© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/19 / 11. Oktober 2019

Dorn im Auge
Christian Dorn

Das Impeachment-Fieber hat auch mich gepackt. Bei erhöhter Temperatur fabuliere ich: „Heutzutag ein echter Knower: / Der sogenannte Whistleblower.“ Doch der Spaß endet sofort, als ich das Café in der Sowjetzone betrete und den Betreiber wieder ironisch mit „Towarischtsch“ anrede, das gleichermaßen Genosse wie Kamerad bedeutet. Früher in der Sowjetunion, so wird mir mit strenger Miene erklärt, sei der frischertappte Rechtsbrecher von der Polizei als „Graschdanin“ (Bürger) angesprochen worden – sogleich erinnere ich mich an die unfreiwillige Ironie, wenn einen der Volkspolizist im Großraumgefängnis DDR aufforderte: „Bürger, können Sie sich ausweisen?“


So führt mich der Weg am 3. Oktober, dem bis heute unwirklichen Nationalfeiertag, ins Ballhaus Berlin, wo zum „Endzeit-Wuhling“ geladen ist, einem Vinyl-Release-Concert mit Rex Joswig (Herbst in Peking), Bert Papenfuß und anderen. Unter der Losung „Muspilli Rökrök Mashup“ erklingt aus dem mäandernden Sprachfluß die rhetorische Frage: „Den Handschuh werfen oder das Handtuch? Wieviel Terror braucht der Mensch?“ Unwillkürlich vermisse ich hier eine Voodoo-Puppe von Merkel, was die Linksanarchisten am Tisch irritiert. Der trunkene Typ „Teddy“ links von mir, wie ein Wiedergänger Thälmanns wirkend, widerspricht sofort. Er wolle „Breuer“ dort sehen, weil die – anders als Rohwedder – noch lebe. Da wende ich mich lieber der Gegenwart zu, in der die „wirre Endzeitsekte“ (Georg Pazderski) Extinction Rebellion (XR) mit ihren gespenstisch „gewaltfreien“ Aktionen die Infrastruktur der Hauptstadt lahmlegen will, an ihrer Spitze die selbsternannte Seenotretterin Carola Rackete, die erklärtermaßen keinen festen Wohnsitz hat und auf keinen Fall in Deutschland leben will, da hier zu viele Menschen seien, weshalb sie Chile oder Kasachstan schöner fände. Nun, ich finde, da ist es Zeit für eine lyrische Intervention: „Raumfahrt wieder genießen / Rackete zum Mond schießen.“ Da gerade im Kino Babylon der Dokumentarfilm über ihre „Seenotrettung“ Premiere hatte, denke ich an das provokante Theater Christoph Schlingensiefs, der einst, in der nebenan liegenden Volksbühne, „100 Jahre CDU – Spiel ohne Grenzen“ feierte und die Parole „Tötet Helmut Kohl“ ausgab. Ich bin da bescheidener und denk mir die Bühnenfigur eines noch ungeschriebenen Dramas. Die dürfte dann zynische Sätze deklamieren wie: „Dem Mittelmeer mehr schenken / Seawatch 3 einmal versenken.“ Oder das trockene Fazit: „Klimapakete für den Osten / Verklausulierte Portokosten.“