© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/19 / 18. Oktober 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Vergebliche Mühe
Peter Möller

Als die Berliner in der vergangenen Woche den medienwirksam angekündigten Versuch der selbsternannten Klimaretter von Extinction Rebellion (ER), den Verkehr in der Hauptstadt lahmzulegen, mit der typischen Berliner Mischung aus Gelassenheit und Gleichgültigkeit ertrugen, blieb es zwischen Reichstag und Kanzleramt ausgesprochen ruhig.

Zwar hatten die Rebellen am Kanzleramt ein Protestcamp aufgeschlagen, doch dieses machte vor allem durch die wenig klimafreundliche Stromversorgung mittels eines Dieselaggregats von sich reden, als denn durch Protestaktionen. Um das Regierungsviertel, also den Ort, wo die von den Protestierern kritisierten politischen Entscheidungen getroffen beziehungsweise nicht getroffen werden, nicht gänzlich ungeschoren davonkommen zu lassen, besetzten ER schließlich doch noch die am nördlichen Ende der Wilhelmstraße über die Spree führende Marschallbrücke. Das war nett anzusehen und zudem äußerst medienwirksam, denn die Brücke liegt direkt am ARD-Hauptstadtstudio.

Doch weder das Regierungshandeln noch die Abläufe im Bundestag wurden durch die Blockade beeinträchtigt. Der Autoverkehr wurde von der Polizei einfach über die Dorotheenstraße umgeleitet. Die allermeisten Bundestagsabgeordneten waren in dieser sitzungsfreien Woche sowieso nicht in Berlin, sondern in ihren Wahlkreisen unterwegs. Und so waren lediglich einige Mitarbeiter der Abgeordneten und Fraktionen gezwungen, einen kleinen Umweg zu nehmen, oder ihre blauen Bundestagsausweise vorzuzeigen, um durch die Polizeiabsperrungen zu gelangen, mit denen der weitere Zulauf von Blockierern kontrolliert werden sollte. Beide Seiten wußten, daß eine ernsthafte Blockade von Bundestag oder Kanzleramt das Ende der stillen Duldung der Proteste durch den rot-rot-grünen Berliner Senat bedeutet hätte. Denn die das Parlament umgebende Bannmeile untersagt Demonstrationen, durch die die Arbeit der Verfassungsorgane gestört oder gar behindert werden.

Am vergangenen Freitag ließ der Senat auch die knapp außerhalb der Bannmeile liegende Marschallbrücke räumen, um zumindest den Anschein zu wahren, daß für die politische Elite die Durchsetzung der öffentlichen Ordnung über der Sympathie für die Klimademonstranten steht. Als schließlich die bisher zur Untätigkeit verurteilten Polizisten, die ihre politisch verordnete Tatenlosigkeit stoisch ertragen hatten, mit dem Ritual des Wegtragens der Blockierer begannen, sorgte der Zufall für ein symbolisches Bild für die Wirkungslosigkeiten der Brückenbesetzung. 

Denn in dem Augenblick, in dem die ersten Demonstranten hinter die Absperrungen getragen wurden, überflog der Hubschrauber der Bundeskanzlerin völlig ungehindert das Geschehen und setzte zur Landung im wenige hundert Meter entfernten Kanzleramt an. Von den übermüdeten und durchgefrorenen Aktivisten nahmen nur die wenigsten dieses Detail war. Sie waren damit beschäftigt, sich mit dem Skandieren von Parolen und Singen von Liedern Mut für das unvermeidliche Endspiel auf der Marschallbrücke zu machen.