© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/19 / 11. Oktober 2019

Genie der Selbstvermarktung
Literarisches Phänomen: War B. Traven ein Gelsenkirchener Gewerkschaftssekretär?
Ansgar Lange

Hochstapler gibt es überall, auch im Journalismus. Der Spiegel-Mann Claas Relotius ist ein aktuelles Beispiel. Doch auch in der Literatur sind sie zu finden. Man denke beispielsweise an Karl May. Einem weiteren, heute fast vergessenen Hochstapler der Literatur widmet sich Jan-Christoph Hauschild in seinem Buch „Das Phantom. Die fünf Leben des B. Traven“.

Im Laufe der Zeit versuchten diverse Journalisten und Literaturwissenschaftler, das Rätsel seiner Herkunft zu lösen. Eine Hypothese besagte, er sei ein unehelicher Sohn Kaiser Wilhelms II. gewesen. Seine Bücher „Die Baumwollpflücker“, „Das Totenschiff“ oder „Der Schatz der Sierra Madre“ waren einst Welterfolge und erreichten Millionen von Lesern.

Seit Kriegsende fester Teil des Kulturjournalismus

Traven war ein linker, sozialkritischer Autor. Als er im März 1969 in Mexiko City starb, lag die Gesamtauflage seiner Bücher bei rund 30 Millionen. Der Bochumer Publizist und Literaturwissenschaftler Hauschild behauptet nun, das Mysterium Traven endgültig entmystifiziert zu haben. Welcher Traven-Entschlüsseler nun recht hat, ist ein Streit für Gelehrte und letztlich wahrscheinlich eine Glaubensfrage.

Daß man lange Zeit nicht genau wußte, wer Traven war, machte zum großen Teil seinen Reiz aus. Der vermeintlich antikapitalistische Autor, der angeblich all das selbst erlebt hatte, was er in seinen Romanen beschrieb, war ein Marketinggenie. Hauschild beschreibt dies so: „Das Travensche Paradox besteht darin, daß sein Schreiben auf Öffentlichkeit zielt und er gleichzeitig glaubt, seine Person aus deren Rampenlicht heraushalten zu können.“

Traven, einst ein strahlender Stern der literarischen Linken, ertrug Kritik nur sehr schlecht. Er äußerte sich antisemitisch über Juden und rassistisch Schwarze und Chinesen, so der Autor. Zwischen dem antiautoritären Autor, der die Anonymität suchte und hinter seinen Texten scheinbar zurücktreten wollte, und „dem geschäftstüchtigen Textproduzenten“ tat „sich ein gewaltiger Widerspruch auf“.

Je mehr Traven die Phantasie seiner Leser weckte und derer, die seinem Rätsel auf die Spur kommen wollten, um so größer war sein Erfolg. Er war ein Genie der Selbstvermarktung und der Geschäftstüchtigkeit. 1951 gab es von Travens Büchern schon 165 Ausgaben, Anfang 1957 sind es bereits 250 in 23 Sprachen. Traven war in Film, Funk und Fernsehen und im Schulunterricht präsent, obwohl seine größten schriftstellerischen Erfolge schon fast dreißig Jahre zurücklagen. „Aufsätze und Artikel über das Mysterium B. Traven sind seit Kriegsende fester Bestandteil des Kulturjournalismus geworden“, schreibt Hauschild.

Es scheint erwiesen zu sein, daß Traven identisch mit dem deutschen Schriftsteller, Schauspieler und Führungskader der Münchner Räterepublik von 1918/19, Ret 

Marut, war. Auf dem Totenbett erlaubte er seiner Frau, dieses Geheimnis zu verraten. 

Doch auch Ret Marut war ein Pseudonym. Unter dem gelüfteten Rätsel wartete schon das nächste Rätsel.Hauschild behauptet, Traven/Marut sei identisch mit dem am 23. Februar 1882 in Schwiebus in der preußischen Provinz Brandenburg (heute Swiebodzin) geborenen Hermann Albert Otto Max Feige. Dieser sei Maschinenschlosser und Gewerkschaftssekretär in Gelsenkirchen gewesen. Agitation und Unterhaltung seien schon damals die Markenzeichen von Feige/Marut/Traven gewesen. Diese These mag stimmen oder nicht. Aber hätten die Bücher eines ehemaligen Gelsenkirchener Gewerkschaftssekretärs, der zu seiner Biographie gestanden hätte, die gleiche Aufmerksamkeit erlangt wie das Rätsel Traven, der im fernen Mexiko seine eigene Marke schuf?

Jan-Christoph Hauschild: Das Phantom. Die fünf Leben des B. Traven. Edition Tiamat, Berlin 2018, gebunden, 317 Seiten, 24 Euro