überraschend, da bislang der Bau des Kirchenschiffes eigentlich gar nicht auf der Tagesordnung stand. Die für die Rekonstruktion zuständige Stiftung Garnisonkirche sammelt bislang ausschließlich Spenden für den Turm, dessen Bau derzeit mit 40 Millionen Euro veranschlagt wird. In der jahrelangen Diskussion über die Kirche hatte das Kirchenschiff immer eine untergeordnete Rolle gespielt. Nicht nur aufgrund der Kosten hatten sich die Befürworter zunächst auf den Turm konzentriert, der bis zur Sprengung der im Krieg ausgebrannten Kirchenruine durch das SED-Regime 1968 die Silhouette der einstigen preußischen Residenzstadt geprägt hatte. Dennoch galt die originalgetreue Rekonstruktion zumindest als Option nach der Fertigstellung des Turms, mit dessen Wiederaufbau im Herbst 2017 begonnen worden war.

Aber genaugenommen ist auch die Forderung, das Kirchenschiff nicht originalgetreu zu rekonstruieren, nicht neu. So hatte die Evangelische Kirche, die den Wiederaufbau des Turms mit einem Kredit unterstützt, zuvor die Bedingung gestellt, daß das Kirchenschiff nicht exakt dem Original entsprechen dürfe, sondern architektonisch den „Bruch“ der Geschichte abbilden müsse. Daher zeigte sich die Stiftung nun auch durchaus offen gegenüber dem Vorstoß Schuberts. Gleichzeitig ließ der Chef der Stiftung, Wieland Eschenburg, erkennen, daß er die Diskussion über das Schiff aktuell nicht für dringlich hält. „Derzeit stehen der Aufbau und die Vorbereitungen der Nutzungen des Turms im Vordergrund“, sagte er.

Die radikalen Gegner des Wiederaufbaus nutzten die neuerliche Diskussion unterdessen, um auch den Bau des Turmes generell in Frage zu stellen. „Für uns ist die Diskussion um den Turm keinesfalls beendet“, teilte die Initiative „Potsdam ohne Garnisonkirche“ als Reaktion auf Schuberts Vorschlag mit. Die linke Initiative „Potsdam – Stadt für alle“ warf Schubert vor, er diene als „Steigbügelhalter“ der Stiftung Garnisonkirche und setze auf eine Zustimmung zum Turmbau: „Schubert wagt keinen Neuanfang. Er schlafwandelt lediglich in den Fußstapfen seiner beiden protestantischen Amtsvorgänger.“

Grüne fordern Streichung zusätzlicher Mittel

Daß es sich beim Wiederaufbau der preußischen Vorzeigekirche nicht um eine Potsdamer Lokalabgelegenheit handelt, zeigt sich daran, daß sich mittlerweile sogar das deutsche Staatsoberhaupt in den Streit eingeschaltet hat. „Der Bundespräsident begrüßt Vorschläge, die dazu beitragen können, einer einvernehmlichen Lösung näher zu kommen“, sagte eine Sprecherin den Potsdamer Neuesten Nachrichten. Steinmeier habe die Schirmherrschaft für das vom Bund mit bis zu 18 Millionen Euro geförderte Projekt mit der Erwartung übernommen, „daß hier ein Lernort der deutschen Geschichte entsteht“. Die Barockkirche sei „ein schwieriger, ein anspruchsvoller Erinnerungsort“, so Steinmeier – auch in Anspielung auf die Historie des Baus als Militärkirche und den „Tag von Potsdam“ 1933. Der Ort trage „all die Widersprüche der preußischen und deutschen Geschichte in sich“, verdeutlichte der Bundespräsident. Ziel des Wiederaufbaus sei daher ein Ort, an dem sich die Öffentlichkeit kritisch mit dieser Geschichte und der Geschichte des Baus auseinandersetzen kann.

Auch in der Haushaltsdebatte des Bundestages spielte der Streit um den Wiederaufbau der Kirche Mitte September eine Rolle. Die Grünen forderten, die im Haushalt für 2020 vorgesehenen zusätzlichen sechs Millionen Euro des Bundes für den Wiederaufbau zu streichen.

Eingeleitet wurde der wieder aufgeflammte Streit um die Kirche bereits Ende August mit einem offenen Brief von rund hundert Personen aus Kultur, Kirche, Wissenschaft und Politik, die sich für einen Kurswechsel beim Wiederaufbau aussprechen. In dem Schreiben, das unter anderem von dem Architekten Philipp Oswalt, einem bekennenden Gegner der Garnisonkirche, initiiert wurde, fordern die Unterzeichner, stärker als bisher das Motto „Bruch statt Kontinuität“ beim Wiederaufbau der Kirche herauszustellen, etwa durch einen „Verzicht auf die Nachbildung jeglichen Waffenschmucks bei der Rekonstruktion des Gebäudes“.

Welche Blüten die Diskussion um das Kirchenschiff mittlerweile treibt, zeigt der Vorschlag des weit linksstehenden „Vereins zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in Potsdam“. In einem Ende September veröffentlichten Brief an Oberbürgermeister Schubert bringt der Verein die Idee ins Spiel, die Fläche für das Kirchenschiff könnte „als kleinteiliger Mahn- und Gedenkort dienen“, denkbar sei zum Beispiel eine „Wiese der Opfervölker“ des preußisch-deutschen Militarismus, „bepflanzt mit regionaltypischen Gehölzen aus den Opferregionen“. Nach Ansicht von Vereinssprecher Carsten Linke könnte dadurch das übergangsweise als Künstlerhaus genutzte Rechenzentrum, das teilweise auf dem Grundstück des ehemaligen Kirchenschiffs steht, erhalten und „zu einem echten Aushängeschild eines modernen, toleranten Potsdams weiterentwickelt werden“.

Ungeachtet der aktuellen Auseinandersetzungen wächst unterdessen der Turm der Garnisonkirche stetig Ziegel für Ziegel in die Höhe und erhebt sich bereits mehrere Meter über dem Straßenniveau. Die Planungen sehen vor, den imposanten Barockturm, der sich über einem massigen Sockelgeschoß erhebt, äußerlich exakt dem historisch sehr gut dokumentierten Vorbild entsprechend zu rekonstruieren. Im Inneren ist unter anderem eine Kapelle vorgesehen, die der Versöhnungsarbeit dienen soll. In 60 Metern Höhe wird eine Aussichtsplattform die Möglichkeit bieten, einen Blick über Potsdam und seine einmalige Schlösserlandschaft zu werfen. Und auch wenn in ein paar Jahren alles fertiggestellt ist, wird keine Ruhe einkehren – denn der wiederaufgebaute Turm wird dann eine eigens dafür angefertigte Rekonstruktion des berühmten Glockenspiels beherbergen.

Stiftung Garnisonkirche, Gutenbergstraße 71/72, 14467 Potsdam, Tel.: 0331/ 505 81-68

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