© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/19 / 11. Oktober 2019

Als der Pullover noch Überschwupper hieß
Der Sprachwissenschaftler Peter Graf präsentiert eine Auswahl von Wörtern, die nicht mehr im Duden stehen
Felix Dirsch

Wissen Sie, was man unter „Überschwupper“, „kuranzen“, „verballasten“, „Hutgerechtigkeit“ und „fuchsschwänzeln“ versteht? Nein? Dann geht es Ihnen wie dem Verfasser dieser Zeilen. Seit der ersten Auflage des Dudens 1880, der eine Einheitsorthographie im Einheitsreich geschaffen hatte, hat sich die Sprache rasant gewandelt. Zahllose neue Wörter, die in diesem grundlegenden Werk aufgenommen werden, stehen anderen gegenüber, die als veraltet gelten und daher von der Redaktion nicht mehr aufgenommen werden. 

Wer ein repräsentatives Spektrum von zeitweise modischen Wörtern sucht, gegliedert in verschiedene Lebensbereiche (Mode, Textilien, Sport, Familie, Geschlechterverhältnis, Naturwissenschaften oder Medizin), dem ist eine neuere Studie zu empfehlen. Sie gibt auch das Datum der Dudenauflage an, die auf das entsprechende Wort verzichtet. Dem Autor Peter Graf, seit über zwanzig Jahren als Lektor und Verleger tätig, geht es besonders um die Wiedererweckung vergessener Schätze der deutschen Sprache. 

Bisher konnte man in keiner verbreiteten Monographie nachlesen, welche Schlüsselbegriffe warum und zu welcher Zeit aufgenommen und wieder ausgesiebt wurden. Der Wandel der Wirklichkeit und damit ihre Beschreibung ist einer der Gründe, warum Begriffe obsolet werden. Ein anderes Motiv, die Sprache zu verändern – in welche Richtung und in welcher Weise auch immer – liegt in politischen Umbrüchen. Eine klassische Veröffentlichung über den Geist des Hitler-Regimes hat der Romanist und NS-Verfolgte Victor Klemperer vorgelegt. „LTI“ zeigt klassisch die Versuche der damaligen Regierenden auf, eine neue Wirklichkeit zu erschaffen. Graf erwähnt mit Recht ein anderes epochales Werk, das bald nach dem Abtreten der braunen Machthaber erscheinen konnte: „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“. So lag über die verbale Agitation der Nationalsozialisten bald viel Material vor. Vieles zwischen 1933 und 1945 Aufgekommene mußte in der ersten Nachkriegsauflage verschwinden – in Ost wie West, denn nach 1949 gibt es verschiedene Redaktionen. 

Ebenso wurden Bücher über die Propaganda in der DDR verfaßt. Manch eines ihrer verbalen Ungetüme tilgten die Redaktionen in der ersten Auflage im vereinigten Deutschland. Leider ist Graf zu sehr der Politischen Korrektheit verpflichtet, als daß er auf den Neusprech der Gegenwart einginge, den der Sozialwissenschaftler Manfred Kleine-Hartlage untersucht hat. Charakteristische Bezeichnungen, etwa Rechtspopulismus, Vergangenheitsbewältigung, Patchworkfamilie und Vielfalt, bilden ein Kaleidoskop der neuesten Zeitgeschichte. Man kann heute schon prospektiv einen Blick auf die Zeit werfen, in der sie als Teil der sprachlichen Vergangenheit gelten werden. Das geht schneller, als manche denken! Das oft diskutierte Problem des „Denglischs“ wird berücksichtigt, das mancher gar nicht mehr als fremd, sondern als vertraut empfindet.

Doch nichts währt ewig – selbst die Streichung von Wörtern nicht. Einige von ihnen, die zuerst herausgefallen sind, finden sich in einer Neuauflage wieder. Sie erwiesen sich bald von neuem als aktuell, und noch etwas fällt auf: Heute erscheinen selbst einst notwendige Streichungen redundant. Die Speicherkapazitäten der längst zugänglichen Online-Ausgabe machen es möglich, vieles, was in älteren Druckausgaben schon aus ökonomischen Gründen herausgefallen ist, wieder aufzunehmen. Die sprachgeschichtlichen Teile sind so leichter und länger zugänglich. 

Grafs „Sprach- und Kulturgeschichte“ bietet gute Einblicke in die Sprachgeschichte des letzten Jahrhunderts. 

Peter Graf: Was nicht mehr im Duden steht. Eine Sprach- und Kulturgeschichte. Dudenverlag, Berlin 2018, gebunden, 223 Seiten, 15 Euro